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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Neue Aufgaben des Unternehmertums

deutschen Wirtschaftspolitik Probleme aufrollen, die mit der überkommenen
Arbeitsweise unserer Bureaukratie -- im besten Sinne des Wortes -- nicht
gelöst werden könnten. Dieser Frage beizeiten näherzutreten, erscheint in der
Tat wichtig und dringlich. Nichts aber ist wichtiger und dringlicher -- ab¬
gesehen von der Aufgabe, den Krieg zum guten Ende zu führen --, als die
Mittel zur Deckung der Kosten zu beschaffen, die der Krieg verursacht hat. Die
sechstausend Millionen jährlicher Mehreinnahmen des Reiches, die dazu er¬
forderlich sind, können bei Beendigung des Krieges nicht erst gesucht werden,
sondern sie müssen gefunden, beschlossen und bereit sein. Diesem Zweck in erster
Linie soll der Vorschlag eines ständigen Finanzansschusses dienen.




Neue Aufgaben des Unternehmertums
Or. Felix Kuh von

chon vor dem Kriege konnte man sagen, daß die Zeit des extremen
Individualismus überwunden war. Die alte Manchesterlehre
in ihrer reinsten Form, wonach für den Staat am besten gesorgt
war, wenn jeder einzelne für sich selbst am besten zu sorgen
suchte, hatte weder in der Theorie noch in der Praxis einen
nennenswerten Kreis von Anhängern, man war zur Einsicht gekommen, daß
zum mindesten mit dem berechtigten Selbstinteresse ein bewußtes Interesse für
die Gesamtheit und den Staat Hand in Hand gehen müßte. Es ist bekannt,
in welchem Maße sich die Sache durch den Krieg noch weiter zu Gunsten des
Gemeinsinnes verschoben hat. Ein nationalökonomischer, ein soziologischer Lehr¬
meister ersten Ranges ist der Krieg, er zeigt uns besser, als alle dicken Lehr¬
bücher es können, wo die Grenzen zwischen Individualismus und Sozialismus
liegen. Daß die Staatintervention nicht überall am Platze ist, erkennen wir
tagtäglich, andererseits aber wird niemand, der diese große Zeit offenen Auges
durchlebt, jemals wieder daran zweifeln dürfen, daß, um sich dem Wortlaut
jener Definition anzuschließen, der einzelne am besten für sich selber sorgt,
wenn er zugleich für die Allgemeinheit zu sorgen sucht, und zwar wird die
Geltung dieses Satzes um so größer sein, je größer die Beoeutung des einzelnen
oder seines Standes und Berufes innerhalb der Gesamtheit ist. Der Rang
verpflichtet; wer aber im wirtschaftlichen Leben eine besonders wichtige Rolle
spielt, folgt nicht allein seiner Anstandspflicht, sondern auch den Gesetzen poli¬
tischer Klugheit, wenn er nicht allein an sich selbst, sondern zugleich an alle


Neue Aufgaben des Unternehmertums

deutschen Wirtschaftspolitik Probleme aufrollen, die mit der überkommenen
Arbeitsweise unserer Bureaukratie — im besten Sinne des Wortes — nicht
gelöst werden könnten. Dieser Frage beizeiten näherzutreten, erscheint in der
Tat wichtig und dringlich. Nichts aber ist wichtiger und dringlicher — ab¬
gesehen von der Aufgabe, den Krieg zum guten Ende zu führen —, als die
Mittel zur Deckung der Kosten zu beschaffen, die der Krieg verursacht hat. Die
sechstausend Millionen jährlicher Mehreinnahmen des Reiches, die dazu er¬
forderlich sind, können bei Beendigung des Krieges nicht erst gesucht werden,
sondern sie müssen gefunden, beschlossen und bereit sein. Diesem Zweck in erster
Linie soll der Vorschlag eines ständigen Finanzansschusses dienen.




Neue Aufgaben des Unternehmertums
Or. Felix Kuh von

chon vor dem Kriege konnte man sagen, daß die Zeit des extremen
Individualismus überwunden war. Die alte Manchesterlehre
in ihrer reinsten Form, wonach für den Staat am besten gesorgt
war, wenn jeder einzelne für sich selbst am besten zu sorgen
suchte, hatte weder in der Theorie noch in der Praxis einen
nennenswerten Kreis von Anhängern, man war zur Einsicht gekommen, daß
zum mindesten mit dem berechtigten Selbstinteresse ein bewußtes Interesse für
die Gesamtheit und den Staat Hand in Hand gehen müßte. Es ist bekannt,
in welchem Maße sich die Sache durch den Krieg noch weiter zu Gunsten des
Gemeinsinnes verschoben hat. Ein nationalökonomischer, ein soziologischer Lehr¬
meister ersten Ranges ist der Krieg, er zeigt uns besser, als alle dicken Lehr¬
bücher es können, wo die Grenzen zwischen Individualismus und Sozialismus
liegen. Daß die Staatintervention nicht überall am Platze ist, erkennen wir
tagtäglich, andererseits aber wird niemand, der diese große Zeit offenen Auges
durchlebt, jemals wieder daran zweifeln dürfen, daß, um sich dem Wortlaut
jener Definition anzuschließen, der einzelne am besten für sich selber sorgt,
wenn er zugleich für die Allgemeinheit zu sorgen sucht, und zwar wird die
Geltung dieses Satzes um so größer sein, je größer die Beoeutung des einzelnen
oder seines Standes und Berufes innerhalb der Gesamtheit ist. Der Rang
verpflichtet; wer aber im wirtschaftlichen Leben eine besonders wichtige Rolle
spielt, folgt nicht allein seiner Anstandspflicht, sondern auch den Gesetzen poli¬
tischer Klugheit, wenn er nicht allein an sich selbst, sondern zugleich an alle


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[0292] Neue Aufgaben des Unternehmertums deutschen Wirtschaftspolitik Probleme aufrollen, die mit der überkommenen Arbeitsweise unserer Bureaukratie — im besten Sinne des Wortes — nicht gelöst werden könnten. Dieser Frage beizeiten näherzutreten, erscheint in der Tat wichtig und dringlich. Nichts aber ist wichtiger und dringlicher — ab¬ gesehen von der Aufgabe, den Krieg zum guten Ende zu führen —, als die Mittel zur Deckung der Kosten zu beschaffen, die der Krieg verursacht hat. Die sechstausend Millionen jährlicher Mehreinnahmen des Reiches, die dazu er¬ forderlich sind, können bei Beendigung des Krieges nicht erst gesucht werden, sondern sie müssen gefunden, beschlossen und bereit sein. Diesem Zweck in erster Linie soll der Vorschlag eines ständigen Finanzansschusses dienen. Neue Aufgaben des Unternehmertums Or. Felix Kuh von chon vor dem Kriege konnte man sagen, daß die Zeit des extremen Individualismus überwunden war. Die alte Manchesterlehre in ihrer reinsten Form, wonach für den Staat am besten gesorgt war, wenn jeder einzelne für sich selbst am besten zu sorgen suchte, hatte weder in der Theorie noch in der Praxis einen nennenswerten Kreis von Anhängern, man war zur Einsicht gekommen, daß zum mindesten mit dem berechtigten Selbstinteresse ein bewußtes Interesse für die Gesamtheit und den Staat Hand in Hand gehen müßte. Es ist bekannt, in welchem Maße sich die Sache durch den Krieg noch weiter zu Gunsten des Gemeinsinnes verschoben hat. Ein nationalökonomischer, ein soziologischer Lehr¬ meister ersten Ranges ist der Krieg, er zeigt uns besser, als alle dicken Lehr¬ bücher es können, wo die Grenzen zwischen Individualismus und Sozialismus liegen. Daß die Staatintervention nicht überall am Platze ist, erkennen wir tagtäglich, andererseits aber wird niemand, der diese große Zeit offenen Auges durchlebt, jemals wieder daran zweifeln dürfen, daß, um sich dem Wortlaut jener Definition anzuschließen, der einzelne am besten für sich selber sorgt, wenn er zugleich für die Allgemeinheit zu sorgen sucht, und zwar wird die Geltung dieses Satzes um so größer sein, je größer die Beoeutung des einzelnen oder seines Standes und Berufes innerhalb der Gesamtheit ist. Der Rang verpflichtet; wer aber im wirtschaftlichen Leben eine besonders wichtige Rolle spielt, folgt nicht allein seiner Anstandspflicht, sondern auch den Gesetzen poli¬ tischer Klugheit, wenn er nicht allein an sich selbst, sondern zugleich an alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/292>, abgerufen am 23.07.2024.