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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte des warschauer deutschen Zeitungswesens

Willen des Besitzers nehmen, heißt mit einem Wort stehlen. Charakteristisch
sür Mitzler ist die außerordentliche Vorsicht, mit der er die angezeigten Bücher
bespricht, Dadurch erhält seine Kritik einen allgemeinen blassen Ton. Aus
Furcht anzustoßen, erhebt sie sich kaum über Allgemeinheiten. Tadelnde
Äußerungen oder spezielle lobende Urteile fehlen fast ganz. Im Gegensatz zu
der deutschen und namentlich zu der französischen Kritik jener Tage, die in
Berücksichtigung des einzelnen des Guten wieder allzuviel tat.

Indessen, nur wo es sich um literarische Kritik handelt, verfährt Mitzler in dieser
Weise. Dort, wo das Wohl der Nation in Frage kommt, hat er den Mut,
auch ihre Fehler rücksichtslos ans Licht zu ziehen und sie darum zu tadeln.
Namentlich die geringe Achtung, die den Wissenschaften in Polen gezollt wird,
kann er nicht verzeihen. Ganz gehörig geht er mit den Polen ins Gericht,
wenn er sich zusammen mit Zalnski über ihre "ungemeine Nachlastgkeit in
Bekanntmachung ihrer Schrifften" beschwert. Er wirft seinen Landsleuten
vor, daß sie auf dem Gebiete der Wissenschaften und Künste immer die letzten
seien. "Fraget man nach der Ursach, so sind wir mit der richtigen Antwort
gleich fertig: Von der nachläsigen Erziehung junger Leute; welche daher
kommt, daß Akademien und Schulen nicht so bestellt sind, wie sie sein sollten
und könnten". Mit großer Freiheit und Kühnheit wirft er den Polen vor,
daß sie die Wahrheit nicht vertragen können und die redlichsten Skribenten zu
Sklaven machen wollen. Das Publikum war über solche Angriffe natürlich
sehr erbost und warf Mitzler vor, daß er die polnische Nation verkennte.
Und sogar ein so hervorragend begabter und freidenkender Geist wie Janocki
meinte, daß sich Mitzler "in seinen Beurteilungen derer Polen allzu streng
erweise". Auf diese Kritik durfte Mitzler mit Recht stolz erwidern: "Im
Reich der Wissenschaften gehet die Wahrheit über alles, wie kann sich also ein
redlicher Skribent überwinden, solche nicht zu bekennen, und zum Nutzen der
jetzigen und der Nachwelt zu wahren----Niemand lasse sich also in Zukunft
befremden, wenn wir ferner zur Beförderung des Guten die Wahrheit ohn¬
gescheut schreiben werden. Die Wahrheit soll unseren Kiel führen und die Be¬
scheidenheit soll den Ausdruck an die Hand geben".

Es ist schade, daß Mitzler nicht in diesem Sinne fortgefahren ist. Er
glaubte offenbar, wenn er weiter nach solchen Grundsätzen schriebe, in Polen
unmöglich zu werden. Es ist daher begreiflich, daß er seine Zeitschrift, da er
sie nach seiner Überzeugung nicht fortsetzen zu können glaubte, überhaupt ein-
gehen ließ. So bietet uns diese erste polnische literarische Zeitschrift in deutscher
Sprache, die zugleich die erste literarische Zeitschrift in Polen überhaupt war.
im großen und ganzen nur ein gut aufgestelltes Programm, das nicht in der¬
selben Weise durchgeführt worden ist. Mitzlers Verdienst bleibt es aber, einen
Anstoß gegeben zu haben, und jedenfalls hat die "Warschauer Bibliothek"
dazu geholfen, daß. wie es Mitzler selbst von einer Arbeit Janockis sagt, "nun
die Ausländer und sonderlich die Deutschen anfangen, die polnischen Skribenten


Grenzboten III 1916 ^
Zur Geschichte des warschauer deutschen Zeitungswesens

Willen des Besitzers nehmen, heißt mit einem Wort stehlen. Charakteristisch
sür Mitzler ist die außerordentliche Vorsicht, mit der er die angezeigten Bücher
bespricht, Dadurch erhält seine Kritik einen allgemeinen blassen Ton. Aus
Furcht anzustoßen, erhebt sie sich kaum über Allgemeinheiten. Tadelnde
Äußerungen oder spezielle lobende Urteile fehlen fast ganz. Im Gegensatz zu
der deutschen und namentlich zu der französischen Kritik jener Tage, die in
Berücksichtigung des einzelnen des Guten wieder allzuviel tat.

Indessen, nur wo es sich um literarische Kritik handelt, verfährt Mitzler in dieser
Weise. Dort, wo das Wohl der Nation in Frage kommt, hat er den Mut,
auch ihre Fehler rücksichtslos ans Licht zu ziehen und sie darum zu tadeln.
Namentlich die geringe Achtung, die den Wissenschaften in Polen gezollt wird,
kann er nicht verzeihen. Ganz gehörig geht er mit den Polen ins Gericht,
wenn er sich zusammen mit Zalnski über ihre „ungemeine Nachlastgkeit in
Bekanntmachung ihrer Schrifften" beschwert. Er wirft seinen Landsleuten
vor, daß sie auf dem Gebiete der Wissenschaften und Künste immer die letzten
seien. „Fraget man nach der Ursach, so sind wir mit der richtigen Antwort
gleich fertig: Von der nachläsigen Erziehung junger Leute; welche daher
kommt, daß Akademien und Schulen nicht so bestellt sind, wie sie sein sollten
und könnten". Mit großer Freiheit und Kühnheit wirft er den Polen vor,
daß sie die Wahrheit nicht vertragen können und die redlichsten Skribenten zu
Sklaven machen wollen. Das Publikum war über solche Angriffe natürlich
sehr erbost und warf Mitzler vor, daß er die polnische Nation verkennte.
Und sogar ein so hervorragend begabter und freidenkender Geist wie Janocki
meinte, daß sich Mitzler „in seinen Beurteilungen derer Polen allzu streng
erweise". Auf diese Kritik durfte Mitzler mit Recht stolz erwidern: „Im
Reich der Wissenschaften gehet die Wahrheit über alles, wie kann sich also ein
redlicher Skribent überwinden, solche nicht zu bekennen, und zum Nutzen der
jetzigen und der Nachwelt zu wahren----Niemand lasse sich also in Zukunft
befremden, wenn wir ferner zur Beförderung des Guten die Wahrheit ohn¬
gescheut schreiben werden. Die Wahrheit soll unseren Kiel führen und die Be¬
scheidenheit soll den Ausdruck an die Hand geben".

Es ist schade, daß Mitzler nicht in diesem Sinne fortgefahren ist. Er
glaubte offenbar, wenn er weiter nach solchen Grundsätzen schriebe, in Polen
unmöglich zu werden. Es ist daher begreiflich, daß er seine Zeitschrift, da er
sie nach seiner Überzeugung nicht fortsetzen zu können glaubte, überhaupt ein-
gehen ließ. So bietet uns diese erste polnische literarische Zeitschrift in deutscher
Sprache, die zugleich die erste literarische Zeitschrift in Polen überhaupt war.
im großen und ganzen nur ein gut aufgestelltes Programm, das nicht in der¬
selben Weise durchgeführt worden ist. Mitzlers Verdienst bleibt es aber, einen
Anstoß gegeben zu haben, und jedenfalls hat die „Warschauer Bibliothek"
dazu geholfen, daß. wie es Mitzler selbst von einer Arbeit Janockis sagt, „nun
die Ausländer und sonderlich die Deutschen anfangen, die polnischen Skribenten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/284>, abgerufen am 23.07.2024.