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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und die Koalition

Überlegung, wirkliche Arbeit, Anspannung der Energie und Produktivität aus¬
schließt und dafür auf einer Reduzierung des Lebens, auf seiner Unfrucht-
barkeit beruht, also auf der Rückkehr zu den primitiven Zeiten, wo der Krieg
lediglich Vernichtung war. Daher denn die weitere konsequente Erscheinung
der Primitivität: die Geringschätzung der Zeit. Der primitive Mensch war
vor allem ein Zeitverschwender. Erst die Zivilisation hat uns gelehrt mit
jeder verdauen Stunde wie mit einer unwiederbringlichen, niewiederkehrenden
Sache zu rechnen. Die Zivilisation hat uns den Grundsatz eingeprägt, daß
Zeit Geld ist. Während des Krieges müßte man hinzufügen: Geld und Blut.
Wie haben nun Angesichts obigen Grundsatzes die Koalitionsmächte ihr Examen
in zivilisatorischer Reife bestanden? Allgemein wiederholt man, daß die
Koalition den Nachdruck auf die Wirksamkeit der Zeit legt, daß sie die Zeit
geschickt als ihr Werkzeug ausnütze. Aber wie nützt sie sie denn aus? Sie
bedient sich ihrer auf eine Weise, daß sie sie nutzlos und unwiederbringlich
verliert. Wir greifen nicht weiter und nehmen das erste beste Beispiel, die
jüngst in Warschau neuerstandene polnische Universität, und fragen, ob jeder
neue Monat ihrer Dauer und ihrer Entwicklung die Koalition begünstigt, oder
ihre Pläne kreuzt? Begünstigt sie die Rückkehr der Russen oder steht sie ihr im Wege?
Es ist das ein mikroskopisches Atom in dem Kriegsgetümmel, aber die innerhalb
dieses Atoms arbeitende Zeit arbeitet gerade gegen die, die auf sie rechnen.

Und gerade darin, in dem Rechnen mit der Zeit, besteht der grundlegende
Unterschied zwischen der Koalition und Deutschland. Die Koalition stellt sich
keine Termine, sie hat Zeit zu allem, um nichts zu unternehmen, sie mußte in
der Folge zu einer Entspannung der Energie kommen, die an Faulenzerei
grenzt. Ihr grundsätzliches Handeln von Herbst zu Frühling, von Frühling
zum neuen Herbst vertagend, saulenzt die Koalition auf dem Gebiete von
Initiative und Produktivität, weicht mit Ausflüchten den Aufgaben aus, die
ihr die Mittelmächte ein über das andere Mal stellen. Anders Deutschland.
Die ganze Wichtigkeit der Zeit empfindend und den Krieg in gewisse Termine
einigend, hat es von Anfang an den Erfolg des Krieges auf Anspannung der
Energie und auf Organisation der Mittel und Wege zum Siege aufgebaut.
Während die Koalition sich am Duft eingebildeter Lorbeeren berauschte, sog
Deutschland mit Wollust das Sturmesbrcmseu der entfesselten Kraft seines
Volkes ein. Es nahm keine fremden Hauptstädte in Besitz vor ihrer Er¬
oberung, aber es ließ alle Pulse seiner zu den höchsten Opfern bereiten Macht
schlagen. Es hörte nicht auf das Rauschen der Galafähnchen, sondern
auf das Rauschen und Brausen seines Blutes, das nach energischem Handeln
verlangte. Während die Koalition auf der Hoffnung ihrer Siege wie auf
einem Kopfkissen einschlief, um zur Unzen auf dem Schauplatz der Niederlage
Zu erwachen, belaste Deutschland, den Arm zur Tat erhoben, die Siegesernte
gleichsam unwillkürlich und so nebenher ein. So würde Deutschland auch dann
aus dem Kriege geeint und gestärkt hervorgehen, wenn er ihm nicht so ent-


Deutschland und die Koalition

Überlegung, wirkliche Arbeit, Anspannung der Energie und Produktivität aus¬
schließt und dafür auf einer Reduzierung des Lebens, auf seiner Unfrucht-
barkeit beruht, also auf der Rückkehr zu den primitiven Zeiten, wo der Krieg
lediglich Vernichtung war. Daher denn die weitere konsequente Erscheinung
der Primitivität: die Geringschätzung der Zeit. Der primitive Mensch war
vor allem ein Zeitverschwender. Erst die Zivilisation hat uns gelehrt mit
jeder verdauen Stunde wie mit einer unwiederbringlichen, niewiederkehrenden
Sache zu rechnen. Die Zivilisation hat uns den Grundsatz eingeprägt, daß
Zeit Geld ist. Während des Krieges müßte man hinzufügen: Geld und Blut.
Wie haben nun Angesichts obigen Grundsatzes die Koalitionsmächte ihr Examen
in zivilisatorischer Reife bestanden? Allgemein wiederholt man, daß die
Koalition den Nachdruck auf die Wirksamkeit der Zeit legt, daß sie die Zeit
geschickt als ihr Werkzeug ausnütze. Aber wie nützt sie sie denn aus? Sie
bedient sich ihrer auf eine Weise, daß sie sie nutzlos und unwiederbringlich
verliert. Wir greifen nicht weiter und nehmen das erste beste Beispiel, die
jüngst in Warschau neuerstandene polnische Universität, und fragen, ob jeder
neue Monat ihrer Dauer und ihrer Entwicklung die Koalition begünstigt, oder
ihre Pläne kreuzt? Begünstigt sie die Rückkehr der Russen oder steht sie ihr im Wege?
Es ist das ein mikroskopisches Atom in dem Kriegsgetümmel, aber die innerhalb
dieses Atoms arbeitende Zeit arbeitet gerade gegen die, die auf sie rechnen.

Und gerade darin, in dem Rechnen mit der Zeit, besteht der grundlegende
Unterschied zwischen der Koalition und Deutschland. Die Koalition stellt sich
keine Termine, sie hat Zeit zu allem, um nichts zu unternehmen, sie mußte in
der Folge zu einer Entspannung der Energie kommen, die an Faulenzerei
grenzt. Ihr grundsätzliches Handeln von Herbst zu Frühling, von Frühling
zum neuen Herbst vertagend, saulenzt die Koalition auf dem Gebiete von
Initiative und Produktivität, weicht mit Ausflüchten den Aufgaben aus, die
ihr die Mittelmächte ein über das andere Mal stellen. Anders Deutschland.
Die ganze Wichtigkeit der Zeit empfindend und den Krieg in gewisse Termine
einigend, hat es von Anfang an den Erfolg des Krieges auf Anspannung der
Energie und auf Organisation der Mittel und Wege zum Siege aufgebaut.
Während die Koalition sich am Duft eingebildeter Lorbeeren berauschte, sog
Deutschland mit Wollust das Sturmesbrcmseu der entfesselten Kraft seines
Volkes ein. Es nahm keine fremden Hauptstädte in Besitz vor ihrer Er¬
oberung, aber es ließ alle Pulse seiner zu den höchsten Opfern bereiten Macht
schlagen. Es hörte nicht auf das Rauschen der Galafähnchen, sondern
auf das Rauschen und Brausen seines Blutes, das nach energischem Handeln
verlangte. Während die Koalition auf der Hoffnung ihrer Siege wie auf
einem Kopfkissen einschlief, um zur Unzen auf dem Schauplatz der Niederlage
Zu erwachen, belaste Deutschland, den Arm zur Tat erhoben, die Siegesernte
gleichsam unwillkürlich und so nebenher ein. So würde Deutschland auch dann
aus dem Kriege geeint und gestärkt hervorgehen, wenn er ihm nicht so ent-


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[0027] Deutschland und die Koalition Überlegung, wirkliche Arbeit, Anspannung der Energie und Produktivität aus¬ schließt und dafür auf einer Reduzierung des Lebens, auf seiner Unfrucht- barkeit beruht, also auf der Rückkehr zu den primitiven Zeiten, wo der Krieg lediglich Vernichtung war. Daher denn die weitere konsequente Erscheinung der Primitivität: die Geringschätzung der Zeit. Der primitive Mensch war vor allem ein Zeitverschwender. Erst die Zivilisation hat uns gelehrt mit jeder verdauen Stunde wie mit einer unwiederbringlichen, niewiederkehrenden Sache zu rechnen. Die Zivilisation hat uns den Grundsatz eingeprägt, daß Zeit Geld ist. Während des Krieges müßte man hinzufügen: Geld und Blut. Wie haben nun Angesichts obigen Grundsatzes die Koalitionsmächte ihr Examen in zivilisatorischer Reife bestanden? Allgemein wiederholt man, daß die Koalition den Nachdruck auf die Wirksamkeit der Zeit legt, daß sie die Zeit geschickt als ihr Werkzeug ausnütze. Aber wie nützt sie sie denn aus? Sie bedient sich ihrer auf eine Weise, daß sie sie nutzlos und unwiederbringlich verliert. Wir greifen nicht weiter und nehmen das erste beste Beispiel, die jüngst in Warschau neuerstandene polnische Universität, und fragen, ob jeder neue Monat ihrer Dauer und ihrer Entwicklung die Koalition begünstigt, oder ihre Pläne kreuzt? Begünstigt sie die Rückkehr der Russen oder steht sie ihr im Wege? Es ist das ein mikroskopisches Atom in dem Kriegsgetümmel, aber die innerhalb dieses Atoms arbeitende Zeit arbeitet gerade gegen die, die auf sie rechnen. Und gerade darin, in dem Rechnen mit der Zeit, besteht der grundlegende Unterschied zwischen der Koalition und Deutschland. Die Koalition stellt sich keine Termine, sie hat Zeit zu allem, um nichts zu unternehmen, sie mußte in der Folge zu einer Entspannung der Energie kommen, die an Faulenzerei grenzt. Ihr grundsätzliches Handeln von Herbst zu Frühling, von Frühling zum neuen Herbst vertagend, saulenzt die Koalition auf dem Gebiete von Initiative und Produktivität, weicht mit Ausflüchten den Aufgaben aus, die ihr die Mittelmächte ein über das andere Mal stellen. Anders Deutschland. Die ganze Wichtigkeit der Zeit empfindend und den Krieg in gewisse Termine einigend, hat es von Anfang an den Erfolg des Krieges auf Anspannung der Energie und auf Organisation der Mittel und Wege zum Siege aufgebaut. Während die Koalition sich am Duft eingebildeter Lorbeeren berauschte, sog Deutschland mit Wollust das Sturmesbrcmseu der entfesselten Kraft seines Volkes ein. Es nahm keine fremden Hauptstädte in Besitz vor ihrer Er¬ oberung, aber es ließ alle Pulse seiner zu den höchsten Opfern bereiten Macht schlagen. Es hörte nicht auf das Rauschen der Galafähnchen, sondern auf das Rauschen und Brausen seines Blutes, das nach energischem Handeln verlangte. Während die Koalition auf der Hoffnung ihrer Siege wie auf einem Kopfkissen einschlief, um zur Unzen auf dem Schauplatz der Niederlage Zu erwachen, belaste Deutschland, den Arm zur Tat erhoben, die Siegesernte gleichsam unwillkürlich und so nebenher ein. So würde Deutschland auch dann aus dem Kriege geeint und gestärkt hervorgehen, wenn er ihm nicht so ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/27>, abgerufen am 26.06.2024.