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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Persönlichkeit als Idee der Beschichte und des Weltkrieges

unseren Beziehungen zu Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei wird
die Hauptaufgabe unserer zukünftigen Friedensarbeit sein. Diesen Zweck muß
darum auch unsere Volkserziehung immer mehr in den Mittelpunkt ihrer
Arbeit stellen. Die Erziehung hat speziell hinzuwirken auf Reinhaltung des
Geschlechtslebens und unbedingte Heiligung der Ehe, auf wachsende soziale
Gleichachtung aller Berufe und auf zweckentsprechende Fortbildung unseres ge¬
samten Schulwesens, wozu Dietrich den "Sachverständigen" die positiven Vor¬
schläge überlassen will.

In diesem Programm spricht der gute Wille eines edlen Menschen zu uns,
der an sein Volk und an die Größe der Zeit glaubt. Es werden nicht alle
Blütenträume reifen. Der Staatsmann wird auch nach dem Kriege zunächst
noch besser tun, nach diplomatischen statt nach ethische" Grundsätzen zu verfahren,
und wird vorurteilslos mit den vorhandenen Mächten und Kräften rechnen
müssen, gleichviel ob sie gut oder schlecht sind. Auch die Parteipolitik wird
mit der alten Leidenschaft einsetzen, und das Privatleben der Menschen wird
seine Flecke behalten. Der wirkende Mensch darf eben die Berührung mit dem
sündhaften nicht scheuen. Darum wird aber auch das Erlösungsbedürfnis der
Menschen das alte bleiben, und deshalb werden die objektiven Mächte der
Religion eine größere Bedeutung behalten, als der optimistische Hegelianer in
seinem Buche erkennen läßt. Ich glaube gern mit Dietrich an eine bessere
Zukunft der menschlichen Gattung und an ein Wachstum der Bedeutung der
ethischen Persönlichkeit in dieser Welt. Aber wie ich die metaphysische Herrscher-
stellung der Idee des "Personalismus" über die empirische Geschichte in dieser
leider nicht mit ihm zu erkennen vermag, so bin ich auch der Meinung, daß
dieser Krieg weder Lüge noch Gewalttat, weder Interessenpolitik noch Herden"
gesinnung überwinden wird. Sowohl mit Bosheit wie mit typischer Massen-
haftigkeit aller Art wird die Persönlichkeit nach wie vor ringen müssen, ja sie
wird sogar auch in Zukunft noch manchmal unterliegen. Darum schreibe ich
dem Zwang der geistigen Kollektivmächte, also der Kirchen und sonstigen Welt¬
anschauungsvereinigungen, die einen brauchbaren Typus pflegen und erhalten,
größere und auch segensreichere Bedeutung zu als Dietrich, der dies fast zu
übersehen scheint.

Man kann zufrieden sein, wenn unser Volk aus diesem Kriege das eine
in Fichteschen Geiste erkennen und glauben lernt, daß es überhaupt einen
weltgeschichtlichen Beruf hat; daß es, wenn ihm der Sieg geschenkt wird,
entschlossen ist, durch Arbeit an seiner inneren und äußeren Tüchtigkeit und am
Fortschritt seiner Bundesgenossen, den Sieg an jedem Friedenstag neu zu
erwerben. Weltgeltung soll unser Volk bekommen und einen Kultnreinfluß. der
nicht in Äonen untergeht. "Persönlichkeit als Massenerscheinung" ist ein noch
zu fernes Ziel!




Persönlichkeit als Idee der Beschichte und des Weltkrieges

unseren Beziehungen zu Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei wird
die Hauptaufgabe unserer zukünftigen Friedensarbeit sein. Diesen Zweck muß
darum auch unsere Volkserziehung immer mehr in den Mittelpunkt ihrer
Arbeit stellen. Die Erziehung hat speziell hinzuwirken auf Reinhaltung des
Geschlechtslebens und unbedingte Heiligung der Ehe, auf wachsende soziale
Gleichachtung aller Berufe und auf zweckentsprechende Fortbildung unseres ge¬
samten Schulwesens, wozu Dietrich den „Sachverständigen" die positiven Vor¬
schläge überlassen will.

In diesem Programm spricht der gute Wille eines edlen Menschen zu uns,
der an sein Volk und an die Größe der Zeit glaubt. Es werden nicht alle
Blütenträume reifen. Der Staatsmann wird auch nach dem Kriege zunächst
noch besser tun, nach diplomatischen statt nach ethische» Grundsätzen zu verfahren,
und wird vorurteilslos mit den vorhandenen Mächten und Kräften rechnen
müssen, gleichviel ob sie gut oder schlecht sind. Auch die Parteipolitik wird
mit der alten Leidenschaft einsetzen, und das Privatleben der Menschen wird
seine Flecke behalten. Der wirkende Mensch darf eben die Berührung mit dem
sündhaften nicht scheuen. Darum wird aber auch das Erlösungsbedürfnis der
Menschen das alte bleiben, und deshalb werden die objektiven Mächte der
Religion eine größere Bedeutung behalten, als der optimistische Hegelianer in
seinem Buche erkennen läßt. Ich glaube gern mit Dietrich an eine bessere
Zukunft der menschlichen Gattung und an ein Wachstum der Bedeutung der
ethischen Persönlichkeit in dieser Welt. Aber wie ich die metaphysische Herrscher-
stellung der Idee des „Personalismus" über die empirische Geschichte in dieser
leider nicht mit ihm zu erkennen vermag, so bin ich auch der Meinung, daß
dieser Krieg weder Lüge noch Gewalttat, weder Interessenpolitik noch Herden»
gesinnung überwinden wird. Sowohl mit Bosheit wie mit typischer Massen-
haftigkeit aller Art wird die Persönlichkeit nach wie vor ringen müssen, ja sie
wird sogar auch in Zukunft noch manchmal unterliegen. Darum schreibe ich
dem Zwang der geistigen Kollektivmächte, also der Kirchen und sonstigen Welt¬
anschauungsvereinigungen, die einen brauchbaren Typus pflegen und erhalten,
größere und auch segensreichere Bedeutung zu als Dietrich, der dies fast zu
übersehen scheint.

Man kann zufrieden sein, wenn unser Volk aus diesem Kriege das eine
in Fichteschen Geiste erkennen und glauben lernt, daß es überhaupt einen
weltgeschichtlichen Beruf hat; daß es, wenn ihm der Sieg geschenkt wird,
entschlossen ist, durch Arbeit an seiner inneren und äußeren Tüchtigkeit und am
Fortschritt seiner Bundesgenossen, den Sieg an jedem Friedenstag neu zu
erwerben. Weltgeltung soll unser Volk bekommen und einen Kultnreinfluß. der
nicht in Äonen untergeht. „Persönlichkeit als Massenerscheinung" ist ein noch
zu fernes Ziel!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/227>, abgerufen am 23.07.2024.