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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Rudolf Gneist

Abgeordnetenhause, später auch im Reichstage. Diese Zeiten werden gekenn¬
zeichnet einmal durch den Konflikt über die Armeereorganisation und dann
durch den Kulturkampf. In beiden Fragen ließ Gneist, in einem engherzigen
Bannkreise von juristischen Paragraphen umfangen, den weiten staatsmännischen
Blick vermissen und gehörte daher zu denjenigen, über deren politische Wirk¬
samkeit die Geschichte zur Tagesordnung überging.

Es ist heute kein Wort mehr über jene politischen Schwärmer ohne jedes
realpolitische Denken zu verlieren, die zwar die Einigung Deutschlands wollten,
aber dem preußischen Staate das einzige Mittel zur Erreichung jenes Zieles,
ein starkes Heer, zu beschneiden beabsichtigten. Das war die erbliche Be¬
lastung aus einem gänzlich unpolitischen Zeitalter, die erst unter Bismarcks
Schulung einer realpolitischen Richtung gewichen ist. Bedenklicher war es, daß
Gneist mit unzureichenden Gründen die Gesetzwidrigkeit der Armeereorganisation
nachzuweisen unternahm und dabei dem Kriegsminister von Roon im Ab¬
geordnetenhause sogar vorwarf, er trage das Kainszeichen des Eidbruches an
der Stirn. Über die Irrtümer der Konfliktszeit gingen die Ereignisse des
Jahres 1866 zur Tagesordnung über. Das, was Gneist für Preußen als
bereits geltendes Recht behauptet hatte, die gesetzliche Grundlage der gesamten
Heeresverfassnng, wurde tatsächlich erst im neuen Bundesstaate verwirklicht.
Damit wird für uns die Konfliktszeit zur abgetanen geschichtlichen Episode. Gneist
hat selbst ihre Irrtümer anerkannt, indem er sich nunmehr der neuen national¬
liberalen Partei anschloß, die die Bismarcksche Politik zu unterstützen übernahm.

Die katholische Kirche wieder der Staatshoheit des paritätischen Staates
zu unterwerfen, nachdem die preußische Verfassungsurkunde unter Aufnahme
belgischer Verfassungsartikel alle Schranken niedergerissen hatte, war gewiß eine
geschichtlich-politische Notwendigkeit. Aber die Art der Ausführung durch die
Gesetzgebung der Kultmkampfzeit konnte nur erwachsen auf dem Boden einer
Weltfreuden Bureaukratie, die von dem inneren Wesen der katholischen Kirche
keine Ahnung hat. Indem man in die dogmatischen Grundlagen der katholi¬
schen Kirchenverfassung eingriff, erweckte man in den katholischen Untertanen
einen Zwiespalt zwischen ihrer Gehorsamspflicht gegen den Staat und ihrer
religiösen Gewissenspflicht. Bismarck selbst hat später die Verantwortlichkeit
für die Einzelarbeit der Maigesetze abgelehnt und erklärt, durch die Praxis
sei ihm der Mißgriff klar geworden. Neben dem Kultusminister Falk war
es parlamentarisch in hervorragendem Maße Gneist, der als Nationalliberaler
bei dieser Gesetzgebung mitwirkte.

In engster Verbindung mit der Kirche stand die Schule. Hier hatte
Gneist schon 1869 literarisch das Wort ergriffen, indem er entgegen der
lebendigen Verwaltungspraxis die konfessionelle Schule geradezu für eine
pseudoisidonsche Fälschung des preußischen Beamtentums erklärte.

Die hervorragende Betätigung Greises auf dem Gebiete von Kirche und
Schule legten damals sogar den Gedanken nahe, ihn selbst das Kultusministerium


Rudolf Gneist

Abgeordnetenhause, später auch im Reichstage. Diese Zeiten werden gekenn¬
zeichnet einmal durch den Konflikt über die Armeereorganisation und dann
durch den Kulturkampf. In beiden Fragen ließ Gneist, in einem engherzigen
Bannkreise von juristischen Paragraphen umfangen, den weiten staatsmännischen
Blick vermissen und gehörte daher zu denjenigen, über deren politische Wirk¬
samkeit die Geschichte zur Tagesordnung überging.

Es ist heute kein Wort mehr über jene politischen Schwärmer ohne jedes
realpolitische Denken zu verlieren, die zwar die Einigung Deutschlands wollten,
aber dem preußischen Staate das einzige Mittel zur Erreichung jenes Zieles,
ein starkes Heer, zu beschneiden beabsichtigten. Das war die erbliche Be¬
lastung aus einem gänzlich unpolitischen Zeitalter, die erst unter Bismarcks
Schulung einer realpolitischen Richtung gewichen ist. Bedenklicher war es, daß
Gneist mit unzureichenden Gründen die Gesetzwidrigkeit der Armeereorganisation
nachzuweisen unternahm und dabei dem Kriegsminister von Roon im Ab¬
geordnetenhause sogar vorwarf, er trage das Kainszeichen des Eidbruches an
der Stirn. Über die Irrtümer der Konfliktszeit gingen die Ereignisse des
Jahres 1866 zur Tagesordnung über. Das, was Gneist für Preußen als
bereits geltendes Recht behauptet hatte, die gesetzliche Grundlage der gesamten
Heeresverfassnng, wurde tatsächlich erst im neuen Bundesstaate verwirklicht.
Damit wird für uns die Konfliktszeit zur abgetanen geschichtlichen Episode. Gneist
hat selbst ihre Irrtümer anerkannt, indem er sich nunmehr der neuen national¬
liberalen Partei anschloß, die die Bismarcksche Politik zu unterstützen übernahm.

Die katholische Kirche wieder der Staatshoheit des paritätischen Staates
zu unterwerfen, nachdem die preußische Verfassungsurkunde unter Aufnahme
belgischer Verfassungsartikel alle Schranken niedergerissen hatte, war gewiß eine
geschichtlich-politische Notwendigkeit. Aber die Art der Ausführung durch die
Gesetzgebung der Kultmkampfzeit konnte nur erwachsen auf dem Boden einer
Weltfreuden Bureaukratie, die von dem inneren Wesen der katholischen Kirche
keine Ahnung hat. Indem man in die dogmatischen Grundlagen der katholi¬
schen Kirchenverfassung eingriff, erweckte man in den katholischen Untertanen
einen Zwiespalt zwischen ihrer Gehorsamspflicht gegen den Staat und ihrer
religiösen Gewissenspflicht. Bismarck selbst hat später die Verantwortlichkeit
für die Einzelarbeit der Maigesetze abgelehnt und erklärt, durch die Praxis
sei ihm der Mißgriff klar geworden. Neben dem Kultusminister Falk war
es parlamentarisch in hervorragendem Maße Gneist, der als Nationalliberaler
bei dieser Gesetzgebung mitwirkte.

In engster Verbindung mit der Kirche stand die Schule. Hier hatte
Gneist schon 1869 literarisch das Wort ergriffen, indem er entgegen der
lebendigen Verwaltungspraxis die konfessionelle Schule geradezu für eine
pseudoisidonsche Fälschung des preußischen Beamtentums erklärte.

Die hervorragende Betätigung Greises auf dem Gebiete von Kirche und
Schule legten damals sogar den Gedanken nahe, ihn selbst das Kultusministerium


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[0187] Rudolf Gneist Abgeordnetenhause, später auch im Reichstage. Diese Zeiten werden gekenn¬ zeichnet einmal durch den Konflikt über die Armeereorganisation und dann durch den Kulturkampf. In beiden Fragen ließ Gneist, in einem engherzigen Bannkreise von juristischen Paragraphen umfangen, den weiten staatsmännischen Blick vermissen und gehörte daher zu denjenigen, über deren politische Wirk¬ samkeit die Geschichte zur Tagesordnung überging. Es ist heute kein Wort mehr über jene politischen Schwärmer ohne jedes realpolitische Denken zu verlieren, die zwar die Einigung Deutschlands wollten, aber dem preußischen Staate das einzige Mittel zur Erreichung jenes Zieles, ein starkes Heer, zu beschneiden beabsichtigten. Das war die erbliche Be¬ lastung aus einem gänzlich unpolitischen Zeitalter, die erst unter Bismarcks Schulung einer realpolitischen Richtung gewichen ist. Bedenklicher war es, daß Gneist mit unzureichenden Gründen die Gesetzwidrigkeit der Armeereorganisation nachzuweisen unternahm und dabei dem Kriegsminister von Roon im Ab¬ geordnetenhause sogar vorwarf, er trage das Kainszeichen des Eidbruches an der Stirn. Über die Irrtümer der Konfliktszeit gingen die Ereignisse des Jahres 1866 zur Tagesordnung über. Das, was Gneist für Preußen als bereits geltendes Recht behauptet hatte, die gesetzliche Grundlage der gesamten Heeresverfassnng, wurde tatsächlich erst im neuen Bundesstaate verwirklicht. Damit wird für uns die Konfliktszeit zur abgetanen geschichtlichen Episode. Gneist hat selbst ihre Irrtümer anerkannt, indem er sich nunmehr der neuen national¬ liberalen Partei anschloß, die die Bismarcksche Politik zu unterstützen übernahm. Die katholische Kirche wieder der Staatshoheit des paritätischen Staates zu unterwerfen, nachdem die preußische Verfassungsurkunde unter Aufnahme belgischer Verfassungsartikel alle Schranken niedergerissen hatte, war gewiß eine geschichtlich-politische Notwendigkeit. Aber die Art der Ausführung durch die Gesetzgebung der Kultmkampfzeit konnte nur erwachsen auf dem Boden einer Weltfreuden Bureaukratie, die von dem inneren Wesen der katholischen Kirche keine Ahnung hat. Indem man in die dogmatischen Grundlagen der katholi¬ schen Kirchenverfassung eingriff, erweckte man in den katholischen Untertanen einen Zwiespalt zwischen ihrer Gehorsamspflicht gegen den Staat und ihrer religiösen Gewissenspflicht. Bismarck selbst hat später die Verantwortlichkeit für die Einzelarbeit der Maigesetze abgelehnt und erklärt, durch die Praxis sei ihm der Mißgriff klar geworden. Neben dem Kultusminister Falk war es parlamentarisch in hervorragendem Maße Gneist, der als Nationalliberaler bei dieser Gesetzgebung mitwirkte. In engster Verbindung mit der Kirche stand die Schule. Hier hatte Gneist schon 1869 literarisch das Wort ergriffen, indem er entgegen der lebendigen Verwaltungspraxis die konfessionelle Schule geradezu für eine pseudoisidonsche Fälschung des preußischen Beamtentums erklärte. Die hervorragende Betätigung Greises auf dem Gebiete von Kirche und Schule legten damals sogar den Gedanken nahe, ihn selbst das Kultusministerium

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/187>, abgerufen am 23.07.2024.