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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Stimmen der Vergangenheit

persönlichen Wertmaßstäben, wie sie namentlich den Darstellungen älterer Ge¬
lehrtengenerationen eigen war, aufgelehnt, aber damit die Tatsache nicht aus
der Welt schaffen können, daß geistige Zusammenhänge in der Geschichte sichtbar
werden und sich zu Ideen verdichten, die wir bewerten und zu praktischen Idealen
erheben. Je nachdem die Geistesart eines Menschen der denkenden Betrachtung
oder der Handlung zuneigt, wird er als Historiker der mehr kontemplativer
"objektiven", oder der aktiven "subjektiven" Richtung angehören, wofür uns
Ranke und Treitschke Beispiele sind.

Wir wissen, was unsere Gegner im gegenwärtigen Kriege aus Treitschke
gemacht haben*), kennen das Zerrbild seines heißen, guten Wollens, das uns
heute stärker ergreift denn je, und doch ist es nicht er, sondern Ranke, dem der
Buchhandel jetzt den Weg ins breite Publikum ebnet. In zehn hübschen Bänden
sind seine "Meisterwerke" (Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation
3 Bde., Römische Päpste in den letzten vier Jahrhunderten 3 Bde., Geschichte
Wallensteins 1 Bd., Kleinere Schriften 1 Bd.) bei Duncker u. Humblot (München
und Leipzig 1915) erschienen. Dies ist eine Mahnung zur Ruhe und Sach¬
lichkeit. Rankes Größe lag ja in der Auffindung und Benutzung primärer
Quellen und wer eines seiner Werke je zur Hand nahm, hat gefühlt, was
das sichere Schreiten an der Seile dieses Mannes bedeutet. So mag Rankes
Werk seinen erzieherischen Einfluß, den es seiner inneren Beschaffenheit nach
so ganz und gar nicht sucht, auf unser Volk nicht verfehlen. Denn nur die
Ruhe des Gemüts gibt die Kraft zum Bau der Zukunft, deren nebelhafte
Umrisse aus der Begeisterung eines Treitschke geboren werden.

Mag man nun in der Geschichte noch so sehr die kausale Verflechtung des
Geschehens erkennen, immer sind es Persönlichkeiten, die uns als Träger der
mannigfachen Tendenzen erscheinen. Unter diesen aber leuchtet uns im gegen¬
wärtigen Augenblick besonders hell die Gestalt Friedrich des Großen, der sein
Preußen in gleicher Bedrängnis sah wie wir unser Deutschland. Auch Friedrich
hatte ein Vaterland zu verteidigen. "Wenn irgendein Gedanke auf ihn gewirkt
hat," führt Ranke aus, "so würden wir sagen, daß es dieser Gedanke an sein
Land, an sein Vaterland gewesen ist." Und Friedrich selbst prägt das Wort:
"Die Standhaftigkeit ist es allein, was in den großen Geschäften aus Gefahren
zu erretten vermag." Wir sagen dazu ja und Amen. Aber noch manch anderer
Ausspruch des Königs gewinnt für uns heute lebensvolle Wahrheit. Deshalb
begrüßen wir es, daß uns zwei Bände "Ausgewählter Werke" Friedrichs in
deutscher Übersetzung vorgelegt werden. Es handelt sich auch hier um eine
"Volksausgabe", die, wundervoll ausgestattet, Abschnitte aus Friedrichs größeren
Schriften, die wichtigsten Abhandlungen, sowie eine Anzahl von Gedichten und
Briefen zum Teil in gekürzter Form umfaßt. (Verlag von Reimar Hobbing,
Berlin, Preis geb. 10 Mark, in Halbleder 14 Mark.) Der Verlag von Reimar



^) Vergl. den Aufsatz von Prof. Dr. Fritz Friedrich "Treitschke in englischer Beleuchtung"
in Heft 18 d. I.
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persönlichen Wertmaßstäben, wie sie namentlich den Darstellungen älterer Ge¬
lehrtengenerationen eigen war, aufgelehnt, aber damit die Tatsache nicht aus
der Welt schaffen können, daß geistige Zusammenhänge in der Geschichte sichtbar
werden und sich zu Ideen verdichten, die wir bewerten und zu praktischen Idealen
erheben. Je nachdem die Geistesart eines Menschen der denkenden Betrachtung
oder der Handlung zuneigt, wird er als Historiker der mehr kontemplativer
„objektiven", oder der aktiven „subjektiven" Richtung angehören, wofür uns
Ranke und Treitschke Beispiele sind.

Wir wissen, was unsere Gegner im gegenwärtigen Kriege aus Treitschke
gemacht haben*), kennen das Zerrbild seines heißen, guten Wollens, das uns
heute stärker ergreift denn je, und doch ist es nicht er, sondern Ranke, dem der
Buchhandel jetzt den Weg ins breite Publikum ebnet. In zehn hübschen Bänden
sind seine „Meisterwerke" (Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation
3 Bde., Römische Päpste in den letzten vier Jahrhunderten 3 Bde., Geschichte
Wallensteins 1 Bd., Kleinere Schriften 1 Bd.) bei Duncker u. Humblot (München
und Leipzig 1915) erschienen. Dies ist eine Mahnung zur Ruhe und Sach¬
lichkeit. Rankes Größe lag ja in der Auffindung und Benutzung primärer
Quellen und wer eines seiner Werke je zur Hand nahm, hat gefühlt, was
das sichere Schreiten an der Seile dieses Mannes bedeutet. So mag Rankes
Werk seinen erzieherischen Einfluß, den es seiner inneren Beschaffenheit nach
so ganz und gar nicht sucht, auf unser Volk nicht verfehlen. Denn nur die
Ruhe des Gemüts gibt die Kraft zum Bau der Zukunft, deren nebelhafte
Umrisse aus der Begeisterung eines Treitschke geboren werden.

Mag man nun in der Geschichte noch so sehr die kausale Verflechtung des
Geschehens erkennen, immer sind es Persönlichkeiten, die uns als Träger der
mannigfachen Tendenzen erscheinen. Unter diesen aber leuchtet uns im gegen¬
wärtigen Augenblick besonders hell die Gestalt Friedrich des Großen, der sein
Preußen in gleicher Bedrängnis sah wie wir unser Deutschland. Auch Friedrich
hatte ein Vaterland zu verteidigen. „Wenn irgendein Gedanke auf ihn gewirkt
hat," führt Ranke aus, „so würden wir sagen, daß es dieser Gedanke an sein
Land, an sein Vaterland gewesen ist." Und Friedrich selbst prägt das Wort:
„Die Standhaftigkeit ist es allein, was in den großen Geschäften aus Gefahren
zu erretten vermag." Wir sagen dazu ja und Amen. Aber noch manch anderer
Ausspruch des Königs gewinnt für uns heute lebensvolle Wahrheit. Deshalb
begrüßen wir es, daß uns zwei Bände „Ausgewählter Werke" Friedrichs in
deutscher Übersetzung vorgelegt werden. Es handelt sich auch hier um eine
„Volksausgabe", die, wundervoll ausgestattet, Abschnitte aus Friedrichs größeren
Schriften, die wichtigsten Abhandlungen, sowie eine Anzahl von Gedichten und
Briefen zum Teil in gekürzter Form umfaßt. (Verlag von Reimar Hobbing,
Berlin, Preis geb. 10 Mark, in Halbleder 14 Mark.) Der Verlag von Reimar



^) Vergl. den Aufsatz von Prof. Dr. Fritz Friedrich „Treitschke in englischer Beleuchtung"
in Heft 18 d. I.
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[0390] Stimmen der Vergangenheit persönlichen Wertmaßstäben, wie sie namentlich den Darstellungen älterer Ge¬ lehrtengenerationen eigen war, aufgelehnt, aber damit die Tatsache nicht aus der Welt schaffen können, daß geistige Zusammenhänge in der Geschichte sichtbar werden und sich zu Ideen verdichten, die wir bewerten und zu praktischen Idealen erheben. Je nachdem die Geistesart eines Menschen der denkenden Betrachtung oder der Handlung zuneigt, wird er als Historiker der mehr kontemplativer „objektiven", oder der aktiven „subjektiven" Richtung angehören, wofür uns Ranke und Treitschke Beispiele sind. Wir wissen, was unsere Gegner im gegenwärtigen Kriege aus Treitschke gemacht haben*), kennen das Zerrbild seines heißen, guten Wollens, das uns heute stärker ergreift denn je, und doch ist es nicht er, sondern Ranke, dem der Buchhandel jetzt den Weg ins breite Publikum ebnet. In zehn hübschen Bänden sind seine „Meisterwerke" (Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation 3 Bde., Römische Päpste in den letzten vier Jahrhunderten 3 Bde., Geschichte Wallensteins 1 Bd., Kleinere Schriften 1 Bd.) bei Duncker u. Humblot (München und Leipzig 1915) erschienen. Dies ist eine Mahnung zur Ruhe und Sach¬ lichkeit. Rankes Größe lag ja in der Auffindung und Benutzung primärer Quellen und wer eines seiner Werke je zur Hand nahm, hat gefühlt, was das sichere Schreiten an der Seile dieses Mannes bedeutet. So mag Rankes Werk seinen erzieherischen Einfluß, den es seiner inneren Beschaffenheit nach so ganz und gar nicht sucht, auf unser Volk nicht verfehlen. Denn nur die Ruhe des Gemüts gibt die Kraft zum Bau der Zukunft, deren nebelhafte Umrisse aus der Begeisterung eines Treitschke geboren werden. Mag man nun in der Geschichte noch so sehr die kausale Verflechtung des Geschehens erkennen, immer sind es Persönlichkeiten, die uns als Träger der mannigfachen Tendenzen erscheinen. Unter diesen aber leuchtet uns im gegen¬ wärtigen Augenblick besonders hell die Gestalt Friedrich des Großen, der sein Preußen in gleicher Bedrängnis sah wie wir unser Deutschland. Auch Friedrich hatte ein Vaterland zu verteidigen. „Wenn irgendein Gedanke auf ihn gewirkt hat," führt Ranke aus, „so würden wir sagen, daß es dieser Gedanke an sein Land, an sein Vaterland gewesen ist." Und Friedrich selbst prägt das Wort: „Die Standhaftigkeit ist es allein, was in den großen Geschäften aus Gefahren zu erretten vermag." Wir sagen dazu ja und Amen. Aber noch manch anderer Ausspruch des Königs gewinnt für uns heute lebensvolle Wahrheit. Deshalb begrüßen wir es, daß uns zwei Bände „Ausgewählter Werke" Friedrichs in deutscher Übersetzung vorgelegt werden. Es handelt sich auch hier um eine „Volksausgabe", die, wundervoll ausgestattet, Abschnitte aus Friedrichs größeren Schriften, die wichtigsten Abhandlungen, sowie eine Anzahl von Gedichten und Briefen zum Teil in gekürzter Form umfaßt. (Verlag von Reimar Hobbing, Berlin, Preis geb. 10 Mark, in Halbleder 14 Mark.) Der Verlag von Reimar ^) Vergl. den Aufsatz von Prof. Dr. Fritz Friedrich „Treitschke in englischer Beleuchtung" in Heft 18 d. I.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/390>, abgerufen am 27.07.2024.