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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an Sachsens Besetzung durch Preußen ^gs"

an unsere Seite traten. Er fragte uns in freundlichem Tone, wie groß die
Stadt sei, ob sie gute Wirtshäuser hätte, und ob keine Bayern darin seien
und schließlich, ob wir uns vor ihnen nicht fürchteten. Da antwortete ich:
"Vor Deutschen fürchten wir uns nicht", und zog stolz als Preußenfreund mit
ein. Auch wir bekamen zwei Mann Einquartierung, die aufgenommen und
verpflegt wurden wie sächsische Soldaten während des Manövers und die sich auch
wie diese betrugen. Dabei zeigte es sich, von wie großem Vorteil im Kriege
die Gemeinsamkeit der Sprache ist. Der eine nämlich, der ein städtischer Hand¬
werker war, sprach sehr viel und bemühte sich, den Eindruck eines gebildeten
Menschen zu machen. Er lobte die schönen Straßen Sachsens, auf den es sich
so bequem marschierte. Seinen Kameraden, der still und stumm dasaß, ent¬
schuldigte er damit, er wäre ein Bauer, der nur wenig hochdeutsch sprechen
könne. Des Abends streiften Patrouillen umher, eifrig nach Bayern suchend.
Dabei traten sie mehrfach das Getreide nieder; das war die einzige feindliche
Handlungsweise, die ich während dieses ganzen Krieges gesehen habe. Ani
nächsten Tage zogen die Mecklenburger wieder ab.

Bald darauf kam ein preußisches Landwehrbataillon. Es waren ältere
Leute mit großen Bärten und von ernstem, aber nicht finsterem Aussehen. Bei
uns ward ein Feldwebel mit seinem Burschen einquartiert. Ersterer ging nach
dem Mittagsmahl in die Kirche, um Orgel zu spielen. Sein Bursche erzählte
uns. daß der Feldwebel vor kurzem eine gute Organtstenstelle bekommen, sie
aber wegen des Krieges wieder habe aufgeben müssen; er selbst wäre die
einzige Stütze seiner Mutter, von der ihm der Krieg losgerissen habe. -- Von
Kriegslust spürte man nichts bei den preußischen Soldaten. Derartiges brachte
sie uns Sachsen näher. Wir ahnten zum erstenmal, was ein Volksheer zu
bedeuten habe. Denn in Sachsen, wo man sich für 300 Taler von der
Dienstpflicht loskaufen konnte, dienten nur die Ärmsten, während die Reiter¬
und Jnfanterieoffiziere fast nur Adlige waren, gegen deren Junkerhochmut die
preußischen vorteilhaft abstachen. Zwischen diesen und den gebildeten Bürgern,
unter denen noch am meisten Preußenfreunde waren, entspann sich in manchen
Städten ein freundlicher Verkehr. Ja in einer Nachbarstadt brachte ein Advokat,
der 1849 für das Deutsche Reich auf die Barrikaden getreten war, bei der
Abschiedsfeier ein Hoch auf den Sieg der scheidenden Krieger aus, ganz ver¬
gessend, daß es Sachsens Feinde waren.

Weitentfernt wie 1914 in dem unglücklichen Belgien den Volksfanatismus
gegen den Feind zu erregen, taten 1866 klugerweise in Sachsen Regierung und
Gebildete alles, um jedes Aufflackern desselben sofort im Keime zu ersticken.
Als ein preußischer Unteroffizier auf dem Bürgerkommando einer sächsischen
Stadt sehr schroff auftrat, raunte ein riesenstarker Grobschmied seinem Kom¬
mandanten ins Ohr: "Herr Baumeister, soll ich den Kerl niederschlagen?"
Jener aber wehrte beschwichtigend ab: "Um Gottes Willen, da würden Sie
uns und die ganze Stadt ins Verderben stürzen."


Erinnerungen an Sachsens Besetzung durch Preußen ^gs«

an unsere Seite traten. Er fragte uns in freundlichem Tone, wie groß die
Stadt sei, ob sie gute Wirtshäuser hätte, und ob keine Bayern darin seien
und schließlich, ob wir uns vor ihnen nicht fürchteten. Da antwortete ich:
„Vor Deutschen fürchten wir uns nicht", und zog stolz als Preußenfreund mit
ein. Auch wir bekamen zwei Mann Einquartierung, die aufgenommen und
verpflegt wurden wie sächsische Soldaten während des Manövers und die sich auch
wie diese betrugen. Dabei zeigte es sich, von wie großem Vorteil im Kriege
die Gemeinsamkeit der Sprache ist. Der eine nämlich, der ein städtischer Hand¬
werker war, sprach sehr viel und bemühte sich, den Eindruck eines gebildeten
Menschen zu machen. Er lobte die schönen Straßen Sachsens, auf den es sich
so bequem marschierte. Seinen Kameraden, der still und stumm dasaß, ent¬
schuldigte er damit, er wäre ein Bauer, der nur wenig hochdeutsch sprechen
könne. Des Abends streiften Patrouillen umher, eifrig nach Bayern suchend.
Dabei traten sie mehrfach das Getreide nieder; das war die einzige feindliche
Handlungsweise, die ich während dieses ganzen Krieges gesehen habe. Ani
nächsten Tage zogen die Mecklenburger wieder ab.

Bald darauf kam ein preußisches Landwehrbataillon. Es waren ältere
Leute mit großen Bärten und von ernstem, aber nicht finsterem Aussehen. Bei
uns ward ein Feldwebel mit seinem Burschen einquartiert. Ersterer ging nach
dem Mittagsmahl in die Kirche, um Orgel zu spielen. Sein Bursche erzählte
uns. daß der Feldwebel vor kurzem eine gute Organtstenstelle bekommen, sie
aber wegen des Krieges wieder habe aufgeben müssen; er selbst wäre die
einzige Stütze seiner Mutter, von der ihm der Krieg losgerissen habe. — Von
Kriegslust spürte man nichts bei den preußischen Soldaten. Derartiges brachte
sie uns Sachsen näher. Wir ahnten zum erstenmal, was ein Volksheer zu
bedeuten habe. Denn in Sachsen, wo man sich für 300 Taler von der
Dienstpflicht loskaufen konnte, dienten nur die Ärmsten, während die Reiter¬
und Jnfanterieoffiziere fast nur Adlige waren, gegen deren Junkerhochmut die
preußischen vorteilhaft abstachen. Zwischen diesen und den gebildeten Bürgern,
unter denen noch am meisten Preußenfreunde waren, entspann sich in manchen
Städten ein freundlicher Verkehr. Ja in einer Nachbarstadt brachte ein Advokat,
der 1849 für das Deutsche Reich auf die Barrikaden getreten war, bei der
Abschiedsfeier ein Hoch auf den Sieg der scheidenden Krieger aus, ganz ver¬
gessend, daß es Sachsens Feinde waren.

Weitentfernt wie 1914 in dem unglücklichen Belgien den Volksfanatismus
gegen den Feind zu erregen, taten 1866 klugerweise in Sachsen Regierung und
Gebildete alles, um jedes Aufflackern desselben sofort im Keime zu ersticken.
Als ein preußischer Unteroffizier auf dem Bürgerkommando einer sächsischen
Stadt sehr schroff auftrat, raunte ein riesenstarker Grobschmied seinem Kom¬
mandanten ins Ohr: „Herr Baumeister, soll ich den Kerl niederschlagen?"
Jener aber wehrte beschwichtigend ab: „Um Gottes Willen, da würden Sie
uns und die ganze Stadt ins Verderben stürzen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/353>, abgerufen am 22.12.2024.