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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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von der Schulpflicht zur Berufspfltcht

gebildeten Berufsarbeiter steigt. Dieses Ergebnis rückt aber erst durch die
weitere Tatsache in das rechte Licht, daß bet den ungelernten Fabrikarbeitern
die Maschine immer mehr die Menschenkraft verdrängt. Eines Tages wird,
das läßt sich sicher voraussagen, der ungelernte Arbeiter zugunsten seines fach¬
lich ausgebildeten Genossen gänzlich verschwunden sein und zwar umsomehr,
als viele Fabriken schon jetzt bei leichteren mechanischen Arbeiten nur ältere,
nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte stehende Berufsleute beschäftigen.

Also auch hier ist der Bedarf an ungelernten Arbeitern keineswegs so
stark, daß die Volkswirtschaft ein Interesse an der Erhaltung dieser Arbeiter¬
schaft haben könnte. Je eher sie verschwindet, um so mehr werden jugendliche
Kräfte für das Berufsgewerbe frei, und um so begründeter ist die Forderung,
für alle Jugendlichen, die die Schulzeit hinter sich haben, die obligatorische
Berufspflicht einzuführen. Sie verheißt ihnen ja nicht nur einen erweiterten
Kreis von Lebensstellungen, sondern sie wird auch für das nationale Wirt-
schaftsleben nach dem Kriege neue Kräfte freimachen, die die deutsche Arbeit --
dem Auslande gegenüber -- erfolgreich stärken. Selbst die sogenannte Ur¬
produktion: die Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei, die sich noch
vielfach und sehr gegen das eigene Interesse mit ungelernten Arbeitern behelfen
müssen, wird in dem Maße zu einer sachlichen Ausbildung ihrer Arbeits¬
kräfte gedrängt, in dem sie die Verarbeitung ihrer Nebenprodukte in die
Hand nimmt.

Aus der Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens müssen wir dem gegen-
wärtigen Zustande ein Ende machen und von der Schulpflicht zur Berufs¬
pflicht kommen. Wir müssen es jedem deutschen Jungen ermöglichen, einen
festen Beruf nach eigener Wahl und nach Anlage zu erlernen. Das Aus¬
schalten des berufslosen Arbeiters verstärkt zugleich die Schicht der intelligenten
Arbeiter, die ein Interesse am Aus- und Aufbau eines nationalen Wirtschafts¬
staates haben; sie gibt der handwerklichen Arbeit, die in den Schützengräben
und Etappen sich von einer bewundernswerter Höhe gezeigt hat, das Ansehen
zurück, das sie -- vielleicht unter dem Einflüsse des berufslosen Arbeiters --
in vielen Volkskreisen verloren hatte. Die Berufspflicht muß geschaffen werden,
um jeden Jungen das Erlernen eines Gewerbes aufzunötigen -- unter Um¬
ständen auch gegen den Willen unverständiger Eltern.




von der Schulpflicht zur Berufspfltcht

gebildeten Berufsarbeiter steigt. Dieses Ergebnis rückt aber erst durch die
weitere Tatsache in das rechte Licht, daß bet den ungelernten Fabrikarbeitern
die Maschine immer mehr die Menschenkraft verdrängt. Eines Tages wird,
das läßt sich sicher voraussagen, der ungelernte Arbeiter zugunsten seines fach¬
lich ausgebildeten Genossen gänzlich verschwunden sein und zwar umsomehr,
als viele Fabriken schon jetzt bei leichteren mechanischen Arbeiten nur ältere,
nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte stehende Berufsleute beschäftigen.

Also auch hier ist der Bedarf an ungelernten Arbeitern keineswegs so
stark, daß die Volkswirtschaft ein Interesse an der Erhaltung dieser Arbeiter¬
schaft haben könnte. Je eher sie verschwindet, um so mehr werden jugendliche
Kräfte für das Berufsgewerbe frei, und um so begründeter ist die Forderung,
für alle Jugendlichen, die die Schulzeit hinter sich haben, die obligatorische
Berufspflicht einzuführen. Sie verheißt ihnen ja nicht nur einen erweiterten
Kreis von Lebensstellungen, sondern sie wird auch für das nationale Wirt-
schaftsleben nach dem Kriege neue Kräfte freimachen, die die deutsche Arbeit —
dem Auslande gegenüber — erfolgreich stärken. Selbst die sogenannte Ur¬
produktion: die Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei, die sich noch
vielfach und sehr gegen das eigene Interesse mit ungelernten Arbeitern behelfen
müssen, wird in dem Maße zu einer sachlichen Ausbildung ihrer Arbeits¬
kräfte gedrängt, in dem sie die Verarbeitung ihrer Nebenprodukte in die
Hand nimmt.

Aus der Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens müssen wir dem gegen-
wärtigen Zustande ein Ende machen und von der Schulpflicht zur Berufs¬
pflicht kommen. Wir müssen es jedem deutschen Jungen ermöglichen, einen
festen Beruf nach eigener Wahl und nach Anlage zu erlernen. Das Aus¬
schalten des berufslosen Arbeiters verstärkt zugleich die Schicht der intelligenten
Arbeiter, die ein Interesse am Aus- und Aufbau eines nationalen Wirtschafts¬
staates haben; sie gibt der handwerklichen Arbeit, die in den Schützengräben
und Etappen sich von einer bewundernswerter Höhe gezeigt hat, das Ansehen
zurück, das sie — vielleicht unter dem Einflüsse des berufslosen Arbeiters —
in vielen Volkskreisen verloren hatte. Die Berufspflicht muß geschaffen werden,
um jeden Jungen das Erlernen eines Gewerbes aufzunötigen — unter Um¬
ständen auch gegen den Willen unverständiger Eltern.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/350>, abgerufen am 27.07.2024.