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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht

bis aufs Messer ankündigten. Die Depeschen der Wolffschen Telegraphen¬
agentur galten als preußische Lügen, nur die der sogenannten russischen Agentur,
die es sich zur Aufgabe machte, die in Tours ausgebrüteten gallischen Phanta¬
sien dem russischen Publikum in vermehrter Auflage vorzusetzen, fanden Glauben.
In einem Aufsatze "Klage eines Deutschen über die russische Presse", der 1870
in den "Preußischen Jahrbüchern"*) erschien, ruft der Verfasser aus: "Herr
von Girardin hat nicht tauben Ohren gepredigt, seine Worte fanden sogar am
fernen Ufer der Newa begeisterten Widerhall. Wer die unfertigen, halben,
ungesunden Zustände des heutigen Rußland kennt, wird sich nicht wundern, daß
die Irrlehren der Pariser Presseapostel bereits in Fleisch und Blut des lesenden
Teils der Bevölkerung übergegangen sind und daß es ganz unmöglich ist, selbst
mit gebildeten Russen eine ruhige politische Diskussion zu führen. Pangerma¬
nismus ist der beliebte Popanz unserer Presse, Pangermanismus ist für diese
Leute schon die Bildung eines festen, einheitlichen deutschen Staates, Pan¬
germanismus ist jede Regung des mit Füßen getretenen Deutschtums in den
Ostseelanden, Pangermanismus ist das Streben der Deutsch-Österreicher, den
Staat vor dem Verfall zu schützen, Pangermanismus ist mit einem Worte
alles, was sich dem großen slawischen, das heißt russischen Zukunftstraum,
dem Panslawismus, entgegenstellt". Im Anschlusse an die französische Presse
feierte man in russischen Blättern den Todesmut der Turkos und Zuaven,
deren Verwandschaft mit den Kosaken und Baschkiren man richtig herausfühlte.
Die "Moskaner Zeitgenössischen Nachrichten" und die "Moskaner Zeitung"
überboten sich in gellenden Kriegsfanfaren gegen Deutschland, und die von
Frankreich vielfach erkauften in Gift und Galle getauchten Federn verstanden
es, ein von Natur gutmütiges apathisches Volk zum wildesten Fanatismus
aufzustacheln. --

Das sind die Triumphe des französischen Zeitungsgeistes. Angesichts
dieser Erfolge konnte Lamartine mit Recht ausrufen: "Unsere Nation darf
stolz sein auf ein Zeitungswesen, das uns so viele fremde Geister botmäßig
macht und im tiefsten Frieden Schlachten gewinnt, die einen weiteren Einfluß
als unser Handel und einen mächtigeren als unsere Waffen ausgeübt hat".
Wir Deutsche aber haben allen Grund, in den Fragen, die das Pressewesen
betreffen, von unseren westlichen Nachbarn zu lernen. Wir müssen aufräumen
mit den rostigen Vorurteilen, die in der Bürokratie und in der Gelehrtenzunft
noch heute gegen die Zeitungen herrschen. Wir haben in diesem Weltkriege
gesehen, welch ein gewaltiger Hebel der öffentlichen Meinung die Tagespresse
ist. Die Kraft dieses Hebels zu stärken und für unsere vaterländischen Aufgaben
in Bewegung zu setzen, ist unsere unabweisbare nationale Pflicht. Dann wird
das Wort in Erfüllung gehen, das Gustav Freytag, der Verfasser des "Journa¬
listen" im Jahre 1L71 seinen Leipziger Berufsgenossen zurief: "Die deutsche
Presse muß die Welt erobern".





*) Bd, 26. S. 621 ff.
Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht

bis aufs Messer ankündigten. Die Depeschen der Wolffschen Telegraphen¬
agentur galten als preußische Lügen, nur die der sogenannten russischen Agentur,
die es sich zur Aufgabe machte, die in Tours ausgebrüteten gallischen Phanta¬
sien dem russischen Publikum in vermehrter Auflage vorzusetzen, fanden Glauben.
In einem Aufsatze „Klage eines Deutschen über die russische Presse", der 1870
in den „Preußischen Jahrbüchern"*) erschien, ruft der Verfasser aus: „Herr
von Girardin hat nicht tauben Ohren gepredigt, seine Worte fanden sogar am
fernen Ufer der Newa begeisterten Widerhall. Wer die unfertigen, halben,
ungesunden Zustände des heutigen Rußland kennt, wird sich nicht wundern, daß
die Irrlehren der Pariser Presseapostel bereits in Fleisch und Blut des lesenden
Teils der Bevölkerung übergegangen sind und daß es ganz unmöglich ist, selbst
mit gebildeten Russen eine ruhige politische Diskussion zu führen. Pangerma¬
nismus ist der beliebte Popanz unserer Presse, Pangermanismus ist für diese
Leute schon die Bildung eines festen, einheitlichen deutschen Staates, Pan¬
germanismus ist jede Regung des mit Füßen getretenen Deutschtums in den
Ostseelanden, Pangermanismus ist das Streben der Deutsch-Österreicher, den
Staat vor dem Verfall zu schützen, Pangermanismus ist mit einem Worte
alles, was sich dem großen slawischen, das heißt russischen Zukunftstraum,
dem Panslawismus, entgegenstellt". Im Anschlusse an die französische Presse
feierte man in russischen Blättern den Todesmut der Turkos und Zuaven,
deren Verwandschaft mit den Kosaken und Baschkiren man richtig herausfühlte.
Die „Moskaner Zeitgenössischen Nachrichten" und die „Moskaner Zeitung"
überboten sich in gellenden Kriegsfanfaren gegen Deutschland, und die von
Frankreich vielfach erkauften in Gift und Galle getauchten Federn verstanden
es, ein von Natur gutmütiges apathisches Volk zum wildesten Fanatismus
aufzustacheln. —

Das sind die Triumphe des französischen Zeitungsgeistes. Angesichts
dieser Erfolge konnte Lamartine mit Recht ausrufen: „Unsere Nation darf
stolz sein auf ein Zeitungswesen, das uns so viele fremde Geister botmäßig
macht und im tiefsten Frieden Schlachten gewinnt, die einen weiteren Einfluß
als unser Handel und einen mächtigeren als unsere Waffen ausgeübt hat".
Wir Deutsche aber haben allen Grund, in den Fragen, die das Pressewesen
betreffen, von unseren westlichen Nachbarn zu lernen. Wir müssen aufräumen
mit den rostigen Vorurteilen, die in der Bürokratie und in der Gelehrtenzunft
noch heute gegen die Zeitungen herrschen. Wir haben in diesem Weltkriege
gesehen, welch ein gewaltiger Hebel der öffentlichen Meinung die Tagespresse
ist. Die Kraft dieses Hebels zu stärken und für unsere vaterländischen Aufgaben
in Bewegung zu setzen, ist unsere unabweisbare nationale Pflicht. Dann wird
das Wort in Erfüllung gehen, das Gustav Freytag, der Verfasser des „Journa¬
listen" im Jahre 1L71 seinen Leipziger Berufsgenossen zurief: „Die deutsche
Presse muß die Welt erobern".





*) Bd, 26. S. 621 ff.
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[0034] Die Entwicklung der französischen Presse zur Weltmacht bis aufs Messer ankündigten. Die Depeschen der Wolffschen Telegraphen¬ agentur galten als preußische Lügen, nur die der sogenannten russischen Agentur, die es sich zur Aufgabe machte, die in Tours ausgebrüteten gallischen Phanta¬ sien dem russischen Publikum in vermehrter Auflage vorzusetzen, fanden Glauben. In einem Aufsatze „Klage eines Deutschen über die russische Presse", der 1870 in den „Preußischen Jahrbüchern"*) erschien, ruft der Verfasser aus: „Herr von Girardin hat nicht tauben Ohren gepredigt, seine Worte fanden sogar am fernen Ufer der Newa begeisterten Widerhall. Wer die unfertigen, halben, ungesunden Zustände des heutigen Rußland kennt, wird sich nicht wundern, daß die Irrlehren der Pariser Presseapostel bereits in Fleisch und Blut des lesenden Teils der Bevölkerung übergegangen sind und daß es ganz unmöglich ist, selbst mit gebildeten Russen eine ruhige politische Diskussion zu führen. Pangerma¬ nismus ist der beliebte Popanz unserer Presse, Pangermanismus ist für diese Leute schon die Bildung eines festen, einheitlichen deutschen Staates, Pan¬ germanismus ist jede Regung des mit Füßen getretenen Deutschtums in den Ostseelanden, Pangermanismus ist das Streben der Deutsch-Österreicher, den Staat vor dem Verfall zu schützen, Pangermanismus ist mit einem Worte alles, was sich dem großen slawischen, das heißt russischen Zukunftstraum, dem Panslawismus, entgegenstellt". Im Anschlusse an die französische Presse feierte man in russischen Blättern den Todesmut der Turkos und Zuaven, deren Verwandschaft mit den Kosaken und Baschkiren man richtig herausfühlte. Die „Moskaner Zeitgenössischen Nachrichten" und die „Moskaner Zeitung" überboten sich in gellenden Kriegsfanfaren gegen Deutschland, und die von Frankreich vielfach erkauften in Gift und Galle getauchten Federn verstanden es, ein von Natur gutmütiges apathisches Volk zum wildesten Fanatismus aufzustacheln. — Das sind die Triumphe des französischen Zeitungsgeistes. Angesichts dieser Erfolge konnte Lamartine mit Recht ausrufen: „Unsere Nation darf stolz sein auf ein Zeitungswesen, das uns so viele fremde Geister botmäßig macht und im tiefsten Frieden Schlachten gewinnt, die einen weiteren Einfluß als unser Handel und einen mächtigeren als unsere Waffen ausgeübt hat". Wir Deutsche aber haben allen Grund, in den Fragen, die das Pressewesen betreffen, von unseren westlichen Nachbarn zu lernen. Wir müssen aufräumen mit den rostigen Vorurteilen, die in der Bürokratie und in der Gelehrtenzunft noch heute gegen die Zeitungen herrschen. Wir haben in diesem Weltkriege gesehen, welch ein gewaltiger Hebel der öffentlichen Meinung die Tagespresse ist. Die Kraft dieses Hebels zu stärken und für unsere vaterländischen Aufgaben in Bewegung zu setzen, ist unsere unabweisbare nationale Pflicht. Dann wird das Wort in Erfüllung gehen, das Gustav Freytag, der Verfasser des „Journa¬ listen" im Jahre 1L71 seinen Leipziger Berufsgenossen zurief: „Die deutsche Presse muß die Welt erobern". *) Bd, 26. S. 621 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/34>, abgerufen am 27.07.2024.