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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Nachbarn

Japans in einem ganz bewußten Gegensatz zu der Englands gestanden hat,
dessen Interessen in China denen Japans diametral entgegengesetzt sind. Die
Schritte, die England zur Beseitigung der Kaiserwürde Unan-fehl-kais mit getan
hat, waren der Kompromiß, auf dem sich die beiden, widerstrebenden Alliierten
wohl schließlich geeinigt haben. Inzwischen arbeitet Japan -- da es offen
nicht arbeiten kann, -- mit Erfolg hinter den Kulissen. Die chinesische Revolution
ist, man darf es wohl sagen, zu erheblichem Teile ein japanisches Werk. Die
Entwicklung der japanischen Interessen in China ist also in diejenigen plan¬
mäßigen und zäh festgehaltenen Bahnen gelenkt, die Japan braucht.

Es hatte jetzt seine Hände frei, um sich ganz dem russischen Nachbar zu
widmen. Hier hat nun Japan außerordentlich geschickt operiert. Es hat die
Abhängigkeit, in die Rußland durch die enormen japanischen Munitions-
lieferungen, durch die von Japan gewährte kurzfristige Anleihe und durch die
Förderung des über den fernen Osten hin dirigierten amerikanischen Munitions¬
bezuges gekommen ist, benutzt, um sich durch weitausschauende Verhandlungen
nicht etwa nur wirtschaftliche, sondern vor allem auch politische Vorteile zu
sichern, die für die Zukunft von großem Werte für Japan sein können.

Die japanischen Forderungen scheinen zunächst recht weit gegangen zu sein.
Man hat von einer Anfrage gehört, die sich auf die Schleifung der Festungs¬
werke von Wladiwostok bezogen hat, und andererseits ist von der Gewährung
vollkommen freier Hand für Japan in China die Rede gewesen. Beide Forde¬
rungen sind anscheinend fallen gelassen -- die erste spontan, da sie russischer-
seits keine Aussicht auf Erfüllung hatte, die zweite ist offenbar England auf
die Nerven gefallen, und es scheint, als ob hier Verhandlungen zu dreien
eingesetzt haben.

Immerhin ist das, was sich vorläufig als Ergebnis der Besprechungen für
Japan an Vorteilen herauskristallisiert, noch immer von hervorragender Be¬
deutung. Vor allem scheint man einig über die Abtretung des "Schienenstranges
der chinesischen Ostbahn nördlich von Tschangtschun bis zu einem Punkte etwas
südlich von Chardin". Rußland gewährt in der Enteignungszone der
mandschurischen Bahn, ferner in Nordsachalin und Ostsibirien den Japanern die
Genehmigung der Niederlassung und Bearbeitung des Landes. Die Forde¬
rungen Japans auf Einrichtung direkter Tarife von Japan nach Sibirien scheinen
bei der russischen Kaufmannschaft vorläufig noch auf Bedenken zu stoßen.

Ob das Abkommen schon fertig ist, welche Dauer es trägt, welche politischen
Geheimklauseln ihm etwa noch beigefügt sind, wissen wir nicht.

Wenn wir es so auffassen, wie es jetzt aussieht, so birgt es, wie schon
gesagt, jedenfalls große politische Vorteile für Japan in sich. Der Hauptstütz¬
punkt Rußlands im fernen Osten, Chardin, wird durch die vollkommene Ab¬
tretung der südchinesischen Eisenbahn geschwächt, und strategisch verbessert sich die
Lage der Japaner in der Mandschurei, in die sich im übrigen ungehindert der
Strom der japanischen Einwanderer wird ergießen können, ganz bedeutend. Die


Rußlands Nachbarn

Japans in einem ganz bewußten Gegensatz zu der Englands gestanden hat,
dessen Interessen in China denen Japans diametral entgegengesetzt sind. Die
Schritte, die England zur Beseitigung der Kaiserwürde Unan-fehl-kais mit getan
hat, waren der Kompromiß, auf dem sich die beiden, widerstrebenden Alliierten
wohl schließlich geeinigt haben. Inzwischen arbeitet Japan — da es offen
nicht arbeiten kann, — mit Erfolg hinter den Kulissen. Die chinesische Revolution
ist, man darf es wohl sagen, zu erheblichem Teile ein japanisches Werk. Die
Entwicklung der japanischen Interessen in China ist also in diejenigen plan¬
mäßigen und zäh festgehaltenen Bahnen gelenkt, die Japan braucht.

Es hatte jetzt seine Hände frei, um sich ganz dem russischen Nachbar zu
widmen. Hier hat nun Japan außerordentlich geschickt operiert. Es hat die
Abhängigkeit, in die Rußland durch die enormen japanischen Munitions-
lieferungen, durch die von Japan gewährte kurzfristige Anleihe und durch die
Förderung des über den fernen Osten hin dirigierten amerikanischen Munitions¬
bezuges gekommen ist, benutzt, um sich durch weitausschauende Verhandlungen
nicht etwa nur wirtschaftliche, sondern vor allem auch politische Vorteile zu
sichern, die für die Zukunft von großem Werte für Japan sein können.

Die japanischen Forderungen scheinen zunächst recht weit gegangen zu sein.
Man hat von einer Anfrage gehört, die sich auf die Schleifung der Festungs¬
werke von Wladiwostok bezogen hat, und andererseits ist von der Gewährung
vollkommen freier Hand für Japan in China die Rede gewesen. Beide Forde¬
rungen sind anscheinend fallen gelassen — die erste spontan, da sie russischer-
seits keine Aussicht auf Erfüllung hatte, die zweite ist offenbar England auf
die Nerven gefallen, und es scheint, als ob hier Verhandlungen zu dreien
eingesetzt haben.

Immerhin ist das, was sich vorläufig als Ergebnis der Besprechungen für
Japan an Vorteilen herauskristallisiert, noch immer von hervorragender Be¬
deutung. Vor allem scheint man einig über die Abtretung des „Schienenstranges
der chinesischen Ostbahn nördlich von Tschangtschun bis zu einem Punkte etwas
südlich von Chardin". Rußland gewährt in der Enteignungszone der
mandschurischen Bahn, ferner in Nordsachalin und Ostsibirien den Japanern die
Genehmigung der Niederlassung und Bearbeitung des Landes. Die Forde¬
rungen Japans auf Einrichtung direkter Tarife von Japan nach Sibirien scheinen
bei der russischen Kaufmannschaft vorläufig noch auf Bedenken zu stoßen.

Ob das Abkommen schon fertig ist, welche Dauer es trägt, welche politischen
Geheimklauseln ihm etwa noch beigefügt sind, wissen wir nicht.

Wenn wir es so auffassen, wie es jetzt aussieht, so birgt es, wie schon
gesagt, jedenfalls große politische Vorteile für Japan in sich. Der Hauptstütz¬
punkt Rußlands im fernen Osten, Chardin, wird durch die vollkommene Ab¬
tretung der südchinesischen Eisenbahn geschwächt, und strategisch verbessert sich die
Lage der Japaner in der Mandschurei, in die sich im übrigen ungehindert der
Strom der japanischen Einwanderer wird ergießen können, ganz bedeutend. Die


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[0339] Rußlands Nachbarn Japans in einem ganz bewußten Gegensatz zu der Englands gestanden hat, dessen Interessen in China denen Japans diametral entgegengesetzt sind. Die Schritte, die England zur Beseitigung der Kaiserwürde Unan-fehl-kais mit getan hat, waren der Kompromiß, auf dem sich die beiden, widerstrebenden Alliierten wohl schließlich geeinigt haben. Inzwischen arbeitet Japan — da es offen nicht arbeiten kann, — mit Erfolg hinter den Kulissen. Die chinesische Revolution ist, man darf es wohl sagen, zu erheblichem Teile ein japanisches Werk. Die Entwicklung der japanischen Interessen in China ist also in diejenigen plan¬ mäßigen und zäh festgehaltenen Bahnen gelenkt, die Japan braucht. Es hatte jetzt seine Hände frei, um sich ganz dem russischen Nachbar zu widmen. Hier hat nun Japan außerordentlich geschickt operiert. Es hat die Abhängigkeit, in die Rußland durch die enormen japanischen Munitions- lieferungen, durch die von Japan gewährte kurzfristige Anleihe und durch die Förderung des über den fernen Osten hin dirigierten amerikanischen Munitions¬ bezuges gekommen ist, benutzt, um sich durch weitausschauende Verhandlungen nicht etwa nur wirtschaftliche, sondern vor allem auch politische Vorteile zu sichern, die für die Zukunft von großem Werte für Japan sein können. Die japanischen Forderungen scheinen zunächst recht weit gegangen zu sein. Man hat von einer Anfrage gehört, die sich auf die Schleifung der Festungs¬ werke von Wladiwostok bezogen hat, und andererseits ist von der Gewährung vollkommen freier Hand für Japan in China die Rede gewesen. Beide Forde¬ rungen sind anscheinend fallen gelassen — die erste spontan, da sie russischer- seits keine Aussicht auf Erfüllung hatte, die zweite ist offenbar England auf die Nerven gefallen, und es scheint, als ob hier Verhandlungen zu dreien eingesetzt haben. Immerhin ist das, was sich vorläufig als Ergebnis der Besprechungen für Japan an Vorteilen herauskristallisiert, noch immer von hervorragender Be¬ deutung. Vor allem scheint man einig über die Abtretung des „Schienenstranges der chinesischen Ostbahn nördlich von Tschangtschun bis zu einem Punkte etwas südlich von Chardin". Rußland gewährt in der Enteignungszone der mandschurischen Bahn, ferner in Nordsachalin und Ostsibirien den Japanern die Genehmigung der Niederlassung und Bearbeitung des Landes. Die Forde¬ rungen Japans auf Einrichtung direkter Tarife von Japan nach Sibirien scheinen bei der russischen Kaufmannschaft vorläufig noch auf Bedenken zu stoßen. Ob das Abkommen schon fertig ist, welche Dauer es trägt, welche politischen Geheimklauseln ihm etwa noch beigefügt sind, wissen wir nicht. Wenn wir es so auffassen, wie es jetzt aussieht, so birgt es, wie schon gesagt, jedenfalls große politische Vorteile für Japan in sich. Der Hauptstütz¬ punkt Rußlands im fernen Osten, Chardin, wird durch die vollkommene Ab¬ tretung der südchinesischen Eisenbahn geschwächt, und strategisch verbessert sich die Lage der Japaner in der Mandschurei, in die sich im übrigen ungehindert der Strom der japanischen Einwanderer wird ergießen können, ganz bedeutend. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/339>, abgerufen am 23.12.2024.