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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die böhmische Frage

auf dem also zubereiteten Boden der landesfürstliche Absolutismus im Sinne
einer österreichischen Gesamtstaatsidee etablieren und entfalten konnte. Die
Durchsetzung eines landesfürstlichen Absolutismus mit straffer Zentralisation und
Zurückdrängung landschaftlicher Besonderheiten und landständischer Vorrechte ist
in Österreich nicht in dem Umsange möglich gewesen, wie in den anderen
europäischen Staaten, in Preußen, -- um an das uns geläufigste zu erinnern --
haben dies die Hohenzollern vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich dem Großen
geleistet. Die Gründe hierfür sind mannigfach, sie aufzuführen würde den
Rahmen dieses Überblicks überschreiten, nur sei gesagt, daß sie zum großen
Teil in dem wirren Gange der äußeren Politik, durchaus aber nicht in starken
nationalen Widerständen zu suchen sind. Gemache worden sind Verschmelzungs¬
versuche oft, es ist aber das Verhängnis Österreichs, daß in der Zeit, als sie
energisch und mit zielbewußter Konsequenz betrieben wurden, unter der großen
Maria Theresia und besonders ihrem Sohne Josef, der historische Augenblick
bereits endgültig verpaßt war. Man nennt diese Periode der inneren Geschichte
Österreichs mit einer gewissen Ironie den Josefinismus, man belächelt die
atemlose Hast der kaiserlichen Verordnungen. Das ist nur bis zu einem ge¬
wissen Grade berechtigt. Das Ziel Josefs, wie er es in einem Brief an seinen
Bruder Leopold ausstellt, war: "Die ganze Monarchie wird nur eine, auf die
gleiche Weise gelenkte Masse bilden." Dieses Ziel, wie es im Frankreich
Ludwigs des Vierzehnten und in Preußen verwirklicht war, hätte sich vielleicht
von einem härteren Charakter damals auch in Österreich noch verwirklichen lassen.
Der Intellektualismus und Nationalismus, in dem auch die Gedankengänge
des aufgeklärten Absolutismus wurzeln und verlaufen, beherrschte Österreich noch
weit länger als den Westen und Norden. Und gerade in Böhmen stießen
Josefs Verwaltungsneuerungen auf wenig Widerstand, da für die höheren
Stellen eine tschechische Intelligenz fehlte und der Adel nicht mehr tschechisch
sprach und mehr eigennützig als tschechisch fühlte. Aber der humane Geist des
Aufklärungszeitalters, "die Konservierung der Eingeborenen", wie man sich wohl
ausdrückte, die Pflege der Volkssprache, die Toleranz in Religionssachen, weckte
gerade in Böhmen die Kräfte, die sich gegen die Zentralisierung ausbäumen
sollten. Der alte Hussitengeist wurde in Böhmen wach und unterstützte die
privilegiengiertge Opposition des Adels. Dazu kam der frühe Tod des tüchtigen
Kaisers Leopold. Der Schwächling Franz der Erste, unter dem Österreich die
schweren Erschütterungen der napoleonischen Zeit durchzumachen hatte, hielt an
den Verwaltungsgrundsätzen der josefinisch-leopoldinischen Zeit zwar fest, war
aber ganz unfähig zu freiem Denken und damit zu der gewiß schweren weiteren
Ausbildung der Verfassung in konstitutionellem Sinne. Es ist unberechtigt, die
Schuld an der damaligen Versumpfung Metternich zuzuschreiben, der kluge
Staatskanzler, dessen Virtuosität nur die äußeren Angelegenheiten oblagen, hat
vergeblich gewarnt, die Schuld liegt ganz auf Franz, den das österreichische
Nationallied "unsern guten Kaiser Franz" nennt.


Die böhmische Frage

auf dem also zubereiteten Boden der landesfürstliche Absolutismus im Sinne
einer österreichischen Gesamtstaatsidee etablieren und entfalten konnte. Die
Durchsetzung eines landesfürstlichen Absolutismus mit straffer Zentralisation und
Zurückdrängung landschaftlicher Besonderheiten und landständischer Vorrechte ist
in Österreich nicht in dem Umsange möglich gewesen, wie in den anderen
europäischen Staaten, in Preußen, — um an das uns geläufigste zu erinnern —
haben dies die Hohenzollern vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich dem Großen
geleistet. Die Gründe hierfür sind mannigfach, sie aufzuführen würde den
Rahmen dieses Überblicks überschreiten, nur sei gesagt, daß sie zum großen
Teil in dem wirren Gange der äußeren Politik, durchaus aber nicht in starken
nationalen Widerständen zu suchen sind. Gemache worden sind Verschmelzungs¬
versuche oft, es ist aber das Verhängnis Österreichs, daß in der Zeit, als sie
energisch und mit zielbewußter Konsequenz betrieben wurden, unter der großen
Maria Theresia und besonders ihrem Sohne Josef, der historische Augenblick
bereits endgültig verpaßt war. Man nennt diese Periode der inneren Geschichte
Österreichs mit einer gewissen Ironie den Josefinismus, man belächelt die
atemlose Hast der kaiserlichen Verordnungen. Das ist nur bis zu einem ge¬
wissen Grade berechtigt. Das Ziel Josefs, wie er es in einem Brief an seinen
Bruder Leopold ausstellt, war: „Die ganze Monarchie wird nur eine, auf die
gleiche Weise gelenkte Masse bilden." Dieses Ziel, wie es im Frankreich
Ludwigs des Vierzehnten und in Preußen verwirklicht war, hätte sich vielleicht
von einem härteren Charakter damals auch in Österreich noch verwirklichen lassen.
Der Intellektualismus und Nationalismus, in dem auch die Gedankengänge
des aufgeklärten Absolutismus wurzeln und verlaufen, beherrschte Österreich noch
weit länger als den Westen und Norden. Und gerade in Böhmen stießen
Josefs Verwaltungsneuerungen auf wenig Widerstand, da für die höheren
Stellen eine tschechische Intelligenz fehlte und der Adel nicht mehr tschechisch
sprach und mehr eigennützig als tschechisch fühlte. Aber der humane Geist des
Aufklärungszeitalters, „die Konservierung der Eingeborenen", wie man sich wohl
ausdrückte, die Pflege der Volkssprache, die Toleranz in Religionssachen, weckte
gerade in Böhmen die Kräfte, die sich gegen die Zentralisierung ausbäumen
sollten. Der alte Hussitengeist wurde in Böhmen wach und unterstützte die
privilegiengiertge Opposition des Adels. Dazu kam der frühe Tod des tüchtigen
Kaisers Leopold. Der Schwächling Franz der Erste, unter dem Österreich die
schweren Erschütterungen der napoleonischen Zeit durchzumachen hatte, hielt an
den Verwaltungsgrundsätzen der josefinisch-leopoldinischen Zeit zwar fest, war
aber ganz unfähig zu freiem Denken und damit zu der gewiß schweren weiteren
Ausbildung der Verfassung in konstitutionellem Sinne. Es ist unberechtigt, die
Schuld an der damaligen Versumpfung Metternich zuzuschreiben, der kluge
Staatskanzler, dessen Virtuosität nur die äußeren Angelegenheiten oblagen, hat
vergeblich gewarnt, die Schuld liegt ganz auf Franz, den das österreichische
Nationallied „unsern guten Kaiser Franz" nennt.


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[0313] Die böhmische Frage auf dem also zubereiteten Boden der landesfürstliche Absolutismus im Sinne einer österreichischen Gesamtstaatsidee etablieren und entfalten konnte. Die Durchsetzung eines landesfürstlichen Absolutismus mit straffer Zentralisation und Zurückdrängung landschaftlicher Besonderheiten und landständischer Vorrechte ist in Österreich nicht in dem Umsange möglich gewesen, wie in den anderen europäischen Staaten, in Preußen, — um an das uns geläufigste zu erinnern — haben dies die Hohenzollern vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich dem Großen geleistet. Die Gründe hierfür sind mannigfach, sie aufzuführen würde den Rahmen dieses Überblicks überschreiten, nur sei gesagt, daß sie zum großen Teil in dem wirren Gange der äußeren Politik, durchaus aber nicht in starken nationalen Widerständen zu suchen sind. Gemache worden sind Verschmelzungs¬ versuche oft, es ist aber das Verhängnis Österreichs, daß in der Zeit, als sie energisch und mit zielbewußter Konsequenz betrieben wurden, unter der großen Maria Theresia und besonders ihrem Sohne Josef, der historische Augenblick bereits endgültig verpaßt war. Man nennt diese Periode der inneren Geschichte Österreichs mit einer gewissen Ironie den Josefinismus, man belächelt die atemlose Hast der kaiserlichen Verordnungen. Das ist nur bis zu einem ge¬ wissen Grade berechtigt. Das Ziel Josefs, wie er es in einem Brief an seinen Bruder Leopold ausstellt, war: „Die ganze Monarchie wird nur eine, auf die gleiche Weise gelenkte Masse bilden." Dieses Ziel, wie es im Frankreich Ludwigs des Vierzehnten und in Preußen verwirklicht war, hätte sich vielleicht von einem härteren Charakter damals auch in Österreich noch verwirklichen lassen. Der Intellektualismus und Nationalismus, in dem auch die Gedankengänge des aufgeklärten Absolutismus wurzeln und verlaufen, beherrschte Österreich noch weit länger als den Westen und Norden. Und gerade in Böhmen stießen Josefs Verwaltungsneuerungen auf wenig Widerstand, da für die höheren Stellen eine tschechische Intelligenz fehlte und der Adel nicht mehr tschechisch sprach und mehr eigennützig als tschechisch fühlte. Aber der humane Geist des Aufklärungszeitalters, „die Konservierung der Eingeborenen", wie man sich wohl ausdrückte, die Pflege der Volkssprache, die Toleranz in Religionssachen, weckte gerade in Böhmen die Kräfte, die sich gegen die Zentralisierung ausbäumen sollten. Der alte Hussitengeist wurde in Böhmen wach und unterstützte die privilegiengiertge Opposition des Adels. Dazu kam der frühe Tod des tüchtigen Kaisers Leopold. Der Schwächling Franz der Erste, unter dem Österreich die schweren Erschütterungen der napoleonischen Zeit durchzumachen hatte, hielt an den Verwaltungsgrundsätzen der josefinisch-leopoldinischen Zeit zwar fest, war aber ganz unfähig zu freiem Denken und damit zu der gewiß schweren weiteren Ausbildung der Verfassung in konstitutionellem Sinne. Es ist unberechtigt, die Schuld an der damaligen Versumpfung Metternich zuzuschreiben, der kluge Staatskanzler, dessen Virtuosität nur die äußeren Angelegenheiten oblagen, hat vergeblich gewarnt, die Schuld liegt ganz auf Franz, den das österreichische Nationallied „unsern guten Kaiser Franz" nennt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/313>, abgerufen am 28.07.2024.