Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die böhmische Frage

waren die Weistümer der Dörfer,' aus deutscher Wurzel Sproß das böhmische
Bergrecht, deutsch, meist dem Recht Magdeburgs, dann dem deutschen Rechte
Prags oder Nürnbergs nachgebildet, war das Recht der Städte. Die Könige
waren eifrige Förderer und Schützer der Kolonisation. Es ist ein Irrtum der
landläufigen Geschichtsdarstellung Ottokar den Zweiten wegen seiner Gegner¬
schaft zu Rudolf von Habsburg, als Feind der Deutschen hinzustellen: unter
diesem glänzendsten Herrscher aus dem Hause der Przemysliden wurde auch
der Hof in Sprache und Art deutsch. Karl der Vierte, Böhmens Vater hat im
nächsten Jahrhundert, 1348 Prag zum Sitz der ersten Universität im Reiche ge¬
macht; Böhmen schien berufen, geistig und politisch die Führung im Reiche und
damit gewissermaßen in Mitteleuropa zu übernehmen. Daß es dazu nicht kam,
lag an der vollständigen Unfähigkeit der Nachfolger. Sie waren nicht nur außer¬
stande, Karls europäische Machtstellung zu behaupten, sondern sie waren
auch den schweren inneren Erschütterungen des Reichs gegenüber ratlos.

Schon Karl der Vierte hatte schwere Widerstände bei den Tschechen zu
überwinden. Man kann geradezu den verwunderlichen Satz aufstellen: mit
dem Niedergang des nationalen Tschechen-Königtums der Przemysliden begann sich
die Lage der Deutschen schwieriger zu gestalten. Der Grund dieser Schwierig¬
keiten kann also nicht allein in der nationalen Frage zu suchen sein. Der
nationale Gegensatz war, wie wir schon sahen, zugleich ein rechtlicher und wirt¬
schaftlicher. Wenn die böhmischen Könige und besonders Ottokar einen Strom
deutscher Siedler ins Land leiteten, so taten sie es aus einem doppelten
Grunde. Die Deutschen waren Kulturbringer, sie schufen Städte, sie erschlossen
erst den natürlichen Reichtum des Landes. Daneben aber bildeten sie eine
politische Macht, die der König in seine Rechnung einstellen konnte. Wir
dürfen die Begriffe städtischen Rechts und städtischer Freiheit nicht ohne
weiteres auf Böhmen übertragen. Die böhmischen Städte sind nicht in der-
selben Weise, wie so oft im Reich, Staaten im Staate gewesen, sie besaßen nicht
die ganze Summe der Selbstverwaltungsrechte. In der Verwaltung wie in
der Rechtspflege war der Einspruch des Königs oder seines Unterkämmerers
von Bedeutung. So gewann der Herrscher ein Gegengewicht gegen die
mächtigen Adelsgeschlechter des Landes. Aber endlich blieb der Herrenstand
doch in dem Kampfe Sieger. Er widersetzte sich schon mit Erfolg dem Ver¬
suche Ottokars, die sächsischen und fränkischen Stadtrechte Böhmens einheitlich
zu kodifizieren, er brachte dann im Verlaufe des vierzehnten Jahrhunderts viele
Städte ganz in seinen Besitz, sodaß das Ausmaß ihrer Rechte nun von seinem
guten Willen abhing. Der Versuch Karls des Vierten, die königliche Macht
durch die Umbildung Böhmens zu einem Beamtenstaat und die Einführung
römischer Rechtsnormen zu stärken, mißlang vollkommen.

Diese große politisch-wirtschaftliche Auseinandersetzung zwischen den Ständen,
welche die Geschichte aller mitteleuropäischen Staaten vom vierzehnten bis zum
siebzehnten Jahrhundert durchzieht, erhielt hier in Böhmen ihre besondere


Die böhmische Frage

waren die Weistümer der Dörfer,' aus deutscher Wurzel Sproß das böhmische
Bergrecht, deutsch, meist dem Recht Magdeburgs, dann dem deutschen Rechte
Prags oder Nürnbergs nachgebildet, war das Recht der Städte. Die Könige
waren eifrige Förderer und Schützer der Kolonisation. Es ist ein Irrtum der
landläufigen Geschichtsdarstellung Ottokar den Zweiten wegen seiner Gegner¬
schaft zu Rudolf von Habsburg, als Feind der Deutschen hinzustellen: unter
diesem glänzendsten Herrscher aus dem Hause der Przemysliden wurde auch
der Hof in Sprache und Art deutsch. Karl der Vierte, Böhmens Vater hat im
nächsten Jahrhundert, 1348 Prag zum Sitz der ersten Universität im Reiche ge¬
macht; Böhmen schien berufen, geistig und politisch die Führung im Reiche und
damit gewissermaßen in Mitteleuropa zu übernehmen. Daß es dazu nicht kam,
lag an der vollständigen Unfähigkeit der Nachfolger. Sie waren nicht nur außer¬
stande, Karls europäische Machtstellung zu behaupten, sondern sie waren
auch den schweren inneren Erschütterungen des Reichs gegenüber ratlos.

Schon Karl der Vierte hatte schwere Widerstände bei den Tschechen zu
überwinden. Man kann geradezu den verwunderlichen Satz aufstellen: mit
dem Niedergang des nationalen Tschechen-Königtums der Przemysliden begann sich
die Lage der Deutschen schwieriger zu gestalten. Der Grund dieser Schwierig¬
keiten kann also nicht allein in der nationalen Frage zu suchen sein. Der
nationale Gegensatz war, wie wir schon sahen, zugleich ein rechtlicher und wirt¬
schaftlicher. Wenn die böhmischen Könige und besonders Ottokar einen Strom
deutscher Siedler ins Land leiteten, so taten sie es aus einem doppelten
Grunde. Die Deutschen waren Kulturbringer, sie schufen Städte, sie erschlossen
erst den natürlichen Reichtum des Landes. Daneben aber bildeten sie eine
politische Macht, die der König in seine Rechnung einstellen konnte. Wir
dürfen die Begriffe städtischen Rechts und städtischer Freiheit nicht ohne
weiteres auf Böhmen übertragen. Die böhmischen Städte sind nicht in der-
selben Weise, wie so oft im Reich, Staaten im Staate gewesen, sie besaßen nicht
die ganze Summe der Selbstverwaltungsrechte. In der Verwaltung wie in
der Rechtspflege war der Einspruch des Königs oder seines Unterkämmerers
von Bedeutung. So gewann der Herrscher ein Gegengewicht gegen die
mächtigen Adelsgeschlechter des Landes. Aber endlich blieb der Herrenstand
doch in dem Kampfe Sieger. Er widersetzte sich schon mit Erfolg dem Ver¬
suche Ottokars, die sächsischen und fränkischen Stadtrechte Böhmens einheitlich
zu kodifizieren, er brachte dann im Verlaufe des vierzehnten Jahrhunderts viele
Städte ganz in seinen Besitz, sodaß das Ausmaß ihrer Rechte nun von seinem
guten Willen abhing. Der Versuch Karls des Vierten, die königliche Macht
durch die Umbildung Böhmens zu einem Beamtenstaat und die Einführung
römischer Rechtsnormen zu stärken, mißlang vollkommen.

Diese große politisch-wirtschaftliche Auseinandersetzung zwischen den Ständen,
welche die Geschichte aller mitteleuropäischen Staaten vom vierzehnten bis zum
siebzehnten Jahrhundert durchzieht, erhielt hier in Böhmen ihre besondere


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330411"/>
          <fw type="header" place="top"> Die böhmische Frage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1245" prev="#ID_1244"> waren die Weistümer der Dörfer,' aus deutscher Wurzel Sproß das böhmische<lb/>
Bergrecht, deutsch, meist dem Recht Magdeburgs, dann dem deutschen Rechte<lb/>
Prags oder Nürnbergs nachgebildet, war das Recht der Städte. Die Könige<lb/>
waren eifrige Förderer und Schützer der Kolonisation. Es ist ein Irrtum der<lb/>
landläufigen Geschichtsdarstellung Ottokar den Zweiten wegen seiner Gegner¬<lb/>
schaft zu Rudolf von Habsburg, als Feind der Deutschen hinzustellen: unter<lb/>
diesem glänzendsten Herrscher aus dem Hause der Przemysliden wurde auch<lb/>
der Hof in Sprache und Art deutsch. Karl der Vierte, Böhmens Vater hat im<lb/>
nächsten Jahrhundert, 1348 Prag zum Sitz der ersten Universität im Reiche ge¬<lb/>
macht; Böhmen schien berufen, geistig und politisch die Führung im Reiche und<lb/>
damit gewissermaßen in Mitteleuropa zu übernehmen. Daß es dazu nicht kam,<lb/>
lag an der vollständigen Unfähigkeit der Nachfolger. Sie waren nicht nur außer¬<lb/>
stande, Karls europäische Machtstellung zu behaupten, sondern sie waren<lb/>
auch den schweren inneren Erschütterungen des Reichs gegenüber ratlos.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1246"> Schon Karl der Vierte hatte schwere Widerstände bei den Tschechen zu<lb/>
überwinden. Man kann geradezu den verwunderlichen Satz aufstellen: mit<lb/>
dem Niedergang des nationalen Tschechen-Königtums der Przemysliden begann sich<lb/>
die Lage der Deutschen schwieriger zu gestalten. Der Grund dieser Schwierig¬<lb/>
keiten kann also nicht allein in der nationalen Frage zu suchen sein. Der<lb/>
nationale Gegensatz war, wie wir schon sahen, zugleich ein rechtlicher und wirt¬<lb/>
schaftlicher. Wenn die böhmischen Könige und besonders Ottokar einen Strom<lb/>
deutscher Siedler ins Land leiteten, so taten sie es aus einem doppelten<lb/>
Grunde. Die Deutschen waren Kulturbringer, sie schufen Städte, sie erschlossen<lb/>
erst den natürlichen Reichtum des Landes. Daneben aber bildeten sie eine<lb/>
politische Macht, die der König in seine Rechnung einstellen konnte. Wir<lb/>
dürfen die Begriffe städtischen Rechts und städtischer Freiheit nicht ohne<lb/>
weiteres auf Böhmen übertragen. Die böhmischen Städte sind nicht in der-<lb/>
selben Weise, wie so oft im Reich, Staaten im Staate gewesen, sie besaßen nicht<lb/>
die ganze Summe der Selbstverwaltungsrechte. In der Verwaltung wie in<lb/>
der Rechtspflege war der Einspruch des Königs oder seines Unterkämmerers<lb/>
von Bedeutung. So gewann der Herrscher ein Gegengewicht gegen die<lb/>
mächtigen Adelsgeschlechter des Landes. Aber endlich blieb der Herrenstand<lb/>
doch in dem Kampfe Sieger. Er widersetzte sich schon mit Erfolg dem Ver¬<lb/>
suche Ottokars, die sächsischen und fränkischen Stadtrechte Böhmens einheitlich<lb/>
zu kodifizieren, er brachte dann im Verlaufe des vierzehnten Jahrhunderts viele<lb/>
Städte ganz in seinen Besitz, sodaß das Ausmaß ihrer Rechte nun von seinem<lb/>
guten Willen abhing. Der Versuch Karls des Vierten, die königliche Macht<lb/>
durch die Umbildung Böhmens zu einem Beamtenstaat und die Einführung<lb/>
römischer Rechtsnormen zu stärken, mißlang vollkommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1247" next="#ID_1248"> Diese große politisch-wirtschaftliche Auseinandersetzung zwischen den Ständen,<lb/>
welche die Geschichte aller mitteleuropäischen Staaten vom vierzehnten bis zum<lb/>
siebzehnten Jahrhundert durchzieht, erhielt hier in Böhmen ihre besondere</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0311] Die böhmische Frage waren die Weistümer der Dörfer,' aus deutscher Wurzel Sproß das böhmische Bergrecht, deutsch, meist dem Recht Magdeburgs, dann dem deutschen Rechte Prags oder Nürnbergs nachgebildet, war das Recht der Städte. Die Könige waren eifrige Förderer und Schützer der Kolonisation. Es ist ein Irrtum der landläufigen Geschichtsdarstellung Ottokar den Zweiten wegen seiner Gegner¬ schaft zu Rudolf von Habsburg, als Feind der Deutschen hinzustellen: unter diesem glänzendsten Herrscher aus dem Hause der Przemysliden wurde auch der Hof in Sprache und Art deutsch. Karl der Vierte, Böhmens Vater hat im nächsten Jahrhundert, 1348 Prag zum Sitz der ersten Universität im Reiche ge¬ macht; Böhmen schien berufen, geistig und politisch die Führung im Reiche und damit gewissermaßen in Mitteleuropa zu übernehmen. Daß es dazu nicht kam, lag an der vollständigen Unfähigkeit der Nachfolger. Sie waren nicht nur außer¬ stande, Karls europäische Machtstellung zu behaupten, sondern sie waren auch den schweren inneren Erschütterungen des Reichs gegenüber ratlos. Schon Karl der Vierte hatte schwere Widerstände bei den Tschechen zu überwinden. Man kann geradezu den verwunderlichen Satz aufstellen: mit dem Niedergang des nationalen Tschechen-Königtums der Przemysliden begann sich die Lage der Deutschen schwieriger zu gestalten. Der Grund dieser Schwierig¬ keiten kann also nicht allein in der nationalen Frage zu suchen sein. Der nationale Gegensatz war, wie wir schon sahen, zugleich ein rechtlicher und wirt¬ schaftlicher. Wenn die böhmischen Könige und besonders Ottokar einen Strom deutscher Siedler ins Land leiteten, so taten sie es aus einem doppelten Grunde. Die Deutschen waren Kulturbringer, sie schufen Städte, sie erschlossen erst den natürlichen Reichtum des Landes. Daneben aber bildeten sie eine politische Macht, die der König in seine Rechnung einstellen konnte. Wir dürfen die Begriffe städtischen Rechts und städtischer Freiheit nicht ohne weiteres auf Böhmen übertragen. Die böhmischen Städte sind nicht in der- selben Weise, wie so oft im Reich, Staaten im Staate gewesen, sie besaßen nicht die ganze Summe der Selbstverwaltungsrechte. In der Verwaltung wie in der Rechtspflege war der Einspruch des Königs oder seines Unterkämmerers von Bedeutung. So gewann der Herrscher ein Gegengewicht gegen die mächtigen Adelsgeschlechter des Landes. Aber endlich blieb der Herrenstand doch in dem Kampfe Sieger. Er widersetzte sich schon mit Erfolg dem Ver¬ suche Ottokars, die sächsischen und fränkischen Stadtrechte Böhmens einheitlich zu kodifizieren, er brachte dann im Verlaufe des vierzehnten Jahrhunderts viele Städte ganz in seinen Besitz, sodaß das Ausmaß ihrer Rechte nun von seinem guten Willen abhing. Der Versuch Karls des Vierten, die königliche Macht durch die Umbildung Böhmens zu einem Beamtenstaat und die Einführung römischer Rechtsnormen zu stärken, mißlang vollkommen. Diese große politisch-wirtschaftliche Auseinandersetzung zwischen den Ständen, welche die Geschichte aller mitteleuropäischen Staaten vom vierzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert durchzieht, erhielt hier in Böhmen ihre besondere

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/311
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/311>, abgerufen am 28.07.2024.