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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die böhmische Frage
Dr. Richard Boschan von

leich ist im Werke, das Verhältnis Deutschlands und Österreich-
Ungarns, die auf eine nicht abzusehende Zeit auf Gedeih und
Verderb miteinander verbunden sind, nach dem Kriege inniger
zu gestalten. Bei diesen Erörterungen wird scheinbar geflissentlich
das Nationalitätenproblem. umgangen. Daß die Neuordnung der
inneren Verhältnisse der Doppelmonarchie sich notwendigerweise hauptsächlich
auf dis beiden führenden Nationalitäten, die Deutschen und die Ungarn, stützen
muß, steht außer Frage; fraglich ist nur, wie weit Österreich im Rahmen der
Gesamtstaatsidee auf alle Forderungen der slawischen Nationen eingehen wird.
Bismarck hat gemeint, daß die deutsche Reichsverfassung den Weg anzeige, auf
dem Österreich eine Versöhnung der politischen und materiellen Interessen er¬
reichen könne, die zwischen der Ostgrenze des rumänischen Volksstammes und
der Bucht von Cattaro vorhanden sind. Bei anderer Gelegenheit hat er den
Rat gegeben, mit dem slawischen Rivalen auch im heftigsten Zorn und in der
schwierigsten Lage immer mit dem Gefühl, mit dem innerlichen, tief innerlichen,
nicht ausgesprochenen Gefühl zu verfahren, der überlegene zu sein und auf die
Dauer zu bleiben. Jetzt ist die günstige Stunde, manche Fehler der Ver¬
gangenheit wieder gutzumachen. Es kann nach den Ereignissen des Krieges
für keinen mehr fraglich sein, daß die Stärke Österreichs auf der Stärke seines
Deutschtums beruht.

Noch vor dem Kriege hat ein Führer der Deutschböhmen gesagt, an dem
Schicksal Böhmens hinge das Deutschtum Österreichs überhaupt. Erfüllt von
nationaler Begeisterung nehmen die Tschechen unter allen slawischen Völkern
die erste Stelle ein, freilich auf der Grundlage einer mehr westeuropäischen als
slawischen Kultur. Schritt für Schritt haben sie mit großem Geschick ihre
politischen Rechte zu erweitern verstanden und ihre ausschweifenden nationalen
Forderungen haben oft so bedenkliche Formen angenommen, daß es dem
Außenstehenden schwer fiel die Langmut zu verstehen, mit der die Negierung
unter dem schadenfrohen Beifall des Auslandes dem Treiben der Volksverführer
Msah. Die Tschechen wiesen den anderen Nationalitäten des Kaiserstaates die
Wege. Was man den Tschechen zugestand, beanspruchten auch die weniger
entwickelten Nationalitäten als ihr gutes Recht. Nur mit schwerer Sorge




Die böhmische Frage
Dr. Richard Boschan von

leich ist im Werke, das Verhältnis Deutschlands und Österreich-
Ungarns, die auf eine nicht abzusehende Zeit auf Gedeih und
Verderb miteinander verbunden sind, nach dem Kriege inniger
zu gestalten. Bei diesen Erörterungen wird scheinbar geflissentlich
das Nationalitätenproblem. umgangen. Daß die Neuordnung der
inneren Verhältnisse der Doppelmonarchie sich notwendigerweise hauptsächlich
auf dis beiden führenden Nationalitäten, die Deutschen und die Ungarn, stützen
muß, steht außer Frage; fraglich ist nur, wie weit Österreich im Rahmen der
Gesamtstaatsidee auf alle Forderungen der slawischen Nationen eingehen wird.
Bismarck hat gemeint, daß die deutsche Reichsverfassung den Weg anzeige, auf
dem Österreich eine Versöhnung der politischen und materiellen Interessen er¬
reichen könne, die zwischen der Ostgrenze des rumänischen Volksstammes und
der Bucht von Cattaro vorhanden sind. Bei anderer Gelegenheit hat er den
Rat gegeben, mit dem slawischen Rivalen auch im heftigsten Zorn und in der
schwierigsten Lage immer mit dem Gefühl, mit dem innerlichen, tief innerlichen,
nicht ausgesprochenen Gefühl zu verfahren, der überlegene zu sein und auf die
Dauer zu bleiben. Jetzt ist die günstige Stunde, manche Fehler der Ver¬
gangenheit wieder gutzumachen. Es kann nach den Ereignissen des Krieges
für keinen mehr fraglich sein, daß die Stärke Österreichs auf der Stärke seines
Deutschtums beruht.

Noch vor dem Kriege hat ein Führer der Deutschböhmen gesagt, an dem
Schicksal Böhmens hinge das Deutschtum Österreichs überhaupt. Erfüllt von
nationaler Begeisterung nehmen die Tschechen unter allen slawischen Völkern
die erste Stelle ein, freilich auf der Grundlage einer mehr westeuropäischen als
slawischen Kultur. Schritt für Schritt haben sie mit großem Geschick ihre
politischen Rechte zu erweitern verstanden und ihre ausschweifenden nationalen
Forderungen haben oft so bedenkliche Formen angenommen, daß es dem
Außenstehenden schwer fiel die Langmut zu verstehen, mit der die Negierung
unter dem schadenfrohen Beifall des Auslandes dem Treiben der Volksverführer
Msah. Die Tschechen wiesen den anderen Nationalitäten des Kaiserstaates die
Wege. Was man den Tschechen zugestand, beanspruchten auch die weniger
entwickelten Nationalitäten als ihr gutes Recht. Nur mit schwerer Sorge


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[0307] [Abbildung] Die böhmische Frage Dr. Richard Boschan von leich ist im Werke, das Verhältnis Deutschlands und Österreich- Ungarns, die auf eine nicht abzusehende Zeit auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden sind, nach dem Kriege inniger zu gestalten. Bei diesen Erörterungen wird scheinbar geflissentlich das Nationalitätenproblem. umgangen. Daß die Neuordnung der inneren Verhältnisse der Doppelmonarchie sich notwendigerweise hauptsächlich auf dis beiden führenden Nationalitäten, die Deutschen und die Ungarn, stützen muß, steht außer Frage; fraglich ist nur, wie weit Österreich im Rahmen der Gesamtstaatsidee auf alle Forderungen der slawischen Nationen eingehen wird. Bismarck hat gemeint, daß die deutsche Reichsverfassung den Weg anzeige, auf dem Österreich eine Versöhnung der politischen und materiellen Interessen er¬ reichen könne, die zwischen der Ostgrenze des rumänischen Volksstammes und der Bucht von Cattaro vorhanden sind. Bei anderer Gelegenheit hat er den Rat gegeben, mit dem slawischen Rivalen auch im heftigsten Zorn und in der schwierigsten Lage immer mit dem Gefühl, mit dem innerlichen, tief innerlichen, nicht ausgesprochenen Gefühl zu verfahren, der überlegene zu sein und auf die Dauer zu bleiben. Jetzt ist die günstige Stunde, manche Fehler der Ver¬ gangenheit wieder gutzumachen. Es kann nach den Ereignissen des Krieges für keinen mehr fraglich sein, daß die Stärke Österreichs auf der Stärke seines Deutschtums beruht. Noch vor dem Kriege hat ein Führer der Deutschböhmen gesagt, an dem Schicksal Böhmens hinge das Deutschtum Österreichs überhaupt. Erfüllt von nationaler Begeisterung nehmen die Tschechen unter allen slawischen Völkern die erste Stelle ein, freilich auf der Grundlage einer mehr westeuropäischen als slawischen Kultur. Schritt für Schritt haben sie mit großem Geschick ihre politischen Rechte zu erweitern verstanden und ihre ausschweifenden nationalen Forderungen haben oft so bedenkliche Formen angenommen, daß es dem Außenstehenden schwer fiel die Langmut zu verstehen, mit der die Negierung unter dem schadenfrohen Beifall des Auslandes dem Treiben der Volksverführer Msah. Die Tschechen wiesen den anderen Nationalitäten des Kaiserstaates die Wege. Was man den Tschechen zugestand, beanspruchten auch die weniger entwickelten Nationalitäten als ihr gutes Recht. Nur mit schwerer Sorge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/307>, abgerufen am 27.07.2024.