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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Weltkrieg und die Streitbewegung in Europa
Heinrich Göhring vo"

me der ersten Folgen des Kriegsausbruches in Deutschland war
die Verkündung des allgemeinen Burgfriedens. Nicht nur die
Fehde zwischen den politischen Parteien und zwischen den ver¬
schiedenen gewerkschaftlichen Richtungen wurde eingestellt, sondern
auch die wirtschaftlichen Kämpfe zwischen Arbeitern und Unter¬
nehmern wurden glatt abgebrochen. Nach den Berichten des Kaiserl. Statistischen
Amtes. Abteilung für Arbeiterstatistik, im "Neichsarbeitsblatt" (Jahrgang 13,
S. 414 und 415, S. 743 und 749, S. 936 und 937 und Jahrgang 14, S. 244)
fanden in der Zeit vom Anfang August 1914 bis zu Ende des Jahres 1915 --
also in fast anderthalb Jahren -- nur 164 Arbeitskämpfe statt und zwar 160
Streiks und 4 Aussperrungen. Betroffen wurden von diesen Bewegungen 209
Betriebe (202 durch Streiks und 7 durch Aussperrungen) und beteiligt waren
14639 Personen (13412 durch Streiks und 1227 durch Aussperrungen). Die
Arbeitskämpfe des Jahres 1915 zeigt die auf Seite 278 stehende Aufstellung.

Überaus beachtenswert ist, daß die Arbeitskämpfe im Kriege sich aber be¬
sonders noch durch ihre verhältnismäßig kurze Dauer von denen im Frieden
unterscheiden. Die meisten der Bewegungen dauerten nur einen Tag oder
noch weniger. Dementsprechend war die Zahl der verloren gegangenen Arbeits¬
tage (Zahl der Streitenden bezw. Ausgesperrten vervielfacht mit der Dauer der
Arbeitsstreitigkeit) eine überaus geringe; im ersten Kriegsjahr (I.August 1914
bis 31. Juli 1915) wird sie mit 36576 (32932 durch Streiks und 3644 durch
Aussperrungen) angegeben. Bei der Mehrheit der Streikfälle handelt es sich
um die Regelung von Arbeitslohn und Arbeitszeit. Aber auch andere Ursachen
waren zu verzeichnen. Verschiedentlich wurde die Arbeit niedergelegt, um da¬
durch die Wiedereinstellung entlassener Mitarbeiter zu erzwingen, so beispiels¬
weise in Berlin (Automobilfabrik), im Reg.-Bez. Potsdam (Granatzünderbau
und Baugeschüft), in Hamburg (Seifenfabrik), im Reg.-Bez. Cöln (Militär-
effekten-Jndustrie), im Reg.-Bez. Mittelfranken (Briefumschlagfabrik), in der
Kreishauptmannschaft Dresden (Bierbrauerei) u. v. a. in. Wegen der Entlassung
mißliebiger und dem Trunke ergebener Personen kam es zur Ausstandsbewegung




Der Weltkrieg und die Streitbewegung in Europa
Heinrich Göhring vo»

me der ersten Folgen des Kriegsausbruches in Deutschland war
die Verkündung des allgemeinen Burgfriedens. Nicht nur die
Fehde zwischen den politischen Parteien und zwischen den ver¬
schiedenen gewerkschaftlichen Richtungen wurde eingestellt, sondern
auch die wirtschaftlichen Kämpfe zwischen Arbeitern und Unter¬
nehmern wurden glatt abgebrochen. Nach den Berichten des Kaiserl. Statistischen
Amtes. Abteilung für Arbeiterstatistik, im „Neichsarbeitsblatt" (Jahrgang 13,
S. 414 und 415, S. 743 und 749, S. 936 und 937 und Jahrgang 14, S. 244)
fanden in der Zeit vom Anfang August 1914 bis zu Ende des Jahres 1915 —
also in fast anderthalb Jahren — nur 164 Arbeitskämpfe statt und zwar 160
Streiks und 4 Aussperrungen. Betroffen wurden von diesen Bewegungen 209
Betriebe (202 durch Streiks und 7 durch Aussperrungen) und beteiligt waren
14639 Personen (13412 durch Streiks und 1227 durch Aussperrungen). Die
Arbeitskämpfe des Jahres 1915 zeigt die auf Seite 278 stehende Aufstellung.

Überaus beachtenswert ist, daß die Arbeitskämpfe im Kriege sich aber be¬
sonders noch durch ihre verhältnismäßig kurze Dauer von denen im Frieden
unterscheiden. Die meisten der Bewegungen dauerten nur einen Tag oder
noch weniger. Dementsprechend war die Zahl der verloren gegangenen Arbeits¬
tage (Zahl der Streitenden bezw. Ausgesperrten vervielfacht mit der Dauer der
Arbeitsstreitigkeit) eine überaus geringe; im ersten Kriegsjahr (I.August 1914
bis 31. Juli 1915) wird sie mit 36576 (32932 durch Streiks und 3644 durch
Aussperrungen) angegeben. Bei der Mehrheit der Streikfälle handelt es sich
um die Regelung von Arbeitslohn und Arbeitszeit. Aber auch andere Ursachen
waren zu verzeichnen. Verschiedentlich wurde die Arbeit niedergelegt, um da¬
durch die Wiedereinstellung entlassener Mitarbeiter zu erzwingen, so beispiels¬
weise in Berlin (Automobilfabrik), im Reg.-Bez. Potsdam (Granatzünderbau
und Baugeschüft), in Hamburg (Seifenfabrik), im Reg.-Bez. Cöln (Militär-
effekten-Jndustrie), im Reg.-Bez. Mittelfranken (Briefumschlagfabrik), in der
Kreishauptmannschaft Dresden (Bierbrauerei) u. v. a. in. Wegen der Entlassung
mißliebiger und dem Trunke ergebener Personen kam es zur Ausstandsbewegung


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[0289] [Abbildung] Der Weltkrieg und die Streitbewegung in Europa Heinrich Göhring vo» me der ersten Folgen des Kriegsausbruches in Deutschland war die Verkündung des allgemeinen Burgfriedens. Nicht nur die Fehde zwischen den politischen Parteien und zwischen den ver¬ schiedenen gewerkschaftlichen Richtungen wurde eingestellt, sondern auch die wirtschaftlichen Kämpfe zwischen Arbeitern und Unter¬ nehmern wurden glatt abgebrochen. Nach den Berichten des Kaiserl. Statistischen Amtes. Abteilung für Arbeiterstatistik, im „Neichsarbeitsblatt" (Jahrgang 13, S. 414 und 415, S. 743 und 749, S. 936 und 937 und Jahrgang 14, S. 244) fanden in der Zeit vom Anfang August 1914 bis zu Ende des Jahres 1915 — also in fast anderthalb Jahren — nur 164 Arbeitskämpfe statt und zwar 160 Streiks und 4 Aussperrungen. Betroffen wurden von diesen Bewegungen 209 Betriebe (202 durch Streiks und 7 durch Aussperrungen) und beteiligt waren 14639 Personen (13412 durch Streiks und 1227 durch Aussperrungen). Die Arbeitskämpfe des Jahres 1915 zeigt die auf Seite 278 stehende Aufstellung. Überaus beachtenswert ist, daß die Arbeitskämpfe im Kriege sich aber be¬ sonders noch durch ihre verhältnismäßig kurze Dauer von denen im Frieden unterscheiden. Die meisten der Bewegungen dauerten nur einen Tag oder noch weniger. Dementsprechend war die Zahl der verloren gegangenen Arbeits¬ tage (Zahl der Streitenden bezw. Ausgesperrten vervielfacht mit der Dauer der Arbeitsstreitigkeit) eine überaus geringe; im ersten Kriegsjahr (I.August 1914 bis 31. Juli 1915) wird sie mit 36576 (32932 durch Streiks und 3644 durch Aussperrungen) angegeben. Bei der Mehrheit der Streikfälle handelt es sich um die Regelung von Arbeitslohn und Arbeitszeit. Aber auch andere Ursachen waren zu verzeichnen. Verschiedentlich wurde die Arbeit niedergelegt, um da¬ durch die Wiedereinstellung entlassener Mitarbeiter zu erzwingen, so beispiels¬ weise in Berlin (Automobilfabrik), im Reg.-Bez. Potsdam (Granatzünderbau und Baugeschüft), in Hamburg (Seifenfabrik), im Reg.-Bez. Cöln (Militär- effekten-Jndustrie), im Reg.-Bez. Mittelfranken (Briefumschlagfabrik), in der Kreishauptmannschaft Dresden (Bierbrauerei) u. v. a. in. Wegen der Entlassung mißliebiger und dem Trunke ergebener Personen kam es zur Ausstandsbewegung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/289>, abgerufen am 27.07.2024.