Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Apostel des deutschen Idealismus

Das ist kein bloßer Gelehrter mehr, sondern ein idealer Priester, und der ganze
Stand erscheint mehr und mehr in der Rolle eines Klerus. Wie die alte Kirche
ihr eigentliches Lebensideal als das des Klerikers aus dem gewöhnlichen des
christlichen Laien weit hinaushob, so fühlt auch Fichte, daß der Weg zur voll¬
endeten Seligkeit, wenn man seiner Weisung folgen will, eigentlich nur für
Auserwählte gangbar ist, während das breite Volk einen Weg geführt werden
muß. auf dem die letzte Klarheit über Gott und die Dinge der Welt uner¬
reichbar bleibt. In der "Anweisung zum seligen Leben" hat Fichte das un¬
mißverständlich angedeutet, wenn er es auch vermeidet, breitere Ausführungen
darüber zu machen. Fichtes "Gelehrter" ist nicht Forscher, fondern Seher des
Zieles der Menschheitsentwicklung, Erzieher und Menschheitsführer. Er erkennt
eine gewisse Bestimmung, einen von Gott ihm erwählten Beruf als den seinigen
und lebt nun für weiter nichts als diese Bestimmung und diesen Beruf. Das
macht seine "Rechtschaffenheit" und seine "Heiligkeit" aus. Mit diesen Worten
umschreibt Fichte die spezifische Tugend seines Gelehrtenstandes. Gemeine ist
im Grunde weiter nichts als Treue gegen Gott und Gottes Sache: die echteste
Tugend des Klerikers I Die Arbeit des Gelehrten erstreckt sich auf Erhaltung
der Jdeenerkenntnis und ihre Erhebung zu immer größerer Klarheit, dann aber
auf Ordnung der gesellschaftlichen und aller weltlichen Verhältnisse nach der
göttlichen Idee; also mit anderen Worten: einmal auf Theologie und zweitens
auf Seelsorge, Kirchenzucht und Kirchenregierung. In einer seiner letzten
Schriften erscheint der Gelehrte gar "den Engeln und Dämonen vergleichbar
als ein übermenschliches Wesen in der Mittelwelt der Geister. . . grenzend an
die Sinnlichkeit, grenzend an Gott-Wissen" (Bergmann S. 175). Höher stellt
die katholische Kirche ihren Priester auch nicht I Und wenn es schon in den
Vorlesungen "Über das Wesen des Gelehrten" von 1805 heißt, der Gelehrte
sei von der göttlichen Idee durchdrungen, sie sei ein Bestandteil seiner Persön¬
lichkeit, ja sie habe seine Person verzehrt, so daß diese nur noch die sinnliche
Erscheinung des Daseins der Idee sei -- so denkt man unwillkürlich an die
Konsequenz des Zölibats, die Fichte allerdings nicht gezogen hat. Endlich wenn
1811 die Gelehrten unter sich zusammentreten sollen zur "eng verbundenen
und miteinander verwachsenen Gelehrtengemeinde", so gelangt man zu der
Konsequenz einer Hierarchie. Fichtes "Gelehrter" ist kein anderer Typus als
der philosophische Staatslenker in Platons politeia oder der Priester in
Augustins Liviwg Oel. Hätten sich Fichtes Erziehungsideale irgendwo ver¬
wirklicht, wir hätten eine philosophische Kirche vor uns, mit einem Klerus an
der Spitze, der im Sinne seines Gründers das beste Recht hätte, alle Züge,
die zu einem Wesen gehören, mit größtmöglicher Schroffheit auszubilden.
Nietzsche hat scharf gesehen, wenn er sagte, daß im modernen Philosophen mehr
oder weniger ein stiller Konkurrent des Priesters großgewachsen seil

Zum Christentum als solchem hat Fichte nicht in Gegensatz treten wollen.
Er glaubte vielmehr, daß seine Lehre völlig mit dem Urchristentum überein-


Der Apostel des deutschen Idealismus

Das ist kein bloßer Gelehrter mehr, sondern ein idealer Priester, und der ganze
Stand erscheint mehr und mehr in der Rolle eines Klerus. Wie die alte Kirche
ihr eigentliches Lebensideal als das des Klerikers aus dem gewöhnlichen des
christlichen Laien weit hinaushob, so fühlt auch Fichte, daß der Weg zur voll¬
endeten Seligkeit, wenn man seiner Weisung folgen will, eigentlich nur für
Auserwählte gangbar ist, während das breite Volk einen Weg geführt werden
muß. auf dem die letzte Klarheit über Gott und die Dinge der Welt uner¬
reichbar bleibt. In der „Anweisung zum seligen Leben" hat Fichte das un¬
mißverständlich angedeutet, wenn er es auch vermeidet, breitere Ausführungen
darüber zu machen. Fichtes „Gelehrter" ist nicht Forscher, fondern Seher des
Zieles der Menschheitsentwicklung, Erzieher und Menschheitsführer. Er erkennt
eine gewisse Bestimmung, einen von Gott ihm erwählten Beruf als den seinigen
und lebt nun für weiter nichts als diese Bestimmung und diesen Beruf. Das
macht seine „Rechtschaffenheit" und seine „Heiligkeit" aus. Mit diesen Worten
umschreibt Fichte die spezifische Tugend seines Gelehrtenstandes. Gemeine ist
im Grunde weiter nichts als Treue gegen Gott und Gottes Sache: die echteste
Tugend des Klerikers I Die Arbeit des Gelehrten erstreckt sich auf Erhaltung
der Jdeenerkenntnis und ihre Erhebung zu immer größerer Klarheit, dann aber
auf Ordnung der gesellschaftlichen und aller weltlichen Verhältnisse nach der
göttlichen Idee; also mit anderen Worten: einmal auf Theologie und zweitens
auf Seelsorge, Kirchenzucht und Kirchenregierung. In einer seiner letzten
Schriften erscheint der Gelehrte gar „den Engeln und Dämonen vergleichbar
als ein übermenschliches Wesen in der Mittelwelt der Geister. . . grenzend an
die Sinnlichkeit, grenzend an Gott-Wissen" (Bergmann S. 175). Höher stellt
die katholische Kirche ihren Priester auch nicht I Und wenn es schon in den
Vorlesungen „Über das Wesen des Gelehrten" von 1805 heißt, der Gelehrte
sei von der göttlichen Idee durchdrungen, sie sei ein Bestandteil seiner Persön¬
lichkeit, ja sie habe seine Person verzehrt, so daß diese nur noch die sinnliche
Erscheinung des Daseins der Idee sei — so denkt man unwillkürlich an die
Konsequenz des Zölibats, die Fichte allerdings nicht gezogen hat. Endlich wenn
1811 die Gelehrten unter sich zusammentreten sollen zur „eng verbundenen
und miteinander verwachsenen Gelehrtengemeinde", so gelangt man zu der
Konsequenz einer Hierarchie. Fichtes „Gelehrter" ist kein anderer Typus als
der philosophische Staatslenker in Platons politeia oder der Priester in
Augustins Liviwg Oel. Hätten sich Fichtes Erziehungsideale irgendwo ver¬
wirklicht, wir hätten eine philosophische Kirche vor uns, mit einem Klerus an
der Spitze, der im Sinne seines Gründers das beste Recht hätte, alle Züge,
die zu einem Wesen gehören, mit größtmöglicher Schroffheit auszubilden.
Nietzsche hat scharf gesehen, wenn er sagte, daß im modernen Philosophen mehr
oder weniger ein stiller Konkurrent des Priesters großgewachsen seil

Zum Christentum als solchem hat Fichte nicht in Gegensatz treten wollen.
Er glaubte vielmehr, daß seine Lehre völlig mit dem Urchristentum überein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330378"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Apostel des deutschen Idealismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1029" prev="#ID_1028"> Das ist kein bloßer Gelehrter mehr, sondern ein idealer Priester, und der ganze<lb/>
Stand erscheint mehr und mehr in der Rolle eines Klerus. Wie die alte Kirche<lb/>
ihr eigentliches Lebensideal als das des Klerikers aus dem gewöhnlichen des<lb/>
christlichen Laien weit hinaushob, so fühlt auch Fichte, daß der Weg zur voll¬<lb/>
endeten Seligkeit, wenn man seiner Weisung folgen will, eigentlich nur für<lb/>
Auserwählte gangbar ist, während das breite Volk einen Weg geführt werden<lb/>
muß. auf dem die letzte Klarheit über Gott und die Dinge der Welt uner¬<lb/>
reichbar bleibt. In der &#x201E;Anweisung zum seligen Leben" hat Fichte das un¬<lb/>
mißverständlich angedeutet, wenn er es auch vermeidet, breitere Ausführungen<lb/>
darüber zu machen. Fichtes &#x201E;Gelehrter" ist nicht Forscher, fondern Seher des<lb/>
Zieles der Menschheitsentwicklung, Erzieher und Menschheitsführer. Er erkennt<lb/>
eine gewisse Bestimmung, einen von Gott ihm erwählten Beruf als den seinigen<lb/>
und lebt nun für weiter nichts als diese Bestimmung und diesen Beruf. Das<lb/>
macht seine &#x201E;Rechtschaffenheit" und seine &#x201E;Heiligkeit" aus. Mit diesen Worten<lb/>
umschreibt Fichte die spezifische Tugend seines Gelehrtenstandes. Gemeine ist<lb/>
im Grunde weiter nichts als Treue gegen Gott und Gottes Sache: die echteste<lb/>
Tugend des Klerikers I Die Arbeit des Gelehrten erstreckt sich auf Erhaltung<lb/>
der Jdeenerkenntnis und ihre Erhebung zu immer größerer Klarheit, dann aber<lb/>
auf Ordnung der gesellschaftlichen und aller weltlichen Verhältnisse nach der<lb/>
göttlichen Idee; also mit anderen Worten: einmal auf Theologie und zweitens<lb/>
auf Seelsorge, Kirchenzucht und Kirchenregierung. In einer seiner letzten<lb/>
Schriften erscheint der Gelehrte gar &#x201E;den Engeln und Dämonen vergleichbar<lb/>
als ein übermenschliches Wesen in der Mittelwelt der Geister. . . grenzend an<lb/>
die Sinnlichkeit, grenzend an Gott-Wissen" (Bergmann S. 175). Höher stellt<lb/>
die katholische Kirche ihren Priester auch nicht I Und wenn es schon in den<lb/>
Vorlesungen &#x201E;Über das Wesen des Gelehrten" von 1805 heißt, der Gelehrte<lb/>
sei von der göttlichen Idee durchdrungen, sie sei ein Bestandteil seiner Persön¬<lb/>
lichkeit, ja sie habe seine Person verzehrt, so daß diese nur noch die sinnliche<lb/>
Erscheinung des Daseins der Idee sei &#x2014; so denkt man unwillkürlich an die<lb/>
Konsequenz des Zölibats, die Fichte allerdings nicht gezogen hat. Endlich wenn<lb/>
1811 die Gelehrten unter sich zusammentreten sollen zur &#x201E;eng verbundenen<lb/>
und miteinander verwachsenen Gelehrtengemeinde", so gelangt man zu der<lb/>
Konsequenz einer Hierarchie. Fichtes &#x201E;Gelehrter" ist kein anderer Typus als<lb/>
der philosophische Staatslenker in Platons politeia oder der Priester in<lb/>
Augustins Liviwg Oel. Hätten sich Fichtes Erziehungsideale irgendwo ver¬<lb/>
wirklicht, wir hätten eine philosophische Kirche vor uns, mit einem Klerus an<lb/>
der Spitze, der im Sinne seines Gründers das beste Recht hätte, alle Züge,<lb/>
die zu einem Wesen gehören, mit größtmöglicher Schroffheit auszubilden.<lb/>
Nietzsche hat scharf gesehen, wenn er sagte, daß im modernen Philosophen mehr<lb/>
oder weniger ein stiller Konkurrent des Priesters großgewachsen seil</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1030" next="#ID_1031"> Zum Christentum als solchem hat Fichte nicht in Gegensatz treten wollen.<lb/>
Er glaubte vielmehr, daß seine Lehre völlig mit dem Urchristentum überein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] Der Apostel des deutschen Idealismus Das ist kein bloßer Gelehrter mehr, sondern ein idealer Priester, und der ganze Stand erscheint mehr und mehr in der Rolle eines Klerus. Wie die alte Kirche ihr eigentliches Lebensideal als das des Klerikers aus dem gewöhnlichen des christlichen Laien weit hinaushob, so fühlt auch Fichte, daß der Weg zur voll¬ endeten Seligkeit, wenn man seiner Weisung folgen will, eigentlich nur für Auserwählte gangbar ist, während das breite Volk einen Weg geführt werden muß. auf dem die letzte Klarheit über Gott und die Dinge der Welt uner¬ reichbar bleibt. In der „Anweisung zum seligen Leben" hat Fichte das un¬ mißverständlich angedeutet, wenn er es auch vermeidet, breitere Ausführungen darüber zu machen. Fichtes „Gelehrter" ist nicht Forscher, fondern Seher des Zieles der Menschheitsentwicklung, Erzieher und Menschheitsführer. Er erkennt eine gewisse Bestimmung, einen von Gott ihm erwählten Beruf als den seinigen und lebt nun für weiter nichts als diese Bestimmung und diesen Beruf. Das macht seine „Rechtschaffenheit" und seine „Heiligkeit" aus. Mit diesen Worten umschreibt Fichte die spezifische Tugend seines Gelehrtenstandes. Gemeine ist im Grunde weiter nichts als Treue gegen Gott und Gottes Sache: die echteste Tugend des Klerikers I Die Arbeit des Gelehrten erstreckt sich auf Erhaltung der Jdeenerkenntnis und ihre Erhebung zu immer größerer Klarheit, dann aber auf Ordnung der gesellschaftlichen und aller weltlichen Verhältnisse nach der göttlichen Idee; also mit anderen Worten: einmal auf Theologie und zweitens auf Seelsorge, Kirchenzucht und Kirchenregierung. In einer seiner letzten Schriften erscheint der Gelehrte gar „den Engeln und Dämonen vergleichbar als ein übermenschliches Wesen in der Mittelwelt der Geister. . . grenzend an die Sinnlichkeit, grenzend an Gott-Wissen" (Bergmann S. 175). Höher stellt die katholische Kirche ihren Priester auch nicht I Und wenn es schon in den Vorlesungen „Über das Wesen des Gelehrten" von 1805 heißt, der Gelehrte sei von der göttlichen Idee durchdrungen, sie sei ein Bestandteil seiner Persön¬ lichkeit, ja sie habe seine Person verzehrt, so daß diese nur noch die sinnliche Erscheinung des Daseins der Idee sei — so denkt man unwillkürlich an die Konsequenz des Zölibats, die Fichte allerdings nicht gezogen hat. Endlich wenn 1811 die Gelehrten unter sich zusammentreten sollen zur „eng verbundenen und miteinander verwachsenen Gelehrtengemeinde", so gelangt man zu der Konsequenz einer Hierarchie. Fichtes „Gelehrter" ist kein anderer Typus als der philosophische Staatslenker in Platons politeia oder der Priester in Augustins Liviwg Oel. Hätten sich Fichtes Erziehungsideale irgendwo ver¬ wirklicht, wir hätten eine philosophische Kirche vor uns, mit einem Klerus an der Spitze, der im Sinne seines Gründers das beste Recht hätte, alle Züge, die zu einem Wesen gehören, mit größtmöglicher Schroffheit auszubilden. Nietzsche hat scharf gesehen, wenn er sagte, daß im modernen Philosophen mehr oder weniger ein stiller Konkurrent des Priesters großgewachsen seil Zum Christentum als solchem hat Fichte nicht in Gegensatz treten wollen. Er glaubte vielmehr, daß seine Lehre völlig mit dem Urchristentum überein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/278>, abgerufen am 22.12.2024.