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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen

zu werden. ... Je älter ich werde, desto mehr eigentliche Freiheit gewinne ich
in meinem Denken und Empfinden, lasse der Phantasie viel mehr Rechte. . . .
Das Leben ist doch immer ein Fortschreiten. . . . Duldsamkeit und Arbeitsamkeit
wachsen mit zunehmender Reife. . . . Man kann nur gewinnen durch das Leben,
und es ist eine falsche Ansicht, das Alter als ein Vergehen, ein Abnehmen zu
betrachten, es ist nur eine andere Art zu sein."

Gewiß haben selten zwei Menschen mit so hochgesteigerter Verehrung sich
an fremder Kultur, an fremder Schönheit erfreut als diese Beiden' aber sie sind
aus Überzeugung deutsch, empfinden bewußt und liebend seinen Wert. Frau
von Stael. welche von Wilhelm von Humboldt meinte, er sei, "la plus Zrancle
eapacitö ac l'Lurope", entbehrte, seiner Ansicht nach, das Verständnis für
das "eigentlich Deutsche". Denn, "sie ist nicht innerlich, nicht natürlich, nicht
idealisch genug dazu," den rechten Punkt erreiche sie nicht, der sei, "die Liebe
an dem Gedanken und dem Gefühl um feiner selbst willen. . . . Wirklich edle
Charaktere berühren sich im Deutschen." Er ist im weiten Sinne Deutscher;
weshalb solle der König von Bayern nicht alle Talente nach München ziehen,
"man muß auch mit der Kunst so ausschließend nicht sein, und es gehört immer
Deutschland an." Die Liebe für Deutschland erscheint ihm höher und freier
von Bedürfnis und Gewohnheit als die Vaterlandsliebe der anderen Völker.
"Sie ist nicht sowohl Anhänglichkeit an die Erdscholle, sie ist mehr Sehnsucht
nach deutschem Geist und Gefühl." Obwohl er mit den Körners befreundet
war, empörte ihn das Gerede: Talente dürfen sich der Kriegsgefahr nicht
aussetzen. "Man kann auf keine unwürdigere Art vom Talent, vorzüglich von
einem Dichter reden. Das wahre Talent, der wahre Geist, den der Dichter
und jeder wahre, große Schriftsteller braucht, stammen aus dem Charakter und
werden durch ihn genährt." Er verweist auf Äschylus, dem niemand zumutete.
Trimeter zu machen, statt bei Marathon zu kämpfen. Die stille Anerkennung
des vollendeten und schönen Lebens des Sohnes genüge den Körnerschen
Eltern. "Die besten und edelsten in unseren Truppen kämpfen auch nur uni
jene stille Anerkennung. Sie bilden eine Schar und Brüderschaft in sich, die
sich durch gegenseitiges Bewußtsein billigt und belohnt, tröstet und stärkt." Er
bedauert, selber nicht mehr mit hinausziehen zu können.




Es handelt sich in diesen Bänden nicht nur um den Briefwechsel zweier
fesselnder Menschen, um den Vorzug, ihnen nahe zu treten, ja, mit ihnen zu
leben, es handelt sich um ein Denkmal deutscher Kultur. In nur wenigen Büchern
wird unsere höchstentwickelte Wesensart so rein und so edel wiedergegeben.

Eigentlich wäre dieses Werk ein ungewöhnlich passendes Hochzeitsgeschenk
für feinfühlende junge Menschen. Oder vielleicht wäre es gerade das Richtige
für die Alternden, für die, welche neuen Lebensmut schöpfen möchten? Nur
der erste Band, jener der Brautzeitbriefe, hat es bisher zu einem duch-


Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen

zu werden. ... Je älter ich werde, desto mehr eigentliche Freiheit gewinne ich
in meinem Denken und Empfinden, lasse der Phantasie viel mehr Rechte. . . .
Das Leben ist doch immer ein Fortschreiten. . . . Duldsamkeit und Arbeitsamkeit
wachsen mit zunehmender Reife. . . . Man kann nur gewinnen durch das Leben,
und es ist eine falsche Ansicht, das Alter als ein Vergehen, ein Abnehmen zu
betrachten, es ist nur eine andere Art zu sein."

Gewiß haben selten zwei Menschen mit so hochgesteigerter Verehrung sich
an fremder Kultur, an fremder Schönheit erfreut als diese Beiden' aber sie sind
aus Überzeugung deutsch, empfinden bewußt und liebend seinen Wert. Frau
von Stael. welche von Wilhelm von Humboldt meinte, er sei, „la plus Zrancle
eapacitö ac l'Lurope", entbehrte, seiner Ansicht nach, das Verständnis für
das „eigentlich Deutsche". Denn, „sie ist nicht innerlich, nicht natürlich, nicht
idealisch genug dazu," den rechten Punkt erreiche sie nicht, der sei, „die Liebe
an dem Gedanken und dem Gefühl um feiner selbst willen. . . . Wirklich edle
Charaktere berühren sich im Deutschen." Er ist im weiten Sinne Deutscher;
weshalb solle der König von Bayern nicht alle Talente nach München ziehen,
„man muß auch mit der Kunst so ausschließend nicht sein, und es gehört immer
Deutschland an." Die Liebe für Deutschland erscheint ihm höher und freier
von Bedürfnis und Gewohnheit als die Vaterlandsliebe der anderen Völker.
„Sie ist nicht sowohl Anhänglichkeit an die Erdscholle, sie ist mehr Sehnsucht
nach deutschem Geist und Gefühl." Obwohl er mit den Körners befreundet
war, empörte ihn das Gerede: Talente dürfen sich der Kriegsgefahr nicht
aussetzen. „Man kann auf keine unwürdigere Art vom Talent, vorzüglich von
einem Dichter reden. Das wahre Talent, der wahre Geist, den der Dichter
und jeder wahre, große Schriftsteller braucht, stammen aus dem Charakter und
werden durch ihn genährt." Er verweist auf Äschylus, dem niemand zumutete.
Trimeter zu machen, statt bei Marathon zu kämpfen. Die stille Anerkennung
des vollendeten und schönen Lebens des Sohnes genüge den Körnerschen
Eltern. „Die besten und edelsten in unseren Truppen kämpfen auch nur uni
jene stille Anerkennung. Sie bilden eine Schar und Brüderschaft in sich, die
sich durch gegenseitiges Bewußtsein billigt und belohnt, tröstet und stärkt." Er
bedauert, selber nicht mehr mit hinausziehen zu können.




Es handelt sich in diesen Bänden nicht nur um den Briefwechsel zweier
fesselnder Menschen, um den Vorzug, ihnen nahe zu treten, ja, mit ihnen zu
leben, es handelt sich um ein Denkmal deutscher Kultur. In nur wenigen Büchern
wird unsere höchstentwickelte Wesensart so rein und so edel wiedergegeben.

Eigentlich wäre dieses Werk ein ungewöhnlich passendes Hochzeitsgeschenk
für feinfühlende junge Menschen. Oder vielleicht wäre es gerade das Richtige
für die Alternden, für die, welche neuen Lebensmut schöpfen möchten? Nur
der erste Band, jener der Brautzeitbriefe, hat es bisher zu einem duch-


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[0261] Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen zu werden. ... Je älter ich werde, desto mehr eigentliche Freiheit gewinne ich in meinem Denken und Empfinden, lasse der Phantasie viel mehr Rechte. . . . Das Leben ist doch immer ein Fortschreiten. . . . Duldsamkeit und Arbeitsamkeit wachsen mit zunehmender Reife. . . . Man kann nur gewinnen durch das Leben, und es ist eine falsche Ansicht, das Alter als ein Vergehen, ein Abnehmen zu betrachten, es ist nur eine andere Art zu sein." Gewiß haben selten zwei Menschen mit so hochgesteigerter Verehrung sich an fremder Kultur, an fremder Schönheit erfreut als diese Beiden' aber sie sind aus Überzeugung deutsch, empfinden bewußt und liebend seinen Wert. Frau von Stael. welche von Wilhelm von Humboldt meinte, er sei, „la plus Zrancle eapacitö ac l'Lurope", entbehrte, seiner Ansicht nach, das Verständnis für das „eigentlich Deutsche". Denn, „sie ist nicht innerlich, nicht natürlich, nicht idealisch genug dazu," den rechten Punkt erreiche sie nicht, der sei, „die Liebe an dem Gedanken und dem Gefühl um feiner selbst willen. . . . Wirklich edle Charaktere berühren sich im Deutschen." Er ist im weiten Sinne Deutscher; weshalb solle der König von Bayern nicht alle Talente nach München ziehen, „man muß auch mit der Kunst so ausschließend nicht sein, und es gehört immer Deutschland an." Die Liebe für Deutschland erscheint ihm höher und freier von Bedürfnis und Gewohnheit als die Vaterlandsliebe der anderen Völker. „Sie ist nicht sowohl Anhänglichkeit an die Erdscholle, sie ist mehr Sehnsucht nach deutschem Geist und Gefühl." Obwohl er mit den Körners befreundet war, empörte ihn das Gerede: Talente dürfen sich der Kriegsgefahr nicht aussetzen. „Man kann auf keine unwürdigere Art vom Talent, vorzüglich von einem Dichter reden. Das wahre Talent, der wahre Geist, den der Dichter und jeder wahre, große Schriftsteller braucht, stammen aus dem Charakter und werden durch ihn genährt." Er verweist auf Äschylus, dem niemand zumutete. Trimeter zu machen, statt bei Marathon zu kämpfen. Die stille Anerkennung des vollendeten und schönen Lebens des Sohnes genüge den Körnerschen Eltern. „Die besten und edelsten in unseren Truppen kämpfen auch nur uni jene stille Anerkennung. Sie bilden eine Schar und Brüderschaft in sich, die sich durch gegenseitiges Bewußtsein billigt und belohnt, tröstet und stärkt." Er bedauert, selber nicht mehr mit hinausziehen zu können. Es handelt sich in diesen Bänden nicht nur um den Briefwechsel zweier fesselnder Menschen, um den Vorzug, ihnen nahe zu treten, ja, mit ihnen zu leben, es handelt sich um ein Denkmal deutscher Kultur. In nur wenigen Büchern wird unsere höchstentwickelte Wesensart so rein und so edel wiedergegeben. Eigentlich wäre dieses Werk ein ungewöhnlich passendes Hochzeitsgeschenk für feinfühlende junge Menschen. Oder vielleicht wäre es gerade das Richtige für die Alternden, für die, welche neuen Lebensmut schöpfen möchten? Nur der erste Band, jener der Brautzeitbriefe, hat es bisher zu einem duch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/261>, abgerufen am 28.07.2024.