Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen leidenschaftliche Liebe zur Kunst, ihre politische Einsicht ist überraschend: so Natürlich erklingen nicht nur Gefühlsregungen, sondern auf jeder Seite Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen leidenschaftliche Liebe zur Kunst, ihre politische Einsicht ist überraschend: so Natürlich erklingen nicht nur Gefühlsregungen, sondern auf jeder Seite <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330358"/> <fw type="header" place="top"> Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen</fw><lb/> <p xml:id="ID_945" prev="#ID_944"> leidenschaftliche Liebe zur Kunst, ihre politische Einsicht ist überraschend: so<lb/> weist sie zur Zeit des Wiener Kongresses auf die Notwendigkeit hin, Elsaß zurück¬<lb/> zufordern, sagt damals, 1813, die unvermeidliche, einstmals kommende Aus¬<lb/> einandersetzung zwischen Preußen und Österreich voraus. Sie hat eine gro߬<lb/> zügige Verachtung des äußeren Glanzes. Diamanten soll der Gatte auch in<lb/> der Gesandtenzeit ihr nicht anschaffen, aber in Rom kauft sie wertvolle antike<lb/> Statuen, gibt Aufträge an Thorwaldsen und Schadow. Auf Reisen begeistert<lb/> sie sich an neuem Weltenreiz, frägt nicht nach Behaglichkeit und fürchtet keine<lb/> Übermüdung. Wie ihr Mann von ihr aussagt, war nie jemand menschlicher<lb/> ohne irdisch zu sein, aber es ist auch keine Frau weiblicher gewesen. „Es gibt<lb/> doch nichts Schöneres als Kinder, und nichts Süßeres als sie zu bekommen."<lb/> Es kostet ihr bittere Tränen „da die schöne Zeit so mächtig zu Ende geht"<lb/> ihr Knabe entwöhnt wurde, der Mutterbrust entwuchs — „er wird nicht mehr so<lb/> mein sein". War sie den Kleinkindern die zärtlichste Mutter, so wurde sie den<lb/> Erwachsenen die verständnisvollste Freundin. Der Gatte nennt sie die ordent¬<lb/> lichste Frau der Welt, lobt ihren klaren Sinn für Geschäfte. Mit den anfangs<lb/> kleinen Einkünften richtete sie sich so behaglich ein, wie später mit reichlichen<lb/> Mitteln, sie wußte genau, daß nur vernünftiges Haushalten eine innere Freiheit<lb/> und Seelenruhe gewährt. Gewiß war sie im seltenen Grade genial, aber<lb/> immer blieb sie eine geschmackvolle Dame und immer blieb sie eine vernünftige<lb/> Frau. Sie wurde oft verkannt, aber noch öfter bewundert. Goethe war „die<lb/> Sicherheit und Feinheit ihres Taktes, und der reine und echte Sinn fürs<lb/> Altertum aufgefallen", Schiller nannte sie „ein unvergleichliches Geschöpf". Ihre<lb/> instinktmäßige Witterung erkannte Persönlichkeitswerte, mit bedeutenden Männern<lb/> und Frauen pflegte sie dauernde Freundschaft, konnte diese als kostbares Erbteil<lb/> ihren Kindern hinterlassen. „Das einzig Tiefbewegende im Herzen", schreibt<lb/> sie, „sind doch Menschen, und es ist recht unmenschlich, wenn man sie nicht zu<lb/> brauchen meint". Sie hatte eine zarte Gesundheit, hat viel gelitten, aber „ihre<lb/> Heiterkeit sei in dem Maße gewachsen, wie ihre Gesundheit abgenommen".</p><lb/> <p xml:id="ID_946" next="#ID_947"> Natürlich erklingen nicht nur Gefühlsregungen, sondern auf jeder Seite<lb/> auch bewegte Lebensfluten aus den Briefen. Humboldt beschreibt Volks¬<lb/> eindrücke im entlegensten Spanien oder Ministerkrisen in Berlin, den Tod des<lb/> Louis Ferdinand bei Saalfeld und das Begräbnis der Königin Luise. Er<lb/> schildert Karoline das Paris von 1814, den Wiener Kongreß, feine Wohn¬<lb/> besuche bei Goethe auf dem Frauenplan, bei dem Prinzregenten in dem<lb/> Brightonschen Pavillon, beim Freiherrn von Stein auf Schloß Nassau an der<lb/> Ems. Gewissenhaft glaubt er seine Pflicht als hoher Staatsbeamter zu er-<lb/> füllen, wenn auch die feierliche Wichtigtuerei einiger Kollegen ihn komisch be¬<lb/> rührt. Trotz seines weltgewandter Idealismus scheint ihn: als reifer Mann<lb/> die Hingabe an die politischen Tagesfragen naturgemäß. Im Jahre 1813<lb/> blickt er überrascht auf die ehemalige unpolitische Zeit zurück, in älteren Briefen,<lb/> die er eben durchgelesen hat, ist auch nicht ein Wort über öffentliche Begehen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0258]
Wilhelm und Raroline von Humboldt in ihren Briefen
leidenschaftliche Liebe zur Kunst, ihre politische Einsicht ist überraschend: so
weist sie zur Zeit des Wiener Kongresses auf die Notwendigkeit hin, Elsaß zurück¬
zufordern, sagt damals, 1813, die unvermeidliche, einstmals kommende Aus¬
einandersetzung zwischen Preußen und Österreich voraus. Sie hat eine gro߬
zügige Verachtung des äußeren Glanzes. Diamanten soll der Gatte auch in
der Gesandtenzeit ihr nicht anschaffen, aber in Rom kauft sie wertvolle antike
Statuen, gibt Aufträge an Thorwaldsen und Schadow. Auf Reisen begeistert
sie sich an neuem Weltenreiz, frägt nicht nach Behaglichkeit und fürchtet keine
Übermüdung. Wie ihr Mann von ihr aussagt, war nie jemand menschlicher
ohne irdisch zu sein, aber es ist auch keine Frau weiblicher gewesen. „Es gibt
doch nichts Schöneres als Kinder, und nichts Süßeres als sie zu bekommen."
Es kostet ihr bittere Tränen „da die schöne Zeit so mächtig zu Ende geht"
ihr Knabe entwöhnt wurde, der Mutterbrust entwuchs — „er wird nicht mehr so
mein sein". War sie den Kleinkindern die zärtlichste Mutter, so wurde sie den
Erwachsenen die verständnisvollste Freundin. Der Gatte nennt sie die ordent¬
lichste Frau der Welt, lobt ihren klaren Sinn für Geschäfte. Mit den anfangs
kleinen Einkünften richtete sie sich so behaglich ein, wie später mit reichlichen
Mitteln, sie wußte genau, daß nur vernünftiges Haushalten eine innere Freiheit
und Seelenruhe gewährt. Gewiß war sie im seltenen Grade genial, aber
immer blieb sie eine geschmackvolle Dame und immer blieb sie eine vernünftige
Frau. Sie wurde oft verkannt, aber noch öfter bewundert. Goethe war „die
Sicherheit und Feinheit ihres Taktes, und der reine und echte Sinn fürs
Altertum aufgefallen", Schiller nannte sie „ein unvergleichliches Geschöpf". Ihre
instinktmäßige Witterung erkannte Persönlichkeitswerte, mit bedeutenden Männern
und Frauen pflegte sie dauernde Freundschaft, konnte diese als kostbares Erbteil
ihren Kindern hinterlassen. „Das einzig Tiefbewegende im Herzen", schreibt
sie, „sind doch Menschen, und es ist recht unmenschlich, wenn man sie nicht zu
brauchen meint". Sie hatte eine zarte Gesundheit, hat viel gelitten, aber „ihre
Heiterkeit sei in dem Maße gewachsen, wie ihre Gesundheit abgenommen".
Natürlich erklingen nicht nur Gefühlsregungen, sondern auf jeder Seite
auch bewegte Lebensfluten aus den Briefen. Humboldt beschreibt Volks¬
eindrücke im entlegensten Spanien oder Ministerkrisen in Berlin, den Tod des
Louis Ferdinand bei Saalfeld und das Begräbnis der Königin Luise. Er
schildert Karoline das Paris von 1814, den Wiener Kongreß, feine Wohn¬
besuche bei Goethe auf dem Frauenplan, bei dem Prinzregenten in dem
Brightonschen Pavillon, beim Freiherrn von Stein auf Schloß Nassau an der
Ems. Gewissenhaft glaubt er seine Pflicht als hoher Staatsbeamter zu er-
füllen, wenn auch die feierliche Wichtigtuerei einiger Kollegen ihn komisch be¬
rührt. Trotz seines weltgewandter Idealismus scheint ihn: als reifer Mann
die Hingabe an die politischen Tagesfragen naturgemäß. Im Jahre 1813
blickt er überrascht auf die ehemalige unpolitische Zeit zurück, in älteren Briefen,
die er eben durchgelesen hat, ist auch nicht ein Wort über öffentliche Begehen-
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