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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und die italienische Politik

nur einen anmaßenden Gegner finden würde." Erst die Art und Weise, wie
Frankreich in Tunis vorging, um den italienischen Einfluß auszuschalten, hatte
einen völligen temporären Umschlag in der öffentlichen Meinung Italiens
herbeizuführen vermocht.*)

Im September 1877 stellte Crispi (der damals Präsident der italienischen
Kammer war) in einer Unterredung mit Bismarck die Frage: "Ich bin beauf¬
tragt, Sie zu fragen, ob Sie geneigt sind, mit uns einen Vertrag eines even¬
tuellen Bündnisses für den Fall einzugehen, in welchem wir gezwungen wären,
uns mit Frankreich und Österreich-Ungarn zu schlagen." Der Kanzler erwiderte:
"Würde Italien von Frankreich angegriffen, so würde sich Deutschland solidarisch
erklären und sich mit Ihnen gegen den gemeinsamen Feind verbünden. Hoffen
wir aber -- so fügte er hinzu --, daß es keinen Krieg geben wird, und daß
wir den Frieden aufrechterhalten können. -- Osterreich gegenüber liegt die Sache
anders. Ich möchte den Fall gar nicht annehmen, daß es uns feindlich sein
könnte; ja, ich will Ihnen sogar offen sagen, daß ich diese Möglichkeit nicht
einmal hypothetisch voraussetzen will. Morgen kommt Graf Andrassy zu mir.
und im Gespräch mit ihm will ich ihn auf mein Wort beruhigen, daß ich sein
Freund bin, und daß ich mich keinem gegenüber verpflichtet habe."

In jener wie in allen nachfolgenden Unterredungen mit Crispi war
Bismarck in jeder Hinsicht bemüht, klarzulegen, daß Deutschland nur von dem
Gedanken beseelt sei, mit der Habsburgischen Monarchie in aufrichtigster Freund¬
schaft zu stehen, und daß Italien alles vermeiden müßte, was darauf ausginge,
dieses Einvernehmen zu trüben. Nur unter solchen Umständen liege eine
Annäherung Italiens an Deutschland im Bereiche der Möglichkeit. Crispi war
klug genug, dies einzusehen, versuchte aber dennoch, Einräumungen zu machen:
"Glauben Sie, daß Österreich immer Ihr Freund bleiben wird? Jetzt braucht
es Sie, um den von 1866 erlittenen Schaden wieder gut zu machen, denn Sie
allein können ihm den Frieden zusichern, ohne den es nicht seine Finanzen
regeln, sein Heer nicht neu errichten kann. Aber Österreich kann weder die
Vergangenheit vergessen, noch den neuen deutschen Kaiser mit freundlichem
Auge anblicken."

Auf die Orientfrage übergehend, konstatierte Crispi, die Italiener hätten
an der Lösung dieser Frage kein so geringes Interesse wie Bismarck. Würde
Rußland, um die Freundschaft Österreichs sich in einem Kriege gegen die Türkei
zu sichern, diesem Bosnien und die Herzegowina anbieten, so könnte Italien
nicht erlauben, daß Österreich diese Länder besetze. Denn Italien wäre im
Kriege von 1866 ohne Grenzen nach den Ostalpen geblieben; und wenn Öster¬
reich neue Provinzen erhielte, die seine Position im Adriatischen Meer ver-



*) Die dadurch geschaffene Situation habe ich in meinem soeben im Verlage von
Jos, C. Huber erschienenen Buche: "Die italienische Frage und die Zentralmächte im letzten
Jahrhundert bis zur Gegenwart" klarzulegen versucht.
Bismarck und die italienische Politik

nur einen anmaßenden Gegner finden würde." Erst die Art und Weise, wie
Frankreich in Tunis vorging, um den italienischen Einfluß auszuschalten, hatte
einen völligen temporären Umschlag in der öffentlichen Meinung Italiens
herbeizuführen vermocht.*)

Im September 1877 stellte Crispi (der damals Präsident der italienischen
Kammer war) in einer Unterredung mit Bismarck die Frage: „Ich bin beauf¬
tragt, Sie zu fragen, ob Sie geneigt sind, mit uns einen Vertrag eines even¬
tuellen Bündnisses für den Fall einzugehen, in welchem wir gezwungen wären,
uns mit Frankreich und Österreich-Ungarn zu schlagen." Der Kanzler erwiderte:
„Würde Italien von Frankreich angegriffen, so würde sich Deutschland solidarisch
erklären und sich mit Ihnen gegen den gemeinsamen Feind verbünden. Hoffen
wir aber — so fügte er hinzu —, daß es keinen Krieg geben wird, und daß
wir den Frieden aufrechterhalten können. — Osterreich gegenüber liegt die Sache
anders. Ich möchte den Fall gar nicht annehmen, daß es uns feindlich sein
könnte; ja, ich will Ihnen sogar offen sagen, daß ich diese Möglichkeit nicht
einmal hypothetisch voraussetzen will. Morgen kommt Graf Andrassy zu mir.
und im Gespräch mit ihm will ich ihn auf mein Wort beruhigen, daß ich sein
Freund bin, und daß ich mich keinem gegenüber verpflichtet habe."

In jener wie in allen nachfolgenden Unterredungen mit Crispi war
Bismarck in jeder Hinsicht bemüht, klarzulegen, daß Deutschland nur von dem
Gedanken beseelt sei, mit der Habsburgischen Monarchie in aufrichtigster Freund¬
schaft zu stehen, und daß Italien alles vermeiden müßte, was darauf ausginge,
dieses Einvernehmen zu trüben. Nur unter solchen Umständen liege eine
Annäherung Italiens an Deutschland im Bereiche der Möglichkeit. Crispi war
klug genug, dies einzusehen, versuchte aber dennoch, Einräumungen zu machen:
„Glauben Sie, daß Österreich immer Ihr Freund bleiben wird? Jetzt braucht
es Sie, um den von 1866 erlittenen Schaden wieder gut zu machen, denn Sie
allein können ihm den Frieden zusichern, ohne den es nicht seine Finanzen
regeln, sein Heer nicht neu errichten kann. Aber Österreich kann weder die
Vergangenheit vergessen, noch den neuen deutschen Kaiser mit freundlichem
Auge anblicken."

Auf die Orientfrage übergehend, konstatierte Crispi, die Italiener hätten
an der Lösung dieser Frage kein so geringes Interesse wie Bismarck. Würde
Rußland, um die Freundschaft Österreichs sich in einem Kriege gegen die Türkei
zu sichern, diesem Bosnien und die Herzegowina anbieten, so könnte Italien
nicht erlauben, daß Österreich diese Länder besetze. Denn Italien wäre im
Kriege von 1866 ohne Grenzen nach den Ostalpen geblieben; und wenn Öster¬
reich neue Provinzen erhielte, die seine Position im Adriatischen Meer ver-



*) Die dadurch geschaffene Situation habe ich in meinem soeben im Verlage von
Jos, C. Huber erschienenen Buche: „Die italienische Frage und die Zentralmächte im letzten
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[0206] Bismarck und die italienische Politik nur einen anmaßenden Gegner finden würde." Erst die Art und Weise, wie Frankreich in Tunis vorging, um den italienischen Einfluß auszuschalten, hatte einen völligen temporären Umschlag in der öffentlichen Meinung Italiens herbeizuführen vermocht.*) Im September 1877 stellte Crispi (der damals Präsident der italienischen Kammer war) in einer Unterredung mit Bismarck die Frage: „Ich bin beauf¬ tragt, Sie zu fragen, ob Sie geneigt sind, mit uns einen Vertrag eines even¬ tuellen Bündnisses für den Fall einzugehen, in welchem wir gezwungen wären, uns mit Frankreich und Österreich-Ungarn zu schlagen." Der Kanzler erwiderte: „Würde Italien von Frankreich angegriffen, so würde sich Deutschland solidarisch erklären und sich mit Ihnen gegen den gemeinsamen Feind verbünden. Hoffen wir aber — so fügte er hinzu —, daß es keinen Krieg geben wird, und daß wir den Frieden aufrechterhalten können. — Osterreich gegenüber liegt die Sache anders. Ich möchte den Fall gar nicht annehmen, daß es uns feindlich sein könnte; ja, ich will Ihnen sogar offen sagen, daß ich diese Möglichkeit nicht einmal hypothetisch voraussetzen will. Morgen kommt Graf Andrassy zu mir. und im Gespräch mit ihm will ich ihn auf mein Wort beruhigen, daß ich sein Freund bin, und daß ich mich keinem gegenüber verpflichtet habe." In jener wie in allen nachfolgenden Unterredungen mit Crispi war Bismarck in jeder Hinsicht bemüht, klarzulegen, daß Deutschland nur von dem Gedanken beseelt sei, mit der Habsburgischen Monarchie in aufrichtigster Freund¬ schaft zu stehen, und daß Italien alles vermeiden müßte, was darauf ausginge, dieses Einvernehmen zu trüben. Nur unter solchen Umständen liege eine Annäherung Italiens an Deutschland im Bereiche der Möglichkeit. Crispi war klug genug, dies einzusehen, versuchte aber dennoch, Einräumungen zu machen: „Glauben Sie, daß Österreich immer Ihr Freund bleiben wird? Jetzt braucht es Sie, um den von 1866 erlittenen Schaden wieder gut zu machen, denn Sie allein können ihm den Frieden zusichern, ohne den es nicht seine Finanzen regeln, sein Heer nicht neu errichten kann. Aber Österreich kann weder die Vergangenheit vergessen, noch den neuen deutschen Kaiser mit freundlichem Auge anblicken." Auf die Orientfrage übergehend, konstatierte Crispi, die Italiener hätten an der Lösung dieser Frage kein so geringes Interesse wie Bismarck. Würde Rußland, um die Freundschaft Österreichs sich in einem Kriege gegen die Türkei zu sichern, diesem Bosnien und die Herzegowina anbieten, so könnte Italien nicht erlauben, daß Österreich diese Länder besetze. Denn Italien wäre im Kriege von 1866 ohne Grenzen nach den Ostalpen geblieben; und wenn Öster¬ reich neue Provinzen erhielte, die seine Position im Adriatischen Meer ver- *) Die dadurch geschaffene Situation habe ich in meinem soeben im Verlage von Jos, C. Huber erschienenen Buche: „Die italienische Frage und die Zentralmächte im letzten Jahrhundert bis zur Gegenwart" klarzulegen versucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/206>, abgerufen am 28.07.2024.