Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Auslese der Begabten

schon deshalb muß mit allen Mitteln verhütet werden, daß wertvolles Menschen¬
material nicht überall da nutzbar gemacht wird, wo es für die Gesamtheit --
und dadurch natürlich auch für den einzelnen -- den höchsten Nutzeffekt bringt.
Wir brauchen eine Organisation für die Auslese, eine Organisation, die mit
allen Schichten unseres Volkes in lebendiger Wechselwirkung steht, die das
Wertvolle zunächst entdeckt und bei der Mobilmachung der Talente den Zufall
nach Möglichkeit ausschaltet.

Organisation ist planmäßige Zusammenfassung und Lenkung moralischer,
geistiger und körperlicher Kräfte sowie technischer Hilfsmittel zu höchstem Nutz¬
effekt bei geringster Verschwendung. Solche fürsorgende Organisation hat es
unserem Volke ermöglicht, den Weltkrieg bis heute siegreich zu bestehen. Was
uns der Krieg über unsere Organisation lehrt und was nach dem Kriege in
Bezug auf sie noch zu leisten sein wird, damit wir schneller, als unsere Feinde
die Schäden des Krieges überwinden und rascher, als sie, neue Kräfte für den
kommenden Wettbewerb einsetzen können, ist für uns wichtig. Die Eignung
unseres Volkes aber zur Organisation wird durch den Krieg nicht nur bewährt,
sie wird durch ihn auch gestärkt. Unsere bisherige Organisation verdient das
Lob, das ihr die feindlichen Kritiker spenden. Trotzdem muß sie in mancher
Hinsicht verbessert werden. Das gilt vor allem für das Gebiet, das die Auslese
der Begabten, sowie deren Ausbildung, Erziehung und Leitung zu besorgen und
zu überwachen hat; es gilt dem deutschen Schulwesen.

In der deutschen Schule muß die Auslese der Begabten und Tüchtigen
zunächst und in der Hauptsache stattfinden. Sie ist die einzige große Organisation,
die mit der Jugend aus allen Schichten unseres Volkes in so enger Berührung
steht, daß man hier die Begabten und Tüchtigen kennen lernt. Hier könnte
dem einmal Erkannten auch Rat und Hilfe zur Seite stehen; und das letztere
ist noch viel wichtiger als das Erkennen. Die Schule muß befähigt werden,
im Geiste der Gegenwart diese sehr wichtige Zeitaufgabe in Angriff zu nehmen
und einer glücklichen Lösung entgegenzuführen. Dazu aber muß von der
Schule abgestoßen werden, was veraltet ist, und die Schule muß neues auf¬
nehmen, was die Zeit heischt.

Auf der Grundlage der Volksschule, die den breiten Schichten unseres
Volkes ein Mindestmaß an Allgemeinbildung zu vermitteln hat, erhebt sich das
verzweigte System derjenigen Schulen, deren Aufgabe es ist, eine auf wissen¬
schaftlicher Basis beruhenden Bildung zu geben, die es ihrem Besitzer ermöglicht,
fachwissenschaftliche Studien auf Hochschulen zu betreiben. Lange Zeit hat
wan geglaubt, die Erreichung dieser "höheren Bildung" sei nur möglich auf
der Grundlage des Studiums der lateinischen Sprache. So lange diese im
Laufe von Jahrhunderten zum internationalen Verständigungsmittel für Gelehrte
künstlich konstruierte Sprache wenigstens noch geschrieben wurde, war die Meinung
nicht ganz unberechtigt. Das erreichte sein Ende, als Latein nicht mehr die
Sprache der Wissenschaft war. Im Laufe der Zeit hatte sich aber die Kenntnis


Die Auslese der Begabten

schon deshalb muß mit allen Mitteln verhütet werden, daß wertvolles Menschen¬
material nicht überall da nutzbar gemacht wird, wo es für die Gesamtheit —
und dadurch natürlich auch für den einzelnen — den höchsten Nutzeffekt bringt.
Wir brauchen eine Organisation für die Auslese, eine Organisation, die mit
allen Schichten unseres Volkes in lebendiger Wechselwirkung steht, die das
Wertvolle zunächst entdeckt und bei der Mobilmachung der Talente den Zufall
nach Möglichkeit ausschaltet.

Organisation ist planmäßige Zusammenfassung und Lenkung moralischer,
geistiger und körperlicher Kräfte sowie technischer Hilfsmittel zu höchstem Nutz¬
effekt bei geringster Verschwendung. Solche fürsorgende Organisation hat es
unserem Volke ermöglicht, den Weltkrieg bis heute siegreich zu bestehen. Was
uns der Krieg über unsere Organisation lehrt und was nach dem Kriege in
Bezug auf sie noch zu leisten sein wird, damit wir schneller, als unsere Feinde
die Schäden des Krieges überwinden und rascher, als sie, neue Kräfte für den
kommenden Wettbewerb einsetzen können, ist für uns wichtig. Die Eignung
unseres Volkes aber zur Organisation wird durch den Krieg nicht nur bewährt,
sie wird durch ihn auch gestärkt. Unsere bisherige Organisation verdient das
Lob, das ihr die feindlichen Kritiker spenden. Trotzdem muß sie in mancher
Hinsicht verbessert werden. Das gilt vor allem für das Gebiet, das die Auslese
der Begabten, sowie deren Ausbildung, Erziehung und Leitung zu besorgen und
zu überwachen hat; es gilt dem deutschen Schulwesen.

In der deutschen Schule muß die Auslese der Begabten und Tüchtigen
zunächst und in der Hauptsache stattfinden. Sie ist die einzige große Organisation,
die mit der Jugend aus allen Schichten unseres Volkes in so enger Berührung
steht, daß man hier die Begabten und Tüchtigen kennen lernt. Hier könnte
dem einmal Erkannten auch Rat und Hilfe zur Seite stehen; und das letztere
ist noch viel wichtiger als das Erkennen. Die Schule muß befähigt werden,
im Geiste der Gegenwart diese sehr wichtige Zeitaufgabe in Angriff zu nehmen
und einer glücklichen Lösung entgegenzuführen. Dazu aber muß von der
Schule abgestoßen werden, was veraltet ist, und die Schule muß neues auf¬
nehmen, was die Zeit heischt.

Auf der Grundlage der Volksschule, die den breiten Schichten unseres
Volkes ein Mindestmaß an Allgemeinbildung zu vermitteln hat, erhebt sich das
verzweigte System derjenigen Schulen, deren Aufgabe es ist, eine auf wissen¬
schaftlicher Basis beruhenden Bildung zu geben, die es ihrem Besitzer ermöglicht,
fachwissenschaftliche Studien auf Hochschulen zu betreiben. Lange Zeit hat
wan geglaubt, die Erreichung dieser „höheren Bildung" sei nur möglich auf
der Grundlage des Studiums der lateinischen Sprache. So lange diese im
Laufe von Jahrhunderten zum internationalen Verständigungsmittel für Gelehrte
künstlich konstruierte Sprache wenigstens noch geschrieben wurde, war die Meinung
nicht ganz unberechtigt. Das erreichte sein Ende, als Latein nicht mehr die
Sprache der Wissenschaft war. Im Laufe der Zeit hatte sich aber die Kenntnis


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330277"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Auslese der Begabten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_602" prev="#ID_601"> schon deshalb muß mit allen Mitteln verhütet werden, daß wertvolles Menschen¬<lb/>
material nicht überall da nutzbar gemacht wird, wo es für die Gesamtheit &#x2014;<lb/>
und dadurch natürlich auch für den einzelnen &#x2014; den höchsten Nutzeffekt bringt.<lb/>
Wir brauchen eine Organisation für die Auslese, eine Organisation, die mit<lb/>
allen Schichten unseres Volkes in lebendiger Wechselwirkung steht, die das<lb/>
Wertvolle zunächst entdeckt und bei der Mobilmachung der Talente den Zufall<lb/>
nach Möglichkeit ausschaltet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_603"> Organisation ist planmäßige Zusammenfassung und Lenkung moralischer,<lb/>
geistiger und körperlicher Kräfte sowie technischer Hilfsmittel zu höchstem Nutz¬<lb/>
effekt bei geringster Verschwendung. Solche fürsorgende Organisation hat es<lb/>
unserem Volke ermöglicht, den Weltkrieg bis heute siegreich zu bestehen. Was<lb/>
uns der Krieg über unsere Organisation lehrt und was nach dem Kriege in<lb/>
Bezug auf sie noch zu leisten sein wird, damit wir schneller, als unsere Feinde<lb/>
die Schäden des Krieges überwinden und rascher, als sie, neue Kräfte für den<lb/>
kommenden Wettbewerb einsetzen können, ist für uns wichtig. Die Eignung<lb/>
unseres Volkes aber zur Organisation wird durch den Krieg nicht nur bewährt,<lb/>
sie wird durch ihn auch gestärkt. Unsere bisherige Organisation verdient das<lb/>
Lob, das ihr die feindlichen Kritiker spenden. Trotzdem muß sie in mancher<lb/>
Hinsicht verbessert werden. Das gilt vor allem für das Gebiet, das die Auslese<lb/>
der Begabten, sowie deren Ausbildung, Erziehung und Leitung zu besorgen und<lb/>
zu überwachen hat; es gilt dem deutschen Schulwesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_604"> In der deutschen Schule muß die Auslese der Begabten und Tüchtigen<lb/>
zunächst und in der Hauptsache stattfinden. Sie ist die einzige große Organisation,<lb/>
die mit der Jugend aus allen Schichten unseres Volkes in so enger Berührung<lb/>
steht, daß man hier die Begabten und Tüchtigen kennen lernt. Hier könnte<lb/>
dem einmal Erkannten auch Rat und Hilfe zur Seite stehen; und das letztere<lb/>
ist noch viel wichtiger als das Erkennen. Die Schule muß befähigt werden,<lb/>
im Geiste der Gegenwart diese sehr wichtige Zeitaufgabe in Angriff zu nehmen<lb/>
und einer glücklichen Lösung entgegenzuführen. Dazu aber muß von der<lb/>
Schule abgestoßen werden, was veraltet ist, und die Schule muß neues auf¬<lb/>
nehmen, was die Zeit heischt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_605" next="#ID_606"> Auf der Grundlage der Volksschule, die den breiten Schichten unseres<lb/>
Volkes ein Mindestmaß an Allgemeinbildung zu vermitteln hat, erhebt sich das<lb/>
verzweigte System derjenigen Schulen, deren Aufgabe es ist, eine auf wissen¬<lb/>
schaftlicher Basis beruhenden Bildung zu geben, die es ihrem Besitzer ermöglicht,<lb/>
fachwissenschaftliche Studien auf Hochschulen zu betreiben. Lange Zeit hat<lb/>
wan geglaubt, die Erreichung dieser &#x201E;höheren Bildung" sei nur möglich auf<lb/>
der Grundlage des Studiums der lateinischen Sprache. So lange diese im<lb/>
Laufe von Jahrhunderten zum internationalen Verständigungsmittel für Gelehrte<lb/>
künstlich konstruierte Sprache wenigstens noch geschrieben wurde, war die Meinung<lb/>
nicht ganz unberechtigt. Das erreichte sein Ende, als Latein nicht mehr die<lb/>
Sprache der Wissenschaft war. Im Laufe der Zeit hatte sich aber die Kenntnis</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] Die Auslese der Begabten schon deshalb muß mit allen Mitteln verhütet werden, daß wertvolles Menschen¬ material nicht überall da nutzbar gemacht wird, wo es für die Gesamtheit — und dadurch natürlich auch für den einzelnen — den höchsten Nutzeffekt bringt. Wir brauchen eine Organisation für die Auslese, eine Organisation, die mit allen Schichten unseres Volkes in lebendiger Wechselwirkung steht, die das Wertvolle zunächst entdeckt und bei der Mobilmachung der Talente den Zufall nach Möglichkeit ausschaltet. Organisation ist planmäßige Zusammenfassung und Lenkung moralischer, geistiger und körperlicher Kräfte sowie technischer Hilfsmittel zu höchstem Nutz¬ effekt bei geringster Verschwendung. Solche fürsorgende Organisation hat es unserem Volke ermöglicht, den Weltkrieg bis heute siegreich zu bestehen. Was uns der Krieg über unsere Organisation lehrt und was nach dem Kriege in Bezug auf sie noch zu leisten sein wird, damit wir schneller, als unsere Feinde die Schäden des Krieges überwinden und rascher, als sie, neue Kräfte für den kommenden Wettbewerb einsetzen können, ist für uns wichtig. Die Eignung unseres Volkes aber zur Organisation wird durch den Krieg nicht nur bewährt, sie wird durch ihn auch gestärkt. Unsere bisherige Organisation verdient das Lob, das ihr die feindlichen Kritiker spenden. Trotzdem muß sie in mancher Hinsicht verbessert werden. Das gilt vor allem für das Gebiet, das die Auslese der Begabten, sowie deren Ausbildung, Erziehung und Leitung zu besorgen und zu überwachen hat; es gilt dem deutschen Schulwesen. In der deutschen Schule muß die Auslese der Begabten und Tüchtigen zunächst und in der Hauptsache stattfinden. Sie ist die einzige große Organisation, die mit der Jugend aus allen Schichten unseres Volkes in so enger Berührung steht, daß man hier die Begabten und Tüchtigen kennen lernt. Hier könnte dem einmal Erkannten auch Rat und Hilfe zur Seite stehen; und das letztere ist noch viel wichtiger als das Erkennen. Die Schule muß befähigt werden, im Geiste der Gegenwart diese sehr wichtige Zeitaufgabe in Angriff zu nehmen und einer glücklichen Lösung entgegenzuführen. Dazu aber muß von der Schule abgestoßen werden, was veraltet ist, und die Schule muß neues auf¬ nehmen, was die Zeit heischt. Auf der Grundlage der Volksschule, die den breiten Schichten unseres Volkes ein Mindestmaß an Allgemeinbildung zu vermitteln hat, erhebt sich das verzweigte System derjenigen Schulen, deren Aufgabe es ist, eine auf wissen¬ schaftlicher Basis beruhenden Bildung zu geben, die es ihrem Besitzer ermöglicht, fachwissenschaftliche Studien auf Hochschulen zu betreiben. Lange Zeit hat wan geglaubt, die Erreichung dieser „höheren Bildung" sei nur möglich auf der Grundlage des Studiums der lateinischen Sprache. So lange diese im Laufe von Jahrhunderten zum internationalen Verständigungsmittel für Gelehrte künstlich konstruierte Sprache wenigstens noch geschrieben wurde, war die Meinung nicht ganz unberechtigt. Das erreichte sein Ende, als Latein nicht mehr die Sprache der Wissenschaft war. Im Laufe der Zeit hatte sich aber die Kenntnis

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/177>, abgerufen am 27.07.2024.