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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Ruf nach einem neuen Bismarck

nicht für entschieden, für wagemutig genug. Nun ist er sicher kein Mann der
eisernen Faust. Aber daß er eine feste Hand hat, die recht wohl zuzupacken
versteht, hat zunächst einmal im Innern doch schon manch anscheinend über¬
legener Gegner zu spüren bekommen. Wird sie ihm nach außen hin fehlen?
Kürzlich sind in einer musterhaften Ausgabe im Verlag von Reimar Hobbing
"Sechs Kriegsreden des Reichskanzlers" (bis zum 9. Dezember 1915) heraus¬
gekommen. Sie umfassen, weit gedruckt, nur einige achtzig Seiten. Man
fühlt: Bismarck, auch Bülow hätten mehr gesagt. Die Diktion ist knapp und
schmucklos bis zum Puritanischen. Man wünscht manchmal selbst vom Stand¬
punkt des Lesers und wie viel mehr erst des Hörers einen vollen Ausklang
der Sätze, länger vermittelte Übergänge, ein scharf zugespitztes Wort, einen be¬
freienden Scherz. Aber dafür stört auch nirgends ein falscher Ton oder eine
leere Phrase. Ein klarer Geist, ein starkes vaterländisches Gefühl und ein un¬
bestechlicher sittlicher Ernst sprechen aus jeder Silbe. Kein Staatsmann in
irgendeinem der kriegführenden Länder hat so einfach, so wahrhaft, so inner¬
lich sicher zu seinem Volk geredet. Und es will doch scheinen, als ob das Volk
recht wohl ein Gefühl dafür habe, als gewänne dieser ernste, fast zu ernste
Mann, der sie mit keinem Wort und keiner Geste sucht, doch so etwas wie
eine wirkliche Popularität in den breiten Schichten. Die stehen ja nicht auf
dem Standpunkt, daß wir nicht Feinde genug bekommen können, sie jagen
nicht phantastischen Plänen nach, die sich in der Studierstube leichter aus¬
denken als auf dem Schlachtfeld verwirklichen lassen, sie wollen Frieden und
Sicherheit, wie sie nie etwas anderes gewollt haben, und sie wissen, daß
der Kaiser, beraten von diesem Kanzler, den Krieg keinen Augenblick länger
führen wird, als bis die Sicherheit erkämpft ist, aber auch ihn keinen Augen¬
blick früher beenden wird.

Gewiß kann niemand Herrn von Bethmann in einem Atem mit Bismarck
nennen wollen. Er ist so unbismärckisch wie möglich. Eher ist sein Platz
neben den Stein, Hardenberg, Wilhelm von Humboldt. Aber die Entwicklung
eines ganzen Volkes darf nicht zu sehr auf einen großen Mann zugeschnitten
werden oder gar auf das, was wohlmeinende, aber fehlbare Epigonen aus
diesem einen großen Mann machen.




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Der Ruf nach einem neuen Bismarck

nicht für entschieden, für wagemutig genug. Nun ist er sicher kein Mann der
eisernen Faust. Aber daß er eine feste Hand hat, die recht wohl zuzupacken
versteht, hat zunächst einmal im Innern doch schon manch anscheinend über¬
legener Gegner zu spüren bekommen. Wird sie ihm nach außen hin fehlen?
Kürzlich sind in einer musterhaften Ausgabe im Verlag von Reimar Hobbing
„Sechs Kriegsreden des Reichskanzlers" (bis zum 9. Dezember 1915) heraus¬
gekommen. Sie umfassen, weit gedruckt, nur einige achtzig Seiten. Man
fühlt: Bismarck, auch Bülow hätten mehr gesagt. Die Diktion ist knapp und
schmucklos bis zum Puritanischen. Man wünscht manchmal selbst vom Stand¬
punkt des Lesers und wie viel mehr erst des Hörers einen vollen Ausklang
der Sätze, länger vermittelte Übergänge, ein scharf zugespitztes Wort, einen be¬
freienden Scherz. Aber dafür stört auch nirgends ein falscher Ton oder eine
leere Phrase. Ein klarer Geist, ein starkes vaterländisches Gefühl und ein un¬
bestechlicher sittlicher Ernst sprechen aus jeder Silbe. Kein Staatsmann in
irgendeinem der kriegführenden Länder hat so einfach, so wahrhaft, so inner¬
lich sicher zu seinem Volk geredet. Und es will doch scheinen, als ob das Volk
recht wohl ein Gefühl dafür habe, als gewänne dieser ernste, fast zu ernste
Mann, der sie mit keinem Wort und keiner Geste sucht, doch so etwas wie
eine wirkliche Popularität in den breiten Schichten. Die stehen ja nicht auf
dem Standpunkt, daß wir nicht Feinde genug bekommen können, sie jagen
nicht phantastischen Plänen nach, die sich in der Studierstube leichter aus¬
denken als auf dem Schlachtfeld verwirklichen lassen, sie wollen Frieden und
Sicherheit, wie sie nie etwas anderes gewollt haben, und sie wissen, daß
der Kaiser, beraten von diesem Kanzler, den Krieg keinen Augenblick länger
führen wird, als bis die Sicherheit erkämpft ist, aber auch ihn keinen Augen¬
blick früher beenden wird.

Gewiß kann niemand Herrn von Bethmann in einem Atem mit Bismarck
nennen wollen. Er ist so unbismärckisch wie möglich. Eher ist sein Platz
neben den Stein, Hardenberg, Wilhelm von Humboldt. Aber die Entwicklung
eines ganzen Volkes darf nicht zu sehr auf einen großen Mann zugeschnitten
werden oder gar auf das, was wohlmeinende, aber fehlbare Epigonen aus
diesem einen großen Mann machen.




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[0175] Der Ruf nach einem neuen Bismarck nicht für entschieden, für wagemutig genug. Nun ist er sicher kein Mann der eisernen Faust. Aber daß er eine feste Hand hat, die recht wohl zuzupacken versteht, hat zunächst einmal im Innern doch schon manch anscheinend über¬ legener Gegner zu spüren bekommen. Wird sie ihm nach außen hin fehlen? Kürzlich sind in einer musterhaften Ausgabe im Verlag von Reimar Hobbing „Sechs Kriegsreden des Reichskanzlers" (bis zum 9. Dezember 1915) heraus¬ gekommen. Sie umfassen, weit gedruckt, nur einige achtzig Seiten. Man fühlt: Bismarck, auch Bülow hätten mehr gesagt. Die Diktion ist knapp und schmucklos bis zum Puritanischen. Man wünscht manchmal selbst vom Stand¬ punkt des Lesers und wie viel mehr erst des Hörers einen vollen Ausklang der Sätze, länger vermittelte Übergänge, ein scharf zugespitztes Wort, einen be¬ freienden Scherz. Aber dafür stört auch nirgends ein falscher Ton oder eine leere Phrase. Ein klarer Geist, ein starkes vaterländisches Gefühl und ein un¬ bestechlicher sittlicher Ernst sprechen aus jeder Silbe. Kein Staatsmann in irgendeinem der kriegführenden Länder hat so einfach, so wahrhaft, so inner¬ lich sicher zu seinem Volk geredet. Und es will doch scheinen, als ob das Volk recht wohl ein Gefühl dafür habe, als gewänne dieser ernste, fast zu ernste Mann, der sie mit keinem Wort und keiner Geste sucht, doch so etwas wie eine wirkliche Popularität in den breiten Schichten. Die stehen ja nicht auf dem Standpunkt, daß wir nicht Feinde genug bekommen können, sie jagen nicht phantastischen Plänen nach, die sich in der Studierstube leichter aus¬ denken als auf dem Schlachtfeld verwirklichen lassen, sie wollen Frieden und Sicherheit, wie sie nie etwas anderes gewollt haben, und sie wissen, daß der Kaiser, beraten von diesem Kanzler, den Krieg keinen Augenblick länger führen wird, als bis die Sicherheit erkämpft ist, aber auch ihn keinen Augen¬ blick früher beenden wird. Gewiß kann niemand Herrn von Bethmann in einem Atem mit Bismarck nennen wollen. Er ist so unbismärckisch wie möglich. Eher ist sein Platz neben den Stein, Hardenberg, Wilhelm von Humboldt. Aber die Entwicklung eines ganzen Volkes darf nicht zu sehr auf einen großen Mann zugeschnitten werden oder gar auf das, was wohlmeinende, aber fehlbare Epigonen aus diesem einen großen Mann machen. 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/175>, abgerufen am 01.09.2024.