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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Treitschke in englischer Beleuchtung

das unsrige, und daß nur jene plutokratische Klique von Berufspolitikern, die,
dem Namen Demokratie zur Hohne, die Republik regiert, für den Kriegs¬
ausbruch verantwortlich ist; daneben als ihr Verbündeter das jedes, aber auch
jedes Grundes entbehrende, aber -- auch in England -- weitverbreitete Mi߬
trauen, Deutschland suche nach einer Gelegenheit, um über Frankreich her¬
zufallen und es zu vernichten; wozu eigentlich? hat noch nie jemand sich die
Mühe genommen begreiflich zu machen. 3. Treitschke mag noch so fanatisch
Waffendienst und Kriegsnotwendigkcit verteidigt haben, das deutsche Reich hat
trotzdem 43 Jahre lang Frieden gehalten; es hat seine Waffenrüstung, was
immer die Verleumder sagen mögen, stets in demselben Maßstab zur Be¬
völkerungszahl (1 Prozent) erhalten und ist erst mit der allerletzten Erhöhung
von 1913 ein wenig darüber hinausgegangen, und es hat seine militärischen
Ausgaben relativ niedriger gehalten als diejenigen seiner Gegner unter den
Großmächten, die sich nicht genug tun können in Anklagen des deutschen
Militarismus; denn diese Ausgaben betrugen bei uns auf den Kopf der Be¬
völkerung nur 21.86 Mark, in England 33,05 Mark, in Frankreich 29,67 Mark,
(in Rußland 11.10 Mark). Wo ist der Militarismus? Und wo ist der ver-
hüngnissiolle Einfluß von Treitschkes Lehre? Daß aber das deutsche Volk bei
Kriegsansbruch mit einem beispiellosen Enthusiasmus emporflammte, das er¬
klärt sich wahrlich nicht aus den vor 20 Jahren zuletzt vorgetragenen An¬
schauungen eines Berliner Professors, so wenig wie aus dem Buche des Generals
Bernhardt, das es nicht einmal zu einer 2. Auflage gebracht hatte, sondern
ganz ausschließlich aus der festen Überzeugung, daß eine seit einem Jahrzehnt vor¬
bereitete, gehässige Verschwörung zur Vernichtung Deutschlands zum Ausbruch
gekommen sei, und daß dieser teuflische Plan nicht gelingen dürfe.

et) Während Russen und Franzosen mit völlig klaren, unzweideutigen
Eroberungsabsichten, zu denen sie sich von vornherein offen bekannten, den Krieg
begonnen und die Zerstückelung Deutschlands als ihr Kriegsziel bezeichnet haben,
lag der Gedanke, wir Deutsche könnten Grenzgebiete annektieren, uns dermaßen
fern, daß man noch lange nach der Besetzung Belgiens und den ersten großen
Erfolgen im Osten oft genug die Angliedcrung der besetzten Gebiete wegen der
Fremdstämmigkeit ihrer Bevölkerungen als unmöglich bezeichnen hörte. Treitschke
hat einmal die Hoffnung geäußert, es möchte wenigstens Holland einst wieder
zum alten Vaterland zurückkehren: aber selbst nicht für dieses Land, geschweige
denn für Belgien, Dänemark, die Schweiz hat er eine gewaltsame Vereinigung
na Auge gehabt, obschon es seinem britischen Verleumder beliebt, ihm dies
anzudichten. Es wird schwerlich in Deutschland einen einzigen Menschen geben,
Tre tschkekenner oder nicht, der vor dem Krieg an eine Annexion Belgiens ge¬
macht Hütte oder der heute daran dächte, den anderen genannten Ländern den
wringst!-" Teil ihres Gebietes zu entreißen.

Dagegen haben wir immer geglaubt, daß unsere Kolonien eine Erweiterung
"ertragen können und erfahren müssen, und man sollte meinen, daß dies nicht


Grenzten II 1916 10
Treitschke in englischer Beleuchtung

das unsrige, und daß nur jene plutokratische Klique von Berufspolitikern, die,
dem Namen Demokratie zur Hohne, die Republik regiert, für den Kriegs¬
ausbruch verantwortlich ist; daneben als ihr Verbündeter das jedes, aber auch
jedes Grundes entbehrende, aber — auch in England — weitverbreitete Mi߬
trauen, Deutschland suche nach einer Gelegenheit, um über Frankreich her¬
zufallen und es zu vernichten; wozu eigentlich? hat noch nie jemand sich die
Mühe genommen begreiflich zu machen. 3. Treitschke mag noch so fanatisch
Waffendienst und Kriegsnotwendigkcit verteidigt haben, das deutsche Reich hat
trotzdem 43 Jahre lang Frieden gehalten; es hat seine Waffenrüstung, was
immer die Verleumder sagen mögen, stets in demselben Maßstab zur Be¬
völkerungszahl (1 Prozent) erhalten und ist erst mit der allerletzten Erhöhung
von 1913 ein wenig darüber hinausgegangen, und es hat seine militärischen
Ausgaben relativ niedriger gehalten als diejenigen seiner Gegner unter den
Großmächten, die sich nicht genug tun können in Anklagen des deutschen
Militarismus; denn diese Ausgaben betrugen bei uns auf den Kopf der Be¬
völkerung nur 21.86 Mark, in England 33,05 Mark, in Frankreich 29,67 Mark,
(in Rußland 11.10 Mark). Wo ist der Militarismus? Und wo ist der ver-
hüngnissiolle Einfluß von Treitschkes Lehre? Daß aber das deutsche Volk bei
Kriegsansbruch mit einem beispiellosen Enthusiasmus emporflammte, das er¬
klärt sich wahrlich nicht aus den vor 20 Jahren zuletzt vorgetragenen An¬
schauungen eines Berliner Professors, so wenig wie aus dem Buche des Generals
Bernhardt, das es nicht einmal zu einer 2. Auflage gebracht hatte, sondern
ganz ausschließlich aus der festen Überzeugung, daß eine seit einem Jahrzehnt vor¬
bereitete, gehässige Verschwörung zur Vernichtung Deutschlands zum Ausbruch
gekommen sei, und daß dieser teuflische Plan nicht gelingen dürfe.

et) Während Russen und Franzosen mit völlig klaren, unzweideutigen
Eroberungsabsichten, zu denen sie sich von vornherein offen bekannten, den Krieg
begonnen und die Zerstückelung Deutschlands als ihr Kriegsziel bezeichnet haben,
lag der Gedanke, wir Deutsche könnten Grenzgebiete annektieren, uns dermaßen
fern, daß man noch lange nach der Besetzung Belgiens und den ersten großen
Erfolgen im Osten oft genug die Angliedcrung der besetzten Gebiete wegen der
Fremdstämmigkeit ihrer Bevölkerungen als unmöglich bezeichnen hörte. Treitschke
hat einmal die Hoffnung geäußert, es möchte wenigstens Holland einst wieder
zum alten Vaterland zurückkehren: aber selbst nicht für dieses Land, geschweige
denn für Belgien, Dänemark, die Schweiz hat er eine gewaltsame Vereinigung
na Auge gehabt, obschon es seinem britischen Verleumder beliebt, ihm dies
anzudichten. Es wird schwerlich in Deutschland einen einzigen Menschen geben,
Tre tschkekenner oder nicht, der vor dem Krieg an eine Annexion Belgiens ge¬
macht Hütte oder der heute daran dächte, den anderen genannten Ländern den
wringst!-» Teil ihres Gebietes zu entreißen.

Dagegen haben wir immer geglaubt, daß unsere Kolonien eine Erweiterung
"ertragen können und erfahren müssen, und man sollte meinen, daß dies nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/157>, abgerufen am 01.09.2024.