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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung

zu organisieren, wähernd es die Führer von schlät schließlich verstanden haben,
ihre Anhängerschaft überall auf die Füße und in straffen Zusammenhang zu
bringen. Trotzdem hätte der Fürst vielleicht im Lande bleiben können und sich
letzten Endes doch durchgesetzt, wenn nicht der große Krieg ausgebrochen und
Fürst Wilhelm mit seiner Regierung dadurch Italien ganz und allein über¬
antwortet worden wäre. Österreich und Deutschland wollten damals alles ver¬
meiden, was Italien reizen, oder ihm hätte als Vorwand für seine doch längst
bestimmte und in Albanien auch längst betätigte Untreue dienen können. Italien
bewilligte dem Fürsten keine Mittel, keine Hilfe mehr; so sah sich auch Österreich
gezwungen, keine Mittel und keine Hilfe mehr zu bewilligen. Das war das
Ende der Regierung, der Verteidigung der Stadt. --

Der Fürst verließ vorläufig, und ohne abzudanken, das Land.

Am Tage vor seiner Einschiffung sandten die Leute von schlät einige
Geschosse in die Nähe des Schlosses. Sie krepierten so mangelhaft, daß auf
den Trümmern ihre italienische Herstellungsmarke noch deutlich zu lesen war.
Mit dem Fürsten mußte fast der ganze Adel, Güter und Besitz preisgebend,
außer Landes fliehen. Tags zuvor waren des Fürsten verlässige Verteidiger --
seine besten Anhänger neben seinen getreuen Großen -- die Kossovoleute unter
ihren trefflichen Führern Jssa Bolletin und Beiram Sur zu ihrer Rettung vor
dem Zorn der Aufständischen, an die Bojana und von dort nach Skutari
gebracht.

Seit dem Ausbruch des Krieges waren diese Wackerer in Unruhe gewesen,
hielten den Augenblick für gekommen, ihre Heimat, die Gegend von Mitrowitza,
Prizrend, Jpek, Djakova und Prischtina von der Serbenherrschaft, der verhaßten,
zu befreien und brannten darauf, dieser Überzeugung durch Taten zum Aus¬
druck zu verhelfen. Jeder Wunsch ihres Herzens war mit den Zentralmächten.
Und heute kämpfen sie bekanntlich denn auch an unserer und unserer Verbündeten
Seite. Leider nur ist in Podgoritza Jssa Bolletin, unter den urwüchsigen
Albanerführern der markanteste, unvergleichlich tatkräftige und treue, einem
Mißverständnis zum Opfer gefallen.

Wenige Wochen nach der Abreise des Fürsten machte sich auch in den
Reihen der ehemaligen Aufständischen eine große Veränderung geltend. Nur
durch den religiös-mohamedanischen Fanatismus Mittelalbaniens hatte dieser
Aufstand überhaupt Umsichgreifen können; dies Moment war von den Auf¬
wieglern gegen Fürst Wilhelm ausgenützt worden. Nun schloß sich die Türkei
den Mittelmächten an und damit wurde der deutsche Fürst Wilhelm zum
Bundesgenossen und Freund des Khalifen.

Trotz Essad, der die erste Verwirrung nach des Fürsten Abreise ausgenützt
hatte, um in Durazzo die Herrschaft an sich zu reißen und dessen Haß gegen
Österreich, das nach seiner Meinung seinen Sturz verursacht hatte, ihn zu einem
blinden Parteigänger Italiens und Serbiens machte, traten nun die Albaner
aller Gaue und Bildungsstufen für die Mittelmächte ein. Nicht nur die cmf-


Grenzboten II 1916 8
Albaniens Enttäuschung und Erwartung

zu organisieren, wähernd es die Führer von schlät schließlich verstanden haben,
ihre Anhängerschaft überall auf die Füße und in straffen Zusammenhang zu
bringen. Trotzdem hätte der Fürst vielleicht im Lande bleiben können und sich
letzten Endes doch durchgesetzt, wenn nicht der große Krieg ausgebrochen und
Fürst Wilhelm mit seiner Regierung dadurch Italien ganz und allein über¬
antwortet worden wäre. Österreich und Deutschland wollten damals alles ver¬
meiden, was Italien reizen, oder ihm hätte als Vorwand für seine doch längst
bestimmte und in Albanien auch längst betätigte Untreue dienen können. Italien
bewilligte dem Fürsten keine Mittel, keine Hilfe mehr; so sah sich auch Österreich
gezwungen, keine Mittel und keine Hilfe mehr zu bewilligen. Das war das
Ende der Regierung, der Verteidigung der Stadt. —

Der Fürst verließ vorläufig, und ohne abzudanken, das Land.

Am Tage vor seiner Einschiffung sandten die Leute von schlät einige
Geschosse in die Nähe des Schlosses. Sie krepierten so mangelhaft, daß auf
den Trümmern ihre italienische Herstellungsmarke noch deutlich zu lesen war.
Mit dem Fürsten mußte fast der ganze Adel, Güter und Besitz preisgebend,
außer Landes fliehen. Tags zuvor waren des Fürsten verlässige Verteidiger —
seine besten Anhänger neben seinen getreuen Großen — die Kossovoleute unter
ihren trefflichen Führern Jssa Bolletin und Beiram Sur zu ihrer Rettung vor
dem Zorn der Aufständischen, an die Bojana und von dort nach Skutari
gebracht.

Seit dem Ausbruch des Krieges waren diese Wackerer in Unruhe gewesen,
hielten den Augenblick für gekommen, ihre Heimat, die Gegend von Mitrowitza,
Prizrend, Jpek, Djakova und Prischtina von der Serbenherrschaft, der verhaßten,
zu befreien und brannten darauf, dieser Überzeugung durch Taten zum Aus¬
druck zu verhelfen. Jeder Wunsch ihres Herzens war mit den Zentralmächten.
Und heute kämpfen sie bekanntlich denn auch an unserer und unserer Verbündeten
Seite. Leider nur ist in Podgoritza Jssa Bolletin, unter den urwüchsigen
Albanerführern der markanteste, unvergleichlich tatkräftige und treue, einem
Mißverständnis zum Opfer gefallen.

Wenige Wochen nach der Abreise des Fürsten machte sich auch in den
Reihen der ehemaligen Aufständischen eine große Veränderung geltend. Nur
durch den religiös-mohamedanischen Fanatismus Mittelalbaniens hatte dieser
Aufstand überhaupt Umsichgreifen können; dies Moment war von den Auf¬
wieglern gegen Fürst Wilhelm ausgenützt worden. Nun schloß sich die Türkei
den Mittelmächten an und damit wurde der deutsche Fürst Wilhelm zum
Bundesgenossen und Freund des Khalifen.

Trotz Essad, der die erste Verwirrung nach des Fürsten Abreise ausgenützt
hatte, um in Durazzo die Herrschaft an sich zu reißen und dessen Haß gegen
Österreich, das nach seiner Meinung seinen Sturz verursacht hatte, ihn zu einem
blinden Parteigänger Italiens und Serbiens machte, traten nun die Albaner
aller Gaue und Bildungsstufen für die Mittelmächte ein. Nicht nur die cmf-


Grenzboten II 1916 8
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[0125] Albaniens Enttäuschung und Erwartung zu organisieren, wähernd es die Führer von schlät schließlich verstanden haben, ihre Anhängerschaft überall auf die Füße und in straffen Zusammenhang zu bringen. Trotzdem hätte der Fürst vielleicht im Lande bleiben können und sich letzten Endes doch durchgesetzt, wenn nicht der große Krieg ausgebrochen und Fürst Wilhelm mit seiner Regierung dadurch Italien ganz und allein über¬ antwortet worden wäre. Österreich und Deutschland wollten damals alles ver¬ meiden, was Italien reizen, oder ihm hätte als Vorwand für seine doch längst bestimmte und in Albanien auch längst betätigte Untreue dienen können. Italien bewilligte dem Fürsten keine Mittel, keine Hilfe mehr; so sah sich auch Österreich gezwungen, keine Mittel und keine Hilfe mehr zu bewilligen. Das war das Ende der Regierung, der Verteidigung der Stadt. — Der Fürst verließ vorläufig, und ohne abzudanken, das Land. Am Tage vor seiner Einschiffung sandten die Leute von schlät einige Geschosse in die Nähe des Schlosses. Sie krepierten so mangelhaft, daß auf den Trümmern ihre italienische Herstellungsmarke noch deutlich zu lesen war. Mit dem Fürsten mußte fast der ganze Adel, Güter und Besitz preisgebend, außer Landes fliehen. Tags zuvor waren des Fürsten verlässige Verteidiger — seine besten Anhänger neben seinen getreuen Großen — die Kossovoleute unter ihren trefflichen Führern Jssa Bolletin und Beiram Sur zu ihrer Rettung vor dem Zorn der Aufständischen, an die Bojana und von dort nach Skutari gebracht. Seit dem Ausbruch des Krieges waren diese Wackerer in Unruhe gewesen, hielten den Augenblick für gekommen, ihre Heimat, die Gegend von Mitrowitza, Prizrend, Jpek, Djakova und Prischtina von der Serbenherrschaft, der verhaßten, zu befreien und brannten darauf, dieser Überzeugung durch Taten zum Aus¬ druck zu verhelfen. Jeder Wunsch ihres Herzens war mit den Zentralmächten. Und heute kämpfen sie bekanntlich denn auch an unserer und unserer Verbündeten Seite. Leider nur ist in Podgoritza Jssa Bolletin, unter den urwüchsigen Albanerführern der markanteste, unvergleichlich tatkräftige und treue, einem Mißverständnis zum Opfer gefallen. Wenige Wochen nach der Abreise des Fürsten machte sich auch in den Reihen der ehemaligen Aufständischen eine große Veränderung geltend. Nur durch den religiös-mohamedanischen Fanatismus Mittelalbaniens hatte dieser Aufstand überhaupt Umsichgreifen können; dies Moment war von den Auf¬ wieglern gegen Fürst Wilhelm ausgenützt worden. Nun schloß sich die Türkei den Mittelmächten an und damit wurde der deutsche Fürst Wilhelm zum Bundesgenossen und Freund des Khalifen. Trotz Essad, der die erste Verwirrung nach des Fürsten Abreise ausgenützt hatte, um in Durazzo die Herrschaft an sich zu reißen und dessen Haß gegen Österreich, das nach seiner Meinung seinen Sturz verursacht hatte, ihn zu einem blinden Parteigänger Italiens und Serbiens machte, traten nun die Albaner aller Gaue und Bildungsstufen für die Mittelmächte ein. Nicht nur die cmf- Grenzboten II 1916 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/125>, abgerufen am 01.09.2024.