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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung

zweifelhafte Gesinnung des liberalen Ismail Kemal hingewiesen und versprochen,
einen rechtgläubigen Fürsten ins Land zu bringen. Als Essad dann, durch die
Verhältnisse gezwungen, selbst den Christen nach Durazzo holte, und seine
Gegner es sich angelegen sein ließen, ein Bild Essads mit dem Zylinder an
der Spitze der Krondeputation im ganzen Gebiet von Tirana und schlät zu
verbreiten, glaubten sich seine Leute von ihm absichtlich hintergangen. Als er
sie nun unter die Fahnen rief, hielten sie den Augenblick sür günstig, ihm ihre
Rache fühlen zu lassen.

Als Essad von dem ersten Widerstande hörte, wollte er die Einberufung
der Redifs fallen lassen, oder zögerte doch, weitere Maßnahmen zu treffen . . . .
Die "Nationalisten" aber in Durazzo erklärten in allen Straßen dies Zaudern
für einen Beweis, daß Essad griechisches Geld genommen habe und erzwangen
durch tägliche Demonstrationen die Fortführung der Listenaufstellung, um den
bedrängten Süden zu retten.

Dadurch war eine Woche später schlät völlig aufständisch und auch unter
den Leuten griff Meuterei Platz, welche Refik und Abdi Bey Toptcmi, die vor¬
züglichen Patrioten, in Tirana und Krnja versammelt hatten, um sie gegen die
"Epiroten" zu führen.

Schon nach diesen allerersten Tagen suchte leider fremde Agitation das
so unbedeutende Flänunchen dieses ursprünglich nur lokalen Aufstandes anzu¬
fachen. Griechische, serbische, jungtürkische Hetzer waren sofort zur Hand. Und
etwas später, vor allem und in erster Linie italienische.

Als infolgedessen der Aufstand wuchs, statt, wie jeder erwartet hatte, rasch
abzuflauen, ging Essad nach schlät und Tirana, um sich mit den Rädelsführern
zu verständigen.

Um sie noch mehr aufzuhetzen, sagen seine Gegner.

Sicher ist, nach dieser Beruhignngsreise wuchs die Bewegung. Sicher ist
auch, daß Essad den Aufständischen Munition in die Hand spielte, dies braucht aber
nicht als Schuldbeweis aufgefaßt zu werden, denn Munition ist in Albanien,
dem Lande der leidenschaftlichen Schützen, noch ein weit wirksameres Über¬
zeugungsmittel, als Geld.

Wie dem auch sei, ob Essad einen Verrat am Fürsten beging, oder nicht,
auf jeden Fall war der Aufstand durch seine Schuld entstanden -- durch ihn,
oder gegen ihn. Damit war der Fürst berechtigt, ihn seiner Ämter zu entheben.
Besaß oder fand man Beweise seines Verrates, so hätte man diese gleichzeitig
mit Essads Verhaftung veröffentlichen müssen, und kein gerechtes, rasch voll¬
zogenes Urteil hätte dem Fürsten gefährlichen Widerstand im Lande gebracht,
auch Italien hätte sich dann wohl entblödet, über einen notorischen Verräter
seine schützende Hand zu halten.

So aber, wie man in der Tat gegen Essad vorging, hätte man nicht
vorgehen dürfen.

Am 18. Mai abends hinterbrachten einige Nationalisten dem Stadt-


Albaniens Enttäuschung und Erwartung

zweifelhafte Gesinnung des liberalen Ismail Kemal hingewiesen und versprochen,
einen rechtgläubigen Fürsten ins Land zu bringen. Als Essad dann, durch die
Verhältnisse gezwungen, selbst den Christen nach Durazzo holte, und seine
Gegner es sich angelegen sein ließen, ein Bild Essads mit dem Zylinder an
der Spitze der Krondeputation im ganzen Gebiet von Tirana und schlät zu
verbreiten, glaubten sich seine Leute von ihm absichtlich hintergangen. Als er
sie nun unter die Fahnen rief, hielten sie den Augenblick sür günstig, ihm ihre
Rache fühlen zu lassen.

Als Essad von dem ersten Widerstande hörte, wollte er die Einberufung
der Redifs fallen lassen, oder zögerte doch, weitere Maßnahmen zu treffen . . . .
Die „Nationalisten" aber in Durazzo erklärten in allen Straßen dies Zaudern
für einen Beweis, daß Essad griechisches Geld genommen habe und erzwangen
durch tägliche Demonstrationen die Fortführung der Listenaufstellung, um den
bedrängten Süden zu retten.

Dadurch war eine Woche später schlät völlig aufständisch und auch unter
den Leuten griff Meuterei Platz, welche Refik und Abdi Bey Toptcmi, die vor¬
züglichen Patrioten, in Tirana und Krnja versammelt hatten, um sie gegen die
„Epiroten" zu führen.

Schon nach diesen allerersten Tagen suchte leider fremde Agitation das
so unbedeutende Flänunchen dieses ursprünglich nur lokalen Aufstandes anzu¬
fachen. Griechische, serbische, jungtürkische Hetzer waren sofort zur Hand. Und
etwas später, vor allem und in erster Linie italienische.

Als infolgedessen der Aufstand wuchs, statt, wie jeder erwartet hatte, rasch
abzuflauen, ging Essad nach schlät und Tirana, um sich mit den Rädelsführern
zu verständigen.

Um sie noch mehr aufzuhetzen, sagen seine Gegner.

Sicher ist, nach dieser Beruhignngsreise wuchs die Bewegung. Sicher ist
auch, daß Essad den Aufständischen Munition in die Hand spielte, dies braucht aber
nicht als Schuldbeweis aufgefaßt zu werden, denn Munition ist in Albanien,
dem Lande der leidenschaftlichen Schützen, noch ein weit wirksameres Über¬
zeugungsmittel, als Geld.

Wie dem auch sei, ob Essad einen Verrat am Fürsten beging, oder nicht,
auf jeden Fall war der Aufstand durch seine Schuld entstanden — durch ihn,
oder gegen ihn. Damit war der Fürst berechtigt, ihn seiner Ämter zu entheben.
Besaß oder fand man Beweise seines Verrates, so hätte man diese gleichzeitig
mit Essads Verhaftung veröffentlichen müssen, und kein gerechtes, rasch voll¬
zogenes Urteil hätte dem Fürsten gefährlichen Widerstand im Lande gebracht,
auch Italien hätte sich dann wohl entblödet, über einen notorischen Verräter
seine schützende Hand zu halten.

So aber, wie man in der Tat gegen Essad vorging, hätte man nicht
vorgehen dürfen.

Am 18. Mai abends hinterbrachten einige Nationalisten dem Stadt-


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[0121] Albaniens Enttäuschung und Erwartung zweifelhafte Gesinnung des liberalen Ismail Kemal hingewiesen und versprochen, einen rechtgläubigen Fürsten ins Land zu bringen. Als Essad dann, durch die Verhältnisse gezwungen, selbst den Christen nach Durazzo holte, und seine Gegner es sich angelegen sein ließen, ein Bild Essads mit dem Zylinder an der Spitze der Krondeputation im ganzen Gebiet von Tirana und schlät zu verbreiten, glaubten sich seine Leute von ihm absichtlich hintergangen. Als er sie nun unter die Fahnen rief, hielten sie den Augenblick sür günstig, ihm ihre Rache fühlen zu lassen. Als Essad von dem ersten Widerstande hörte, wollte er die Einberufung der Redifs fallen lassen, oder zögerte doch, weitere Maßnahmen zu treffen . . . . Die „Nationalisten" aber in Durazzo erklärten in allen Straßen dies Zaudern für einen Beweis, daß Essad griechisches Geld genommen habe und erzwangen durch tägliche Demonstrationen die Fortführung der Listenaufstellung, um den bedrängten Süden zu retten. Dadurch war eine Woche später schlät völlig aufständisch und auch unter den Leuten griff Meuterei Platz, welche Refik und Abdi Bey Toptcmi, die vor¬ züglichen Patrioten, in Tirana und Krnja versammelt hatten, um sie gegen die „Epiroten" zu führen. Schon nach diesen allerersten Tagen suchte leider fremde Agitation das so unbedeutende Flänunchen dieses ursprünglich nur lokalen Aufstandes anzu¬ fachen. Griechische, serbische, jungtürkische Hetzer waren sofort zur Hand. Und etwas später, vor allem und in erster Linie italienische. Als infolgedessen der Aufstand wuchs, statt, wie jeder erwartet hatte, rasch abzuflauen, ging Essad nach schlät und Tirana, um sich mit den Rädelsführern zu verständigen. Um sie noch mehr aufzuhetzen, sagen seine Gegner. Sicher ist, nach dieser Beruhignngsreise wuchs die Bewegung. Sicher ist auch, daß Essad den Aufständischen Munition in die Hand spielte, dies braucht aber nicht als Schuldbeweis aufgefaßt zu werden, denn Munition ist in Albanien, dem Lande der leidenschaftlichen Schützen, noch ein weit wirksameres Über¬ zeugungsmittel, als Geld. Wie dem auch sei, ob Essad einen Verrat am Fürsten beging, oder nicht, auf jeden Fall war der Aufstand durch seine Schuld entstanden — durch ihn, oder gegen ihn. Damit war der Fürst berechtigt, ihn seiner Ämter zu entheben. Besaß oder fand man Beweise seines Verrates, so hätte man diese gleichzeitig mit Essads Verhaftung veröffentlichen müssen, und kein gerechtes, rasch voll¬ zogenes Urteil hätte dem Fürsten gefährlichen Widerstand im Lande gebracht, auch Italien hätte sich dann wohl entblödet, über einen notorischen Verräter seine schützende Hand zu halten. So aber, wie man in der Tat gegen Essad vorging, hätte man nicht vorgehen dürfen. Am 18. Mai abends hinterbrachten einige Nationalisten dem Stadt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/121>, abgerufen am 01.09.2024.