Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland Schweiz hebt Blonder gebührend hervor. Der Schweizer hat ein starkes Vater- Die Schweiz ist auf ein freundliches Verhältnis zu den vier Großmächten Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland Schweiz hebt Blonder gebührend hervor. Der Schweizer hat ein starkes Vater- Die Schweiz ist auf ein freundliches Verhältnis zu den vier Großmächten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329764"/> <fw type="header" place="top"> Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_251" prev="#ID_250"> Schweiz hebt Blonder gebührend hervor. Der Schweizer hat ein starkes Vater-<lb/> landsgefühl, für das er Opfer zu bringen gewillt ist, kein Schweizer kann für<lb/> eine Annexion von Teilen seines Landes eintreten. Eine solche Meinungs¬<lb/> äußerung ist in der Schweiz undenkbar. Aus Blochers Schrift bekommt man<lb/> den Eindruck, daß eine Vergleichung der schweizerischen und der belgischen<lb/> Neutralität im Grunde eine Beleidigung der Schweiz ist. Denn das ist das<lb/> zweite, was Blonder herausstellt: Belgien hat „seine Neutralität und seine Neu¬<lb/> tralitätspflicht immer ganz anders aufgefaßt als wir Schweizer die unsrige."<lb/> Belgien hielt sich für völlig frei, im Kriegsfalle zwischen den streitenden Mächten<lb/> Partei zu ergreifen. Daher erklärt Blonder es für begreiflich, daß Deutschland<lb/> dem belgischen Neutralitätswillen kein rechtes Vertrauen schenken konnte. „Zur<lb/> Schweiz hatte Deutschland Vertrauen, zu Belgien nicht. Kann man sich da¬<lb/> rüber wundern? Konnte ein Land, das seit Jahren in jeder Weise für Frank¬<lb/> reich Partei ergriffen hatte, verlangen, daß man ihm unbedingtes Vertrauen<lb/> schenke? War wirklich von einem solchen Lande zu erwarten, daß es sich mit<lb/> aller Kraft widersetzte, wenn ein französisches Heer den Durchzug zu erzwingen<lb/> suchte?" Blonder macht seinen Landsleuten den großen Unterschied klar und<lb/> zeigt, daß aus der Verletzung der Neutralität Belgiens auf keine Bedrohung<lb/> der schweizerischen geschlossen werden darf. „Vielmehr bedeutet die Über¬<lb/> rumpelung Belgiens und die Achtung unserer Grenzen geradezu eine Aner¬<lb/> kennung unserer Art, die Neutralität aufzufassen und schon in Friedenszeiten<lb/> zu üben, im Gegensatz zu der Art Neutralität, wie sie in Belgien gehandhabt<lb/> worden ist." (Seite 30). Blochers Schrift bildet eine wertvolle Ergänzung<lb/> dessen, was von deutscher Seite zu der belgischen Neutralität gesagt worden ist.<lb/> Es wäre zu wünschen, daß sie die öffentliche Meinung in der Schweiz noch<lb/> stärker beeinflußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_252" next="#ID_253"> Die Schweiz ist auf ein freundliches Verhältnis zu den vier Großmächten<lb/> angewiesen, die sie einschließen, und die seit dem 23. Mai 1915 sämtlich im<lb/> Kriege befindlich sind. Ungeheure wirtschaftliche Schwierigkeiten sind für ein<lb/> Land darin einbegriffen, daß es selbst nirgends an das Meer heranreicht.<lb/> Es ist auf den guten Willen seiner Nachbarländer angewiesen, die die Zufuhr<lb/> von Kohlen, Getreide, Eisen, Baumwolle, Seide und von Halbfabrikaten trotz<lb/> des Krieges nicht abschneiden. Allerdings leistet die Schweiz auch jedem der<lb/> Kriegführenden einen gewissen Dienst. Unser Kaiser hat anläßlich seines Be¬<lb/> suches in der Schweiz 1912 erklärt: „Die Schweiz ersetzt mir sechs Armee¬<lb/> korps." Deutschland hat das volle Vertrauen, daß die Schweiz jedem Versuch<lb/> Frankreichs, durch die Schweiz hindurch in das südliche Baden oder zum Bodensee<lb/> vorzustoßen, mit bewaffneter Gewalt sich entgegensetzen würde. Das Vertrauen<lb/> auf die Leistungsfähigkeit der Schweizer Armee, daß sie einen Durchbruchs¬<lb/> versuch im Schweizer Jura erfolgreich abzuwehren imstande sei, ist sicherlich<lb/> durch den Kaiserbesuch von 1912 bestätigt worden. Ob Frankreich im August<lb/> 1914 den ernstlichen Plan gehabt hat, einen Vorstoß durch die Schweiz nach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland
Schweiz hebt Blonder gebührend hervor. Der Schweizer hat ein starkes Vater-
landsgefühl, für das er Opfer zu bringen gewillt ist, kein Schweizer kann für
eine Annexion von Teilen seines Landes eintreten. Eine solche Meinungs¬
äußerung ist in der Schweiz undenkbar. Aus Blochers Schrift bekommt man
den Eindruck, daß eine Vergleichung der schweizerischen und der belgischen
Neutralität im Grunde eine Beleidigung der Schweiz ist. Denn das ist das
zweite, was Blonder herausstellt: Belgien hat „seine Neutralität und seine Neu¬
tralitätspflicht immer ganz anders aufgefaßt als wir Schweizer die unsrige."
Belgien hielt sich für völlig frei, im Kriegsfalle zwischen den streitenden Mächten
Partei zu ergreifen. Daher erklärt Blonder es für begreiflich, daß Deutschland
dem belgischen Neutralitätswillen kein rechtes Vertrauen schenken konnte. „Zur
Schweiz hatte Deutschland Vertrauen, zu Belgien nicht. Kann man sich da¬
rüber wundern? Konnte ein Land, das seit Jahren in jeder Weise für Frank¬
reich Partei ergriffen hatte, verlangen, daß man ihm unbedingtes Vertrauen
schenke? War wirklich von einem solchen Lande zu erwarten, daß es sich mit
aller Kraft widersetzte, wenn ein französisches Heer den Durchzug zu erzwingen
suchte?" Blonder macht seinen Landsleuten den großen Unterschied klar und
zeigt, daß aus der Verletzung der Neutralität Belgiens auf keine Bedrohung
der schweizerischen geschlossen werden darf. „Vielmehr bedeutet die Über¬
rumpelung Belgiens und die Achtung unserer Grenzen geradezu eine Aner¬
kennung unserer Art, die Neutralität aufzufassen und schon in Friedenszeiten
zu üben, im Gegensatz zu der Art Neutralität, wie sie in Belgien gehandhabt
worden ist." (Seite 30). Blochers Schrift bildet eine wertvolle Ergänzung
dessen, was von deutscher Seite zu der belgischen Neutralität gesagt worden ist.
Es wäre zu wünschen, daß sie die öffentliche Meinung in der Schweiz noch
stärker beeinflußte.
Die Schweiz ist auf ein freundliches Verhältnis zu den vier Großmächten
angewiesen, die sie einschließen, und die seit dem 23. Mai 1915 sämtlich im
Kriege befindlich sind. Ungeheure wirtschaftliche Schwierigkeiten sind für ein
Land darin einbegriffen, daß es selbst nirgends an das Meer heranreicht.
Es ist auf den guten Willen seiner Nachbarländer angewiesen, die die Zufuhr
von Kohlen, Getreide, Eisen, Baumwolle, Seide und von Halbfabrikaten trotz
des Krieges nicht abschneiden. Allerdings leistet die Schweiz auch jedem der
Kriegführenden einen gewissen Dienst. Unser Kaiser hat anläßlich seines Be¬
suches in der Schweiz 1912 erklärt: „Die Schweiz ersetzt mir sechs Armee¬
korps." Deutschland hat das volle Vertrauen, daß die Schweiz jedem Versuch
Frankreichs, durch die Schweiz hindurch in das südliche Baden oder zum Bodensee
vorzustoßen, mit bewaffneter Gewalt sich entgegensetzen würde. Das Vertrauen
auf die Leistungsfähigkeit der Schweizer Armee, daß sie einen Durchbruchs¬
versuch im Schweizer Jura erfolgreich abzuwehren imstande sei, ist sicherlich
durch den Kaiserbesuch von 1912 bestätigt worden. Ob Frankreich im August
1914 den ernstlichen Plan gehabt hat, einen Vorstoß durch die Schweiz nach
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