Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Mannschafts - Rriegsarchiv

ist. Das Problem war: einmal aus der Überfülle des Erfragenswerten die
wichtigen Tatbestände vsu allgemeiner Gültigkeit herauszuziehen, und ferner,
die Fragen im einzelnen so einsichtig und unmißverständlich zu fassen, daß sie
selbst beim geistig Ärmsten mitten in die Erinnerungskomplexe hineintreffen,
und ihn zur sachlichen Übermittelung seiner Erfahrungen zwingen. Der Frage¬
bogen eines Infanterieregiments -- in Blockform -- umschließt mit 40 Einzel¬
fragen folgende Gebiete: das offene Gefecht im Bewegungskrieg, das Gefecht
im Stellungskrieg, die Feuertätigkeit, die Ausrüstung, die Verpflegung, die
friedensmäßige Ausbildung, den Sanitätsdienst, das Seelische und den Feind.
Ein solcher Frageblock wird jedem Mann, der genügend lange Fronterfahrung
besitzt, zur Beantwortung während des Urlaubs mitgegeben und bei der Rück¬
gabe vom Archivar gemeinsam mit dem Beantworter durchgesehen, um nicht
genaue Angaben fest zu bestimmen, Angedeutetes zu erweitern, und Vergessenes,
das sich im Gespräch einstellt, nachzutragen. Dieses ungeheure, gesichtete und
ebenfalls nach den Hauptwetten in einer Kartothek zur Bearbeitung bereit¬
gestellte Material ist für die Fortentwicklung unserer militärischen Rüstung nach
drei Seiten hin besonders wertvoll. Einmal ermöglicht es uns, die Fragen
nach dem tatsächlich Gewesenen in eindeutiger Weise zu beantworten. Wir
werden wissen: so und nicht anders hat der deutsche Soldat sein Gewehr be¬
dient; seine Verpflegung spielte sich in diesem Rahmen ab; dieser Teil seiner
Bekleidung erwies sich als schlecht, jener war gut; usw. Damit erst wird
eine feste und unter Umständen sogar statistisch gesicherte Unterlage gewonnen,
von der eine spätere Heeresreform ihren Ausgang nehmen kann. Aber
auch viele direkte Äußerungen über dieses Seinsollende enthalten die Ant¬
worten. Es ist nicht von geringem Belang, von Leuten, die monatelang
täglich Erfahrungen sammelten, zu hören, was sie an ihrer Ausbildung, an
ihrer Bewaffnung, an der Gepäckoerteilung anders, und wie sie es haben
wollen. Zum Dritten erschließen diese Antworten für die Psychologie des Krieges
und des deutschen Soldaten eine Fülle von Quellen. Ich denke dabei nicht
nur daran, daß einige Fragen ausdrücklich das Seelische in den Mittelpunkt
rücken. Vielmehr wird die gesamte Masse solcher Äußerungen, ganz gleich,
ob sie nun seelische oder technische Dinge betreffen, über den innern Zustand
der großen Kriegermassen viel Aufschluß geben.

Was aber über dieses Zweckmäßige hinaus an dieser neuen Einrichtung
erfreulich ist und stark wie eine gute Verheißung klingt, ist der Geist der
inneren Freiheit, der schöne Wille, klarzusehen und klarzustellen, der dieses
alles schuf und trägt.




Das Mannschafts - Rriegsarchiv

ist. Das Problem war: einmal aus der Überfülle des Erfragenswerten die
wichtigen Tatbestände vsu allgemeiner Gültigkeit herauszuziehen, und ferner,
die Fragen im einzelnen so einsichtig und unmißverständlich zu fassen, daß sie
selbst beim geistig Ärmsten mitten in die Erinnerungskomplexe hineintreffen,
und ihn zur sachlichen Übermittelung seiner Erfahrungen zwingen. Der Frage¬
bogen eines Infanterieregiments — in Blockform — umschließt mit 40 Einzel¬
fragen folgende Gebiete: das offene Gefecht im Bewegungskrieg, das Gefecht
im Stellungskrieg, die Feuertätigkeit, die Ausrüstung, die Verpflegung, die
friedensmäßige Ausbildung, den Sanitätsdienst, das Seelische und den Feind.
Ein solcher Frageblock wird jedem Mann, der genügend lange Fronterfahrung
besitzt, zur Beantwortung während des Urlaubs mitgegeben und bei der Rück¬
gabe vom Archivar gemeinsam mit dem Beantworter durchgesehen, um nicht
genaue Angaben fest zu bestimmen, Angedeutetes zu erweitern, und Vergessenes,
das sich im Gespräch einstellt, nachzutragen. Dieses ungeheure, gesichtete und
ebenfalls nach den Hauptwetten in einer Kartothek zur Bearbeitung bereit¬
gestellte Material ist für die Fortentwicklung unserer militärischen Rüstung nach
drei Seiten hin besonders wertvoll. Einmal ermöglicht es uns, die Fragen
nach dem tatsächlich Gewesenen in eindeutiger Weise zu beantworten. Wir
werden wissen: so und nicht anders hat der deutsche Soldat sein Gewehr be¬
dient; seine Verpflegung spielte sich in diesem Rahmen ab; dieser Teil seiner
Bekleidung erwies sich als schlecht, jener war gut; usw. Damit erst wird
eine feste und unter Umständen sogar statistisch gesicherte Unterlage gewonnen,
von der eine spätere Heeresreform ihren Ausgang nehmen kann. Aber
auch viele direkte Äußerungen über dieses Seinsollende enthalten die Ant¬
worten. Es ist nicht von geringem Belang, von Leuten, die monatelang
täglich Erfahrungen sammelten, zu hören, was sie an ihrer Ausbildung, an
ihrer Bewaffnung, an der Gepäckoerteilung anders, und wie sie es haben
wollen. Zum Dritten erschließen diese Antworten für die Psychologie des Krieges
und des deutschen Soldaten eine Fülle von Quellen. Ich denke dabei nicht
nur daran, daß einige Fragen ausdrücklich das Seelische in den Mittelpunkt
rücken. Vielmehr wird die gesamte Masse solcher Äußerungen, ganz gleich,
ob sie nun seelische oder technische Dinge betreffen, über den innern Zustand
der großen Kriegermassen viel Aufschluß geben.

Was aber über dieses Zweckmäßige hinaus an dieser neuen Einrichtung
erfreulich ist und stark wie eine gute Verheißung klingt, ist der Geist der
inneren Freiheit, der schöne Wille, klarzusehen und klarzustellen, der dieses
alles schuf und trägt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329735"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Mannschafts - Rriegsarchiv</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_154" prev="#ID_153"> ist. Das Problem war: einmal aus der Überfülle des Erfragenswerten die<lb/>
wichtigen Tatbestände vsu allgemeiner Gültigkeit herauszuziehen, und ferner,<lb/>
die Fragen im einzelnen so einsichtig und unmißverständlich zu fassen, daß sie<lb/>
selbst beim geistig Ärmsten mitten in die Erinnerungskomplexe hineintreffen,<lb/>
und ihn zur sachlichen Übermittelung seiner Erfahrungen zwingen. Der Frage¬<lb/>
bogen eines Infanterieregiments &#x2014; in Blockform &#x2014; umschließt mit 40 Einzel¬<lb/>
fragen folgende Gebiete: das offene Gefecht im Bewegungskrieg, das Gefecht<lb/>
im Stellungskrieg, die Feuertätigkeit, die Ausrüstung, die Verpflegung, die<lb/>
friedensmäßige Ausbildung, den Sanitätsdienst, das Seelische und den Feind.<lb/>
Ein solcher Frageblock wird jedem Mann, der genügend lange Fronterfahrung<lb/>
besitzt, zur Beantwortung während des Urlaubs mitgegeben und bei der Rück¬<lb/>
gabe vom Archivar gemeinsam mit dem Beantworter durchgesehen, um nicht<lb/>
genaue Angaben fest zu bestimmen, Angedeutetes zu erweitern, und Vergessenes,<lb/>
das sich im Gespräch einstellt, nachzutragen. Dieses ungeheure, gesichtete und<lb/>
ebenfalls nach den Hauptwetten in einer Kartothek zur Bearbeitung bereit¬<lb/>
gestellte Material ist für die Fortentwicklung unserer militärischen Rüstung nach<lb/>
drei Seiten hin besonders wertvoll. Einmal ermöglicht es uns, die Fragen<lb/>
nach dem tatsächlich Gewesenen in eindeutiger Weise zu beantworten. Wir<lb/>
werden wissen: so und nicht anders hat der deutsche Soldat sein Gewehr be¬<lb/>
dient; seine Verpflegung spielte sich in diesem Rahmen ab; dieser Teil seiner<lb/>
Bekleidung erwies sich als schlecht, jener war gut; usw. Damit erst wird<lb/>
eine feste und unter Umständen sogar statistisch gesicherte Unterlage gewonnen,<lb/>
von der eine spätere Heeresreform ihren Ausgang nehmen kann. Aber<lb/>
auch viele direkte Äußerungen über dieses Seinsollende enthalten die Ant¬<lb/>
worten. Es ist nicht von geringem Belang, von Leuten, die monatelang<lb/>
täglich Erfahrungen sammelten, zu hören, was sie an ihrer Ausbildung, an<lb/>
ihrer Bewaffnung, an der Gepäckoerteilung anders, und wie sie es haben<lb/>
wollen. Zum Dritten erschließen diese Antworten für die Psychologie des Krieges<lb/>
und des deutschen Soldaten eine Fülle von Quellen. Ich denke dabei nicht<lb/>
nur daran, daß einige Fragen ausdrücklich das Seelische in den Mittelpunkt<lb/>
rücken. Vielmehr wird die gesamte Masse solcher Äußerungen, ganz gleich,<lb/>
ob sie nun seelische oder technische Dinge betreffen, über den innern Zustand<lb/>
der großen Kriegermassen viel Aufschluß geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_155" next="#ID_156"> Was aber über dieses Zweckmäßige hinaus an dieser neuen Einrichtung<lb/>
erfreulich ist und stark wie eine gute Verheißung klingt, ist der Geist der<lb/>
inneren Freiheit, der schöne Wille, klarzusehen und klarzustellen, der dieses<lb/>
alles schuf und trägt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] Das Mannschafts - Rriegsarchiv ist. Das Problem war: einmal aus der Überfülle des Erfragenswerten die wichtigen Tatbestände vsu allgemeiner Gültigkeit herauszuziehen, und ferner, die Fragen im einzelnen so einsichtig und unmißverständlich zu fassen, daß sie selbst beim geistig Ärmsten mitten in die Erinnerungskomplexe hineintreffen, und ihn zur sachlichen Übermittelung seiner Erfahrungen zwingen. Der Frage¬ bogen eines Infanterieregiments — in Blockform — umschließt mit 40 Einzel¬ fragen folgende Gebiete: das offene Gefecht im Bewegungskrieg, das Gefecht im Stellungskrieg, die Feuertätigkeit, die Ausrüstung, die Verpflegung, die friedensmäßige Ausbildung, den Sanitätsdienst, das Seelische und den Feind. Ein solcher Frageblock wird jedem Mann, der genügend lange Fronterfahrung besitzt, zur Beantwortung während des Urlaubs mitgegeben und bei der Rück¬ gabe vom Archivar gemeinsam mit dem Beantworter durchgesehen, um nicht genaue Angaben fest zu bestimmen, Angedeutetes zu erweitern, und Vergessenes, das sich im Gespräch einstellt, nachzutragen. Dieses ungeheure, gesichtete und ebenfalls nach den Hauptwetten in einer Kartothek zur Bearbeitung bereit¬ gestellte Material ist für die Fortentwicklung unserer militärischen Rüstung nach drei Seiten hin besonders wertvoll. Einmal ermöglicht es uns, die Fragen nach dem tatsächlich Gewesenen in eindeutiger Weise zu beantworten. Wir werden wissen: so und nicht anders hat der deutsche Soldat sein Gewehr be¬ dient; seine Verpflegung spielte sich in diesem Rahmen ab; dieser Teil seiner Bekleidung erwies sich als schlecht, jener war gut; usw. Damit erst wird eine feste und unter Umständen sogar statistisch gesicherte Unterlage gewonnen, von der eine spätere Heeresreform ihren Ausgang nehmen kann. Aber auch viele direkte Äußerungen über dieses Seinsollende enthalten die Ant¬ worten. Es ist nicht von geringem Belang, von Leuten, die monatelang täglich Erfahrungen sammelten, zu hören, was sie an ihrer Ausbildung, an ihrer Bewaffnung, an der Gepäckoerteilung anders, und wie sie es haben wollen. Zum Dritten erschließen diese Antworten für die Psychologie des Krieges und des deutschen Soldaten eine Fülle von Quellen. Ich denke dabei nicht nur daran, daß einige Fragen ausdrücklich das Seelische in den Mittelpunkt rücken. Vielmehr wird die gesamte Masse solcher Äußerungen, ganz gleich, ob sie nun seelische oder technische Dinge betreffen, über den innern Zustand der großen Kriegermassen viel Aufschluß geben. Was aber über dieses Zweckmäßige hinaus an dieser neuen Einrichtung erfreulich ist und stark wie eine gute Verheißung klingt, ist der Geist der inneren Freiheit, der schöne Wille, klarzusehen und klarzustellen, der dieses alles schuf und trägt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/69
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/69>, abgerufen am 15.01.2025.