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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der geschlossene Handelsstaat Achtes

erlauben kann. Die beste Kolonie, die Deutschland je erworben, war jenes
Ostelbien, auf dem jetzt ein Drittel deutschen Volkstums und deutscher Staats¬
macht beruht. Jene Kolonisation war vorbildlich für die Erwerbung neuer
Anstedlungs- und Ackerbaugebiete des deutschen Volkes, mit dessen Stammlanden
sie jetzt eng verschmolzen sind. Für jene Zeit das gelungene Streben nach
Selbstgenügsamkeit des deutschen Volkes im Anschlusse an sein altes Stammes¬
gebiet. Doch jedes Zeitalter trägt seine eigenen Aufgaben in sich selbst. Der
Weltkrieg als Wirtschaftskrieg muß auch die entsprechenden wirtschaftlichen Folgen
nach sich ziehen.

Doch nicht auf uns allein find wir in Gegenwart und Zukunft beschränkt.
Von Antwerpen und Hamburg, von Liban und Wilna nach Syrien und
Mesopotamien erstreckt sich das große Festlandsgebiet eines einheitlichen politischen
Systems, das sich an das deutsch-österreichische Bündnis anschließt, und für das
dauernde politische Formen gefunden werden müssen. Daß diese Einigung nicht
auf das politisch-militärische Gebiet beschränkt sein kann, ist die allgemeine Über¬
zeugung. Schon werden die vorbereitenden Schritte getan, um wenigstens
Zwischen Deutschland und Österreich eine zollpolitische und wirtschaftliche Einigung
herbeizuführen. Ist hier erst ein einheitliches Wirtschaftsgebiet geschaffen, so
wird sich dessen Anziehungskraft bald als stark genug erweisen, um auch die
anderen Verbündeten nachzuziehen. Damit ergibt sich ein neues Kontinental¬
system, nicht bloß wie das Napoleons negativ abwehrend gegen England, sondern
positiv schöpferisch als gewaltige Wirtschaftseinheit, deren Erzeugnisse sich wechsel¬
seitig ergänzen und durchgingen. Es ist der ideale geschlossene Handelsstaat,
der das weitere Ausland gar nicht mehr nötig hat.

Nur den deutschen Militarismus wollten Deutschlands Feinde angeblich
bekämpfen, das alte Deutschland Goethes und Schillers mit seinem Idealismus
wieder herstellen. Nun, einer der glänzendsten Vertreter des deutschen Idealismus
war einst Fichte. Jetzt erst fallen seine Gedanken auf fruchtbaren Boden.
Namens des deutschen Idealismus, wie ihn einst Fichte vertreten, fordert
Deutschland seine natürlichen Grenzen nach Ost und West zur Selbstgenügsamkeit
des deutschen Volkes und Reiches. Und als geschlossener Handelsstaat hat es
künftig die Aufgabe zu lösen, in einem neuen gewaltigen Kontinentalsystem des
Friedens die englische Handelsherrschast zu brechen. Daß diese Forderungen
gerade nicht dem neuen, als militärisch verschrieenen Deutschland, sondern dem
von England so gepriesenen alten Deutschland der Dichter und Denker ent¬
stammen, erwachsen sind auf dem Boden des deutschen Idealismus, das ist eine
der seltsamsten Wendungen der Weltgeschichte.




Grenzboten I 1910W
Der geschlossene Handelsstaat Achtes

erlauben kann. Die beste Kolonie, die Deutschland je erworben, war jenes
Ostelbien, auf dem jetzt ein Drittel deutschen Volkstums und deutscher Staats¬
macht beruht. Jene Kolonisation war vorbildlich für die Erwerbung neuer
Anstedlungs- und Ackerbaugebiete des deutschen Volkes, mit dessen Stammlanden
sie jetzt eng verschmolzen sind. Für jene Zeit das gelungene Streben nach
Selbstgenügsamkeit des deutschen Volkes im Anschlusse an sein altes Stammes¬
gebiet. Doch jedes Zeitalter trägt seine eigenen Aufgaben in sich selbst. Der
Weltkrieg als Wirtschaftskrieg muß auch die entsprechenden wirtschaftlichen Folgen
nach sich ziehen.

Doch nicht auf uns allein find wir in Gegenwart und Zukunft beschränkt.
Von Antwerpen und Hamburg, von Liban und Wilna nach Syrien und
Mesopotamien erstreckt sich das große Festlandsgebiet eines einheitlichen politischen
Systems, das sich an das deutsch-österreichische Bündnis anschließt, und für das
dauernde politische Formen gefunden werden müssen. Daß diese Einigung nicht
auf das politisch-militärische Gebiet beschränkt sein kann, ist die allgemeine Über¬
zeugung. Schon werden die vorbereitenden Schritte getan, um wenigstens
Zwischen Deutschland und Österreich eine zollpolitische und wirtschaftliche Einigung
herbeizuführen. Ist hier erst ein einheitliches Wirtschaftsgebiet geschaffen, so
wird sich dessen Anziehungskraft bald als stark genug erweisen, um auch die
anderen Verbündeten nachzuziehen. Damit ergibt sich ein neues Kontinental¬
system, nicht bloß wie das Napoleons negativ abwehrend gegen England, sondern
positiv schöpferisch als gewaltige Wirtschaftseinheit, deren Erzeugnisse sich wechsel¬
seitig ergänzen und durchgingen. Es ist der ideale geschlossene Handelsstaat,
der das weitere Ausland gar nicht mehr nötig hat.

Nur den deutschen Militarismus wollten Deutschlands Feinde angeblich
bekämpfen, das alte Deutschland Goethes und Schillers mit seinem Idealismus
wieder herstellen. Nun, einer der glänzendsten Vertreter des deutschen Idealismus
war einst Fichte. Jetzt erst fallen seine Gedanken auf fruchtbaren Boden.
Namens des deutschen Idealismus, wie ihn einst Fichte vertreten, fordert
Deutschland seine natürlichen Grenzen nach Ost und West zur Selbstgenügsamkeit
des deutschen Volkes und Reiches. Und als geschlossener Handelsstaat hat es
künftig die Aufgabe zu lösen, in einem neuen gewaltigen Kontinentalsystem des
Friedens die englische Handelsherrschast zu brechen. Daß diese Forderungen
gerade nicht dem neuen, als militärisch verschrieenen Deutschland, sondern dem
von England so gepriesenen alten Deutschland der Dichter und Denker ent¬
stammen, erwachsen sind auf dem Boden des deutschen Idealismus, das ist eine
der seltsamsten Wendungen der Weltgeschichte.




Grenzboten I 1910W
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[0349] Der geschlossene Handelsstaat Achtes erlauben kann. Die beste Kolonie, die Deutschland je erworben, war jenes Ostelbien, auf dem jetzt ein Drittel deutschen Volkstums und deutscher Staats¬ macht beruht. Jene Kolonisation war vorbildlich für die Erwerbung neuer Anstedlungs- und Ackerbaugebiete des deutschen Volkes, mit dessen Stammlanden sie jetzt eng verschmolzen sind. Für jene Zeit das gelungene Streben nach Selbstgenügsamkeit des deutschen Volkes im Anschlusse an sein altes Stammes¬ gebiet. Doch jedes Zeitalter trägt seine eigenen Aufgaben in sich selbst. Der Weltkrieg als Wirtschaftskrieg muß auch die entsprechenden wirtschaftlichen Folgen nach sich ziehen. Doch nicht auf uns allein find wir in Gegenwart und Zukunft beschränkt. Von Antwerpen und Hamburg, von Liban und Wilna nach Syrien und Mesopotamien erstreckt sich das große Festlandsgebiet eines einheitlichen politischen Systems, das sich an das deutsch-österreichische Bündnis anschließt, und für das dauernde politische Formen gefunden werden müssen. Daß diese Einigung nicht auf das politisch-militärische Gebiet beschränkt sein kann, ist die allgemeine Über¬ zeugung. Schon werden die vorbereitenden Schritte getan, um wenigstens Zwischen Deutschland und Österreich eine zollpolitische und wirtschaftliche Einigung herbeizuführen. Ist hier erst ein einheitliches Wirtschaftsgebiet geschaffen, so wird sich dessen Anziehungskraft bald als stark genug erweisen, um auch die anderen Verbündeten nachzuziehen. Damit ergibt sich ein neues Kontinental¬ system, nicht bloß wie das Napoleons negativ abwehrend gegen England, sondern positiv schöpferisch als gewaltige Wirtschaftseinheit, deren Erzeugnisse sich wechsel¬ seitig ergänzen und durchgingen. Es ist der ideale geschlossene Handelsstaat, der das weitere Ausland gar nicht mehr nötig hat. Nur den deutschen Militarismus wollten Deutschlands Feinde angeblich bekämpfen, das alte Deutschland Goethes und Schillers mit seinem Idealismus wieder herstellen. Nun, einer der glänzendsten Vertreter des deutschen Idealismus war einst Fichte. Jetzt erst fallen seine Gedanken auf fruchtbaren Boden. Namens des deutschen Idealismus, wie ihn einst Fichte vertreten, fordert Deutschland seine natürlichen Grenzen nach Ost und West zur Selbstgenügsamkeit des deutschen Volkes und Reiches. Und als geschlossener Handelsstaat hat es künftig die Aufgabe zu lösen, in einem neuen gewaltigen Kontinentalsystem des Friedens die englische Handelsherrschast zu brechen. Daß diese Forderungen gerade nicht dem neuen, als militärisch verschrieenen Deutschland, sondern dem von England so gepriesenen alten Deutschland der Dichter und Denker ent¬ stammen, erwachsen sind auf dem Boden des deutschen Idealismus, das ist eine der seltsamsten Wendungen der Weltgeschichte. Grenzboten I 1910W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/349>, abgerufen am 15.01.2025.