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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der geschlossene Handelsstaat Lichtes

Ehrbarkeit des Jdealstaates behauptet, dagegen auf seine unmittelbare praktische
Durchführung verzichtet.

Wie sieht nun dieser Idealstaat aus?

Wie den Staat überhaupt, so führt Fichte auch die einzelnen Rechts¬
einrichtungen auf Vertrag zurück. Das gilt insbesondere von dem Eigentums¬
rechte. Es beruht auf einem Vertrage aller mit allen, daß jeder das Recht
hat, von seiner Arbeit leben zu können. Denn leben zu können, ist das absolute
unveräußerliche Eigentum jedes Menschen. Dies muß die Staatsverfassung dem
Menschen gewährleisten. Zu diesem Zweck hat der Staat die Menschen auf
die einzelnen Berufsklassen zu verteilen, so daß es weder Arme noch Müßig¬
gänger gibt. Bei dem gleichen Ansprüche aller Menschen, leben zu können,
setzt der Staat jeden in sein Eigentum ein und weist ihm einen bestimmten
Beruf zu. Der Stand der Erzeuger erhält das ausschließliche Recht, Erzeugnisse
der Natur zu gewinnen, der Stand der Künstler, diese Erzeugnisse zu verarbeiten,
und der Stand der Kaufleute, zwischen den beiden ersten Ständen den Verkehr
zu vermitteln. Der Staat muß die Bürger, dem Bedürfnisse entsprechend, auf
die einzelnen Stände verteilen und die Preise so festsetzen, daß jeder seinen
gerechten Lohn erhält. Der Verkehr mit dem Auslande ist verboten und wird
im Bedarfsfalle nur von der Regierung bewirkt. Da der wirtschaftliche Verkehr
sich somit nur innerhalb des Staates vollzieht, kann der Staat zu Gelde machen,
schlechthin was er will, wenn er es nur selbst als Geld annimmt und gegen
Nachahmung schützt. Das Weltgeld, Gold und Silber, wird abgeschafft, da es
keinen Sinn mehr hat. Während die Gütererzeugung im einzelnen geregelt ist,
kann jeder mit seinem Gelde, dem Ertrage seiner Arbeit, machen, was er will,
es besteht volle Freiheit im Güterverbrauche. Nur Reisen ins Ausland sind
grundsätzlich untersagt, es sei denn für Gelehrte und höhere Künstler, niemals
aber zur Befriedigung der müßigen Neugier und Zerstreuungssucht.

Im Gegensatz zu dieser vernunftgemäß geforderten Ordnung der Dinge
bildeten -- anders als die strenger geschiedenen Völker des Altertums -- die
Völker des neuen christlichen Europa, geeint durch gemeinsame Kultur, gewisser¬
maßen einen einzigen großen Handelsstaat. Das komme daher, weil die Staaten
sich erst allmählich aus dem Urchaos heraus entwickelt hätten. Diese Entwick¬
lung sei aber noch eine unvollkommene; so sei der gemeinsame Handelsverkehr
mit dem gemeinsamen Tauschmittel von Gold- und Silbergeld geblieben. Mit
Abschluß der staatlichen Entwicklung müsse jeder Staat ein geschlossener Handels¬
staat werden. Denn mangels einer einheitlichen Obrigkeit, die dem einzelnen
seine wirtschaftliche Stellung anweisen und das Wirtschaftsleben organisieren
könne, wolle jetzt jeder den anderen so viel als möglich für sich arbeiten lassen
und dagegen so wenig wie möglich für ihn arbeiten. Es entstehe damit ein
endloser Wirtschaftskrieg aller gegen alle, bei dem keinem für die Fortdauer
seiner Arbeit Gewähr geleistet sei. Andererseits müßten die Regierungen diesen
Kampf von Volk zu Volk befördern, um dadurch den Begriff des National-


Der geschlossene Handelsstaat Lichtes

Ehrbarkeit des Jdealstaates behauptet, dagegen auf seine unmittelbare praktische
Durchführung verzichtet.

Wie sieht nun dieser Idealstaat aus?

Wie den Staat überhaupt, so führt Fichte auch die einzelnen Rechts¬
einrichtungen auf Vertrag zurück. Das gilt insbesondere von dem Eigentums¬
rechte. Es beruht auf einem Vertrage aller mit allen, daß jeder das Recht
hat, von seiner Arbeit leben zu können. Denn leben zu können, ist das absolute
unveräußerliche Eigentum jedes Menschen. Dies muß die Staatsverfassung dem
Menschen gewährleisten. Zu diesem Zweck hat der Staat die Menschen auf
die einzelnen Berufsklassen zu verteilen, so daß es weder Arme noch Müßig¬
gänger gibt. Bei dem gleichen Ansprüche aller Menschen, leben zu können,
setzt der Staat jeden in sein Eigentum ein und weist ihm einen bestimmten
Beruf zu. Der Stand der Erzeuger erhält das ausschließliche Recht, Erzeugnisse
der Natur zu gewinnen, der Stand der Künstler, diese Erzeugnisse zu verarbeiten,
und der Stand der Kaufleute, zwischen den beiden ersten Ständen den Verkehr
zu vermitteln. Der Staat muß die Bürger, dem Bedürfnisse entsprechend, auf
die einzelnen Stände verteilen und die Preise so festsetzen, daß jeder seinen
gerechten Lohn erhält. Der Verkehr mit dem Auslande ist verboten und wird
im Bedarfsfalle nur von der Regierung bewirkt. Da der wirtschaftliche Verkehr
sich somit nur innerhalb des Staates vollzieht, kann der Staat zu Gelde machen,
schlechthin was er will, wenn er es nur selbst als Geld annimmt und gegen
Nachahmung schützt. Das Weltgeld, Gold und Silber, wird abgeschafft, da es
keinen Sinn mehr hat. Während die Gütererzeugung im einzelnen geregelt ist,
kann jeder mit seinem Gelde, dem Ertrage seiner Arbeit, machen, was er will,
es besteht volle Freiheit im Güterverbrauche. Nur Reisen ins Ausland sind
grundsätzlich untersagt, es sei denn für Gelehrte und höhere Künstler, niemals
aber zur Befriedigung der müßigen Neugier und Zerstreuungssucht.

Im Gegensatz zu dieser vernunftgemäß geforderten Ordnung der Dinge
bildeten — anders als die strenger geschiedenen Völker des Altertums — die
Völker des neuen christlichen Europa, geeint durch gemeinsame Kultur, gewisser¬
maßen einen einzigen großen Handelsstaat. Das komme daher, weil die Staaten
sich erst allmählich aus dem Urchaos heraus entwickelt hätten. Diese Entwick¬
lung sei aber noch eine unvollkommene; so sei der gemeinsame Handelsverkehr
mit dem gemeinsamen Tauschmittel von Gold- und Silbergeld geblieben. Mit
Abschluß der staatlichen Entwicklung müsse jeder Staat ein geschlossener Handels¬
staat werden. Denn mangels einer einheitlichen Obrigkeit, die dem einzelnen
seine wirtschaftliche Stellung anweisen und das Wirtschaftsleben organisieren
könne, wolle jetzt jeder den anderen so viel als möglich für sich arbeiten lassen
und dagegen so wenig wie möglich für ihn arbeiten. Es entstehe damit ein
endloser Wirtschaftskrieg aller gegen alle, bei dem keinem für die Fortdauer
seiner Arbeit Gewähr geleistet sei. Andererseits müßten die Regierungen diesen
Kampf von Volk zu Volk befördern, um dadurch den Begriff des National-


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[0343] Der geschlossene Handelsstaat Lichtes Ehrbarkeit des Jdealstaates behauptet, dagegen auf seine unmittelbare praktische Durchführung verzichtet. Wie sieht nun dieser Idealstaat aus? Wie den Staat überhaupt, so führt Fichte auch die einzelnen Rechts¬ einrichtungen auf Vertrag zurück. Das gilt insbesondere von dem Eigentums¬ rechte. Es beruht auf einem Vertrage aller mit allen, daß jeder das Recht hat, von seiner Arbeit leben zu können. Denn leben zu können, ist das absolute unveräußerliche Eigentum jedes Menschen. Dies muß die Staatsverfassung dem Menschen gewährleisten. Zu diesem Zweck hat der Staat die Menschen auf die einzelnen Berufsklassen zu verteilen, so daß es weder Arme noch Müßig¬ gänger gibt. Bei dem gleichen Ansprüche aller Menschen, leben zu können, setzt der Staat jeden in sein Eigentum ein und weist ihm einen bestimmten Beruf zu. Der Stand der Erzeuger erhält das ausschließliche Recht, Erzeugnisse der Natur zu gewinnen, der Stand der Künstler, diese Erzeugnisse zu verarbeiten, und der Stand der Kaufleute, zwischen den beiden ersten Ständen den Verkehr zu vermitteln. Der Staat muß die Bürger, dem Bedürfnisse entsprechend, auf die einzelnen Stände verteilen und die Preise so festsetzen, daß jeder seinen gerechten Lohn erhält. Der Verkehr mit dem Auslande ist verboten und wird im Bedarfsfalle nur von der Regierung bewirkt. Da der wirtschaftliche Verkehr sich somit nur innerhalb des Staates vollzieht, kann der Staat zu Gelde machen, schlechthin was er will, wenn er es nur selbst als Geld annimmt und gegen Nachahmung schützt. Das Weltgeld, Gold und Silber, wird abgeschafft, da es keinen Sinn mehr hat. Während die Gütererzeugung im einzelnen geregelt ist, kann jeder mit seinem Gelde, dem Ertrage seiner Arbeit, machen, was er will, es besteht volle Freiheit im Güterverbrauche. Nur Reisen ins Ausland sind grundsätzlich untersagt, es sei denn für Gelehrte und höhere Künstler, niemals aber zur Befriedigung der müßigen Neugier und Zerstreuungssucht. Im Gegensatz zu dieser vernunftgemäß geforderten Ordnung der Dinge bildeten — anders als die strenger geschiedenen Völker des Altertums — die Völker des neuen christlichen Europa, geeint durch gemeinsame Kultur, gewisser¬ maßen einen einzigen großen Handelsstaat. Das komme daher, weil die Staaten sich erst allmählich aus dem Urchaos heraus entwickelt hätten. Diese Entwick¬ lung sei aber noch eine unvollkommene; so sei der gemeinsame Handelsverkehr mit dem gemeinsamen Tauschmittel von Gold- und Silbergeld geblieben. Mit Abschluß der staatlichen Entwicklung müsse jeder Staat ein geschlossener Handels¬ staat werden. Denn mangels einer einheitlichen Obrigkeit, die dem einzelnen seine wirtschaftliche Stellung anweisen und das Wirtschaftsleben organisieren könne, wolle jetzt jeder den anderen so viel als möglich für sich arbeiten lassen und dagegen so wenig wie möglich für ihn arbeiten. Es entstehe damit ein endloser Wirtschaftskrieg aller gegen alle, bei dem keinem für die Fortdauer seiner Arbeit Gewähr geleistet sei. Andererseits müßten die Regierungen diesen Kampf von Volk zu Volk befördern, um dadurch den Begriff des National-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/343>, abgerufen am 15.01.2025.