Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Rocilitionskrieg Milder könnte man sich über die "gelegentlichen" Meinungsverschiedenheiten Angenommen, es wäre den Engländern und Franzosen geglückt, den Russen Rocilitionskrieg Milder könnte man sich über die „gelegentlichen" Meinungsverschiedenheiten Angenommen, es wäre den Engländern und Franzosen geglückt, den Russen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329979"/> <fw type="header" place="top"> Rocilitionskrieg</fw><lb/> <p xml:id="ID_1025"> Milder könnte man sich über die „gelegentlichen" Meinungsverschiedenheiten<lb/> unserer Feinde nicht ausdrücken, zumal wenn man an die wenig schmeichelhaften<lb/> Äußerungen der italienischen Presse über das verbündete England nach dem<lb/> Falle Montenegros denkt. Auch die vielgerühmte Einigkeit über das Kriegsziel<lb/> besteht offenbar nicht. Nur so wenigstens läßt es sich erklären, warum Sir<lb/> Edward Grey sich genötigt fühlte, dem deutschen Botschafter in London, Fürsten<lb/> Lichnowsky. bei seiner Abreise anzudeuten, daß England im Falle eines russischen<lb/> Sieges Deutschland vor einem zu tiefen Sturze bewahren wolle. Es ist ja<lb/> alles so ganz anders gekommen, als man es bei unseren Feinden erwartet hat!<lb/> Wie die Dinge jetzt für die Entente liegen, läßt sich allerdings insofern von<lb/> einem einheitlichen Kriegsziele sprechen, als sie ohne Ausnahme von demselben<lb/> unerreichten Wunsche beseelt sind, endlich aus der Defensive in die Offensive<lb/> überzugehen und ihre Feinde zu besiegen. Darüber hinaus aber kann von<lb/> Einheitlichkeit nicht die Rede sein. Wenn die Vierverbandsmächte einige große<lb/> Siege erkämpften und gezwungen wären, sich darüber ins Reine zu kommen,<lb/> was nach dem schließlichen Triumphe, von dem ihre Zeitungen rives immer<lb/> schwärmen, zu geschehen hätte, so würde die Welt vielleicht ein ähnliches<lb/> Schauspiel erleben, wie nach der Besiegung der Türkei durch die Balkan--<lb/> Staaten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1026" next="#ID_1027"> Angenommen, es wäre den Engländern und Franzosen geglückt, den Russen<lb/> Konstantinopel zu erobern. Was für eine Unmasse von politischen Problemen<lb/> unangenehmster Sorte hätte sich daraus ergeben! England hätte seinen östlichen<lb/> Verbündeten in der europäischen Türkei nicht so ohne Weiteres wirtschaften<lb/> lassen können, wie er wollte, und hätte ihm vermutlich durch Besetzung der<lb/> Dardanellen einen Dämpfer aufgesetzt. Unter diesen Umständen wäre die ohne¬<lb/> hin nicht sehr fest begründete Freundschaft zwischen den beiden Ländern sicher<lb/> sehr bald zu Ende gewesen. Mehr noch als die Rivalität zwischen Nußland<lb/> und England hat der Abfall Italiens vom Dreibünde und sein Beitritt zur<lb/> Entente Konfliktsmöglichkeiten geschaffen. Die italienische Politik, welche in den<lb/> letzten Jahren die Adria als italienisches Binnenmeer, „it mare nostro", be¬<lb/> trachtet hat, verfolgt am Balkan Ziele, die sich mit der ursprünglichen Balkan-<lb/> Politik der Entente ganz und gar nicht vereinbaren lassen. Der bekannte<lb/> Publizist, Sir Arthur Evans hat in einem vielbesprochenen Artikel im „Manchester<lb/> Guardian" darauf hingewiesen. Er hat das Debacle, welches die Entente am<lb/> Balkan erlebte, zum Teil diesen einander widerstreitenden Interessen zugeschrieben<lb/> und England vorgeworfen, daß es in seinen Abmachungen mit Italien bedeutende<lb/> slawische Gebiete den Italienern ausgeliefert und sich dadurch viele Slawen,<lb/> die früher ihre Hoffnungen auf die Entente gesetzt hatten, entfremdet habe.<lb/> Die Italiener hätten nach Sir Arthur Evans Montenegro leicht retten können,<lb/> wenn es ihnen ernstlich darum zu tun gewesen wäre. Aber sie hätten es<lb/> vorgezogen, Valona zu besetzen nach dem Grundsatze, daß der Sperling in der<lb/> Hand besser sei als die Taube auf dem Dach. Man steht, daß der „Daily</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Rocilitionskrieg
Milder könnte man sich über die „gelegentlichen" Meinungsverschiedenheiten
unserer Feinde nicht ausdrücken, zumal wenn man an die wenig schmeichelhaften
Äußerungen der italienischen Presse über das verbündete England nach dem
Falle Montenegros denkt. Auch die vielgerühmte Einigkeit über das Kriegsziel
besteht offenbar nicht. Nur so wenigstens läßt es sich erklären, warum Sir
Edward Grey sich genötigt fühlte, dem deutschen Botschafter in London, Fürsten
Lichnowsky. bei seiner Abreise anzudeuten, daß England im Falle eines russischen
Sieges Deutschland vor einem zu tiefen Sturze bewahren wolle. Es ist ja
alles so ganz anders gekommen, als man es bei unseren Feinden erwartet hat!
Wie die Dinge jetzt für die Entente liegen, läßt sich allerdings insofern von
einem einheitlichen Kriegsziele sprechen, als sie ohne Ausnahme von demselben
unerreichten Wunsche beseelt sind, endlich aus der Defensive in die Offensive
überzugehen und ihre Feinde zu besiegen. Darüber hinaus aber kann von
Einheitlichkeit nicht die Rede sein. Wenn die Vierverbandsmächte einige große
Siege erkämpften und gezwungen wären, sich darüber ins Reine zu kommen,
was nach dem schließlichen Triumphe, von dem ihre Zeitungen rives immer
schwärmen, zu geschehen hätte, so würde die Welt vielleicht ein ähnliches
Schauspiel erleben, wie nach der Besiegung der Türkei durch die Balkan--
Staaten.
Angenommen, es wäre den Engländern und Franzosen geglückt, den Russen
Konstantinopel zu erobern. Was für eine Unmasse von politischen Problemen
unangenehmster Sorte hätte sich daraus ergeben! England hätte seinen östlichen
Verbündeten in der europäischen Türkei nicht so ohne Weiteres wirtschaften
lassen können, wie er wollte, und hätte ihm vermutlich durch Besetzung der
Dardanellen einen Dämpfer aufgesetzt. Unter diesen Umständen wäre die ohne¬
hin nicht sehr fest begründete Freundschaft zwischen den beiden Ländern sicher
sehr bald zu Ende gewesen. Mehr noch als die Rivalität zwischen Nußland
und England hat der Abfall Italiens vom Dreibünde und sein Beitritt zur
Entente Konfliktsmöglichkeiten geschaffen. Die italienische Politik, welche in den
letzten Jahren die Adria als italienisches Binnenmeer, „it mare nostro", be¬
trachtet hat, verfolgt am Balkan Ziele, die sich mit der ursprünglichen Balkan-
Politik der Entente ganz und gar nicht vereinbaren lassen. Der bekannte
Publizist, Sir Arthur Evans hat in einem vielbesprochenen Artikel im „Manchester
Guardian" darauf hingewiesen. Er hat das Debacle, welches die Entente am
Balkan erlebte, zum Teil diesen einander widerstreitenden Interessen zugeschrieben
und England vorgeworfen, daß es in seinen Abmachungen mit Italien bedeutende
slawische Gebiete den Italienern ausgeliefert und sich dadurch viele Slawen,
die früher ihre Hoffnungen auf die Entente gesetzt hatten, entfremdet habe.
Die Italiener hätten nach Sir Arthur Evans Montenegro leicht retten können,
wenn es ihnen ernstlich darum zu tun gewesen wäre. Aber sie hätten es
vorgezogen, Valona zu besetzen nach dem Grundsatze, daß der Sperling in der
Hand besser sei als die Taube auf dem Dach. Man steht, daß der „Daily
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