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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der internationale Gedanke

Kulturarbeit leisten, sie aber nicht als Objekte eines undeutschen chauvinistischen
Weltherrschaftsdünkels mißbrauchen.

Wenn wir nach dem Kriege zu solcher praktischen internationalen Kultur¬
arbeit berufen sind, dann werden hoffentlich aus unserem Geistesleben die letzten
Reste jenes "uferlosen" Internationalismus der Aufklärung und der Demokratie
des neunzehnten Jahrhunderts verschwinden. Möge der weltbürgerliche Gedanke
dafür ans seinen bodenständigen älteren Formen die brauchbaren Ideale wieder
übernehmen! Sollte, wie wir hoffen, aus den beiden Zentralmächten Deutschland
und Österreich-Ungarn ein dauernder Verband irgendwelcher Art erwachsen, so
haben wir ja wieder in Wirklichkeit eine solche übernationale Organisation, wie
sie das Römische Reich und die katholische Konkordanz in sonst natürlich ganz
unvergleichbaren Formen für ihre Zeiten gewesen sind. Dann braucht unsere
internationale Sehnsucht nicht mehr in die Ferne zu schweifen. Mitteleuropa
ist dann ihr Gebiet, wo sie Kultur- und Vereinigungsarbeit genug leisten kann,
und doch auch wieder Grenzen hat, die jede Wirklichkeitsarbeit braucht. Vielleicht
schließen sich mit der Zeit noch mehr Staaten dem mitteleuropäischen Verbände
an. Dann wird der Raum umso weiter und die Arbeit umso größer und für
die Menschheit wichtiger.

Einen Raum aber, einen bestimmten Raum für unsern internationalen
Gedanken soll uns der Krieg vor allem geben, damit wir eine wirkliche und
faßbare "Menschheit" vor uns haben, nicht mehr jenes Gedankending, das vor
dem Kriege beinahe unserer nationalen Zukunft gefährlich zu werden drohte.
Wir wollen uns nicht mehr vor lauter weltbürgerlichen Pflichtgefühl für englische
Interessen ins Zeug legen, sondern in unserem eigenen Raum auf dieser Erde
für die Völker arbeiten, die unsere Freunde sind, die ihr Blut mit unserem zu¬
sammen vergossen haben. Hier, ihr Sozialisten und Demokraten, habt ihr eine
Möglichkeit, eine internationale Solidarität zu begründen, die nicht in den nebel¬
haften Fernen des bloßen Gedankens und Wunsches verschwindet! Und, ihr
Katholiken, sollte, wie das Bündnis mit der Türkei und Bulgarien uns hoffen
läßt, der deutsche Kulturgedanke im Orient dauernd Einfluß gewinnen, so ist die
Möglichkeit nicht von der Hand'zu weisen, daß die römische Kirche die verlorene
Verbindung mit den griechischen und orientalischen Christen wiedergewinnen
könnte.

Täuschen die Zeichen der Zeit nicht, so steht für unser Volk die Epoche der
Bewährung vor der Tür. Was der Glaube unserer Besten und oft der Schmerz
unseres Volksgewissens war, das soll jetzt in Wirklichkeit ausgesät werden und
Früchte tragen. Wir sollen wirklich Gelegenheit finden, die Kultur der Erde
über der. Kreis der Nation hinaus zu vermehren und die Menschheit, so viel
an uns ist, vollkommener zu machen. Ein Reich nicht unserer Herrschaft, aber
unserer Arbeit wird uns geschenkt, daß wir nicht mehr mit unserem weltbürger¬
lichen guten Willen Völkern nachzulaufen brauchen, die gar nichts von uus
wissen wollen, sondern denen um so mehr dienen können, die unsere Freundschaft


Der internationale Gedanke

Kulturarbeit leisten, sie aber nicht als Objekte eines undeutschen chauvinistischen
Weltherrschaftsdünkels mißbrauchen.

Wenn wir nach dem Kriege zu solcher praktischen internationalen Kultur¬
arbeit berufen sind, dann werden hoffentlich aus unserem Geistesleben die letzten
Reste jenes „uferlosen" Internationalismus der Aufklärung und der Demokratie
des neunzehnten Jahrhunderts verschwinden. Möge der weltbürgerliche Gedanke
dafür ans seinen bodenständigen älteren Formen die brauchbaren Ideale wieder
übernehmen! Sollte, wie wir hoffen, aus den beiden Zentralmächten Deutschland
und Österreich-Ungarn ein dauernder Verband irgendwelcher Art erwachsen, so
haben wir ja wieder in Wirklichkeit eine solche übernationale Organisation, wie
sie das Römische Reich und die katholische Konkordanz in sonst natürlich ganz
unvergleichbaren Formen für ihre Zeiten gewesen sind. Dann braucht unsere
internationale Sehnsucht nicht mehr in die Ferne zu schweifen. Mitteleuropa
ist dann ihr Gebiet, wo sie Kultur- und Vereinigungsarbeit genug leisten kann,
und doch auch wieder Grenzen hat, die jede Wirklichkeitsarbeit braucht. Vielleicht
schließen sich mit der Zeit noch mehr Staaten dem mitteleuropäischen Verbände
an. Dann wird der Raum umso weiter und die Arbeit umso größer und für
die Menschheit wichtiger.

Einen Raum aber, einen bestimmten Raum für unsern internationalen
Gedanken soll uns der Krieg vor allem geben, damit wir eine wirkliche und
faßbare „Menschheit" vor uns haben, nicht mehr jenes Gedankending, das vor
dem Kriege beinahe unserer nationalen Zukunft gefährlich zu werden drohte.
Wir wollen uns nicht mehr vor lauter weltbürgerlichen Pflichtgefühl für englische
Interessen ins Zeug legen, sondern in unserem eigenen Raum auf dieser Erde
für die Völker arbeiten, die unsere Freunde sind, die ihr Blut mit unserem zu¬
sammen vergossen haben. Hier, ihr Sozialisten und Demokraten, habt ihr eine
Möglichkeit, eine internationale Solidarität zu begründen, die nicht in den nebel¬
haften Fernen des bloßen Gedankens und Wunsches verschwindet! Und, ihr
Katholiken, sollte, wie das Bündnis mit der Türkei und Bulgarien uns hoffen
läßt, der deutsche Kulturgedanke im Orient dauernd Einfluß gewinnen, so ist die
Möglichkeit nicht von der Hand'zu weisen, daß die römische Kirche die verlorene
Verbindung mit den griechischen und orientalischen Christen wiedergewinnen
könnte.

Täuschen die Zeichen der Zeit nicht, so steht für unser Volk die Epoche der
Bewährung vor der Tür. Was der Glaube unserer Besten und oft der Schmerz
unseres Volksgewissens war, das soll jetzt in Wirklichkeit ausgesät werden und
Früchte tragen. Wir sollen wirklich Gelegenheit finden, die Kultur der Erde
über der. Kreis der Nation hinaus zu vermehren und die Menschheit, so viel
an uns ist, vollkommener zu machen. Ein Reich nicht unserer Herrschaft, aber
unserer Arbeit wird uns geschenkt, daß wir nicht mehr mit unserem weltbürger¬
lichen guten Willen Völkern nachzulaufen brauchen, die gar nichts von uus
wissen wollen, sondern denen um so mehr dienen können, die unsere Freundschaft


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[0309] Der internationale Gedanke Kulturarbeit leisten, sie aber nicht als Objekte eines undeutschen chauvinistischen Weltherrschaftsdünkels mißbrauchen. Wenn wir nach dem Kriege zu solcher praktischen internationalen Kultur¬ arbeit berufen sind, dann werden hoffentlich aus unserem Geistesleben die letzten Reste jenes „uferlosen" Internationalismus der Aufklärung und der Demokratie des neunzehnten Jahrhunderts verschwinden. Möge der weltbürgerliche Gedanke dafür ans seinen bodenständigen älteren Formen die brauchbaren Ideale wieder übernehmen! Sollte, wie wir hoffen, aus den beiden Zentralmächten Deutschland und Österreich-Ungarn ein dauernder Verband irgendwelcher Art erwachsen, so haben wir ja wieder in Wirklichkeit eine solche übernationale Organisation, wie sie das Römische Reich und die katholische Konkordanz in sonst natürlich ganz unvergleichbaren Formen für ihre Zeiten gewesen sind. Dann braucht unsere internationale Sehnsucht nicht mehr in die Ferne zu schweifen. Mitteleuropa ist dann ihr Gebiet, wo sie Kultur- und Vereinigungsarbeit genug leisten kann, und doch auch wieder Grenzen hat, die jede Wirklichkeitsarbeit braucht. Vielleicht schließen sich mit der Zeit noch mehr Staaten dem mitteleuropäischen Verbände an. Dann wird der Raum umso weiter und die Arbeit umso größer und für die Menschheit wichtiger. Einen Raum aber, einen bestimmten Raum für unsern internationalen Gedanken soll uns der Krieg vor allem geben, damit wir eine wirkliche und faßbare „Menschheit" vor uns haben, nicht mehr jenes Gedankending, das vor dem Kriege beinahe unserer nationalen Zukunft gefährlich zu werden drohte. Wir wollen uns nicht mehr vor lauter weltbürgerlichen Pflichtgefühl für englische Interessen ins Zeug legen, sondern in unserem eigenen Raum auf dieser Erde für die Völker arbeiten, die unsere Freunde sind, die ihr Blut mit unserem zu¬ sammen vergossen haben. Hier, ihr Sozialisten und Demokraten, habt ihr eine Möglichkeit, eine internationale Solidarität zu begründen, die nicht in den nebel¬ haften Fernen des bloßen Gedankens und Wunsches verschwindet! Und, ihr Katholiken, sollte, wie das Bündnis mit der Türkei und Bulgarien uns hoffen läßt, der deutsche Kulturgedanke im Orient dauernd Einfluß gewinnen, so ist die Möglichkeit nicht von der Hand'zu weisen, daß die römische Kirche die verlorene Verbindung mit den griechischen und orientalischen Christen wiedergewinnen könnte. Täuschen die Zeichen der Zeit nicht, so steht für unser Volk die Epoche der Bewährung vor der Tür. Was der Glaube unserer Besten und oft der Schmerz unseres Volksgewissens war, das soll jetzt in Wirklichkeit ausgesät werden und Früchte tragen. Wir sollen wirklich Gelegenheit finden, die Kultur der Erde über der. Kreis der Nation hinaus zu vermehren und die Menschheit, so viel an uns ist, vollkommener zu machen. Ein Reich nicht unserer Herrschaft, aber unserer Arbeit wird uns geschenkt, daß wir nicht mehr mit unserem weltbürger¬ lichen guten Willen Völkern nachzulaufen brauchen, die gar nichts von uus wissen wollen, sondern denen um so mehr dienen können, die unsere Freundschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/309>, abgerufen am 15.01.2025.