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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Von der deutschen Schrift

in Frankreich gelegentlich. Finnisch, Esthnisch, Lrttauisch werden mit deutscher
Schrift gedruckt; im Polnischen wenigstens volkstümliche Bücher, wie Ausgaben
der Bibel. Daß Dänisch und schwedisch mit deutschen Buchstaben gedruckt
wurden, ist noch nicht so lange her, und bei ersterer Sprache wohl auch noch
heute nicht ganz ungebräuchlich. Noch früher druckte man selbst Latein und
überhaupt alle germanischen und romanischen Sprachen mit deutscher Schrift.
Sind doch deutsche und lateinische Schrift nicht zwei verschiedene Schriften, wie
hebräisch und chinesisch, auch nicht einmal in dem Sinne verschieden, wie griechisch
und russisch. Es handelt sich vielmehr nur um zwei Ausbildungsformen einer
und derselben, sonst genau übereinstimmenden Schrift, einmal in eckiger, sodann
in runder Form. Man könnte z. B. ebensogut der rundschriftlichen Form der
russischen Schrift auch eine eckige, den deutschen Buchstaben entsprechende Form
der nämlichen Schrift zur Seite stellen.

Da aber sagt man uns: ja, wenn deutsche und lateinische Schrift doch auf
dasselbe hinauslaufen, wozu dann der Lärm? Bleiben wir also bei der Schrift,
wie sie die andern auch haben. Aber das ist nur ein Trugschluß; denn einmal
ist gar kein Grund vorhanden, warum wir Deutschen gerade die Schriftform
wählen müssen, die man als lateinische oder Rundschrift bezeichnet. Zwar sagt
z. B. Meyers Konversationslexikon -- dessen Meinungen wir als Wiedergabe
desjenigen gern anführen, was in weiteren Kreisen geglaubt wird -- "in
Deutschland befürworteten im neunzehnten Jahrhundert besonders I. Grimm
und seine Schüler die Annahme der Antiqua statt der gotischen Schrift, und es
wird jene jetzt hauptsächlich in der wissenschaftlichen Literatur, aber häufig auch
schon in der schönen Literatur, ja in der Tagespresse angewendet. Dem Durch-
dringen der Antiqua bei uns steht vielfach das Vorurteil im Wege, als sei die
gotische Schrift von Haus aus eine Eigentümlichkeit der Deutschen gewesen."
Das ist geradezu ein Schulbeispiel eines Zirkelschlusses: "Weil die lateinische
Schrift diejenige der Wissenschaft ist, darum ist sie die allein wissenschaftlich be¬
rechtigte Schrift." Und die Gebrüder Grimm in allen Ehren, aber ihre Ge¬
wohnheit, mit lateinischer Schrift zu schreiben und Hauptwörter klein zu drucken,
war doch schließlich eine Schwäche, wie man sie gelehrten Leuten gerne verzeiht,
die man aber darum doch nicht nachahmen darf. Und wenn man schon Zeugen
anführt, so sollte man sich doch lieber an wirkliche Zeugen halten, die Gründe
angeben können, als an Eideshelfer, die nur ihre Ansicht in die Wag¬
schale werfen. Da sagt nun Kant in seiner Nachschrift zum Streit der
Fakultäten:

"Den Verfasser der Kunst, das menschliche Leben zu verlängern, darf ich
also dazu wohl auffordern, daß er wohlwollend auch darauf bedacht sei, die
Augen der Leser in Schutz zu nehmen . . . Die jetzige Mode will es dagegen
anders, nämlich ... mit lateinischer (wohl gar Kursiv-) Schrift ein Werk
deutschen Inhalts (zu drucken), von welcher Breitkopf mit Grunde sagte, daß
niemand das Lesen derselben solange aushalte, als mit der deutschen."


Von der deutschen Schrift

in Frankreich gelegentlich. Finnisch, Esthnisch, Lrttauisch werden mit deutscher
Schrift gedruckt; im Polnischen wenigstens volkstümliche Bücher, wie Ausgaben
der Bibel. Daß Dänisch und schwedisch mit deutschen Buchstaben gedruckt
wurden, ist noch nicht so lange her, und bei ersterer Sprache wohl auch noch
heute nicht ganz ungebräuchlich. Noch früher druckte man selbst Latein und
überhaupt alle germanischen und romanischen Sprachen mit deutscher Schrift.
Sind doch deutsche und lateinische Schrift nicht zwei verschiedene Schriften, wie
hebräisch und chinesisch, auch nicht einmal in dem Sinne verschieden, wie griechisch
und russisch. Es handelt sich vielmehr nur um zwei Ausbildungsformen einer
und derselben, sonst genau übereinstimmenden Schrift, einmal in eckiger, sodann
in runder Form. Man könnte z. B. ebensogut der rundschriftlichen Form der
russischen Schrift auch eine eckige, den deutschen Buchstaben entsprechende Form
der nämlichen Schrift zur Seite stellen.

Da aber sagt man uns: ja, wenn deutsche und lateinische Schrift doch auf
dasselbe hinauslaufen, wozu dann der Lärm? Bleiben wir also bei der Schrift,
wie sie die andern auch haben. Aber das ist nur ein Trugschluß; denn einmal
ist gar kein Grund vorhanden, warum wir Deutschen gerade die Schriftform
wählen müssen, die man als lateinische oder Rundschrift bezeichnet. Zwar sagt
z. B. Meyers Konversationslexikon — dessen Meinungen wir als Wiedergabe
desjenigen gern anführen, was in weiteren Kreisen geglaubt wird — „in
Deutschland befürworteten im neunzehnten Jahrhundert besonders I. Grimm
und seine Schüler die Annahme der Antiqua statt der gotischen Schrift, und es
wird jene jetzt hauptsächlich in der wissenschaftlichen Literatur, aber häufig auch
schon in der schönen Literatur, ja in der Tagespresse angewendet. Dem Durch-
dringen der Antiqua bei uns steht vielfach das Vorurteil im Wege, als sei die
gotische Schrift von Haus aus eine Eigentümlichkeit der Deutschen gewesen."
Das ist geradezu ein Schulbeispiel eines Zirkelschlusses: „Weil die lateinische
Schrift diejenige der Wissenschaft ist, darum ist sie die allein wissenschaftlich be¬
rechtigte Schrift." Und die Gebrüder Grimm in allen Ehren, aber ihre Ge¬
wohnheit, mit lateinischer Schrift zu schreiben und Hauptwörter klein zu drucken,
war doch schließlich eine Schwäche, wie man sie gelehrten Leuten gerne verzeiht,
die man aber darum doch nicht nachahmen darf. Und wenn man schon Zeugen
anführt, so sollte man sich doch lieber an wirkliche Zeugen halten, die Gründe
angeben können, als an Eideshelfer, die nur ihre Ansicht in die Wag¬
schale werfen. Da sagt nun Kant in seiner Nachschrift zum Streit der
Fakultäten:

„Den Verfasser der Kunst, das menschliche Leben zu verlängern, darf ich
also dazu wohl auffordern, daß er wohlwollend auch darauf bedacht sei, die
Augen der Leser in Schutz zu nehmen . . . Die jetzige Mode will es dagegen
anders, nämlich ... mit lateinischer (wohl gar Kursiv-) Schrift ein Werk
deutschen Inhalts (zu drucken), von welcher Breitkopf mit Grunde sagte, daß
niemand das Lesen derselben solange aushalte, als mit der deutschen."


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[0259] Von der deutschen Schrift in Frankreich gelegentlich. Finnisch, Esthnisch, Lrttauisch werden mit deutscher Schrift gedruckt; im Polnischen wenigstens volkstümliche Bücher, wie Ausgaben der Bibel. Daß Dänisch und schwedisch mit deutschen Buchstaben gedruckt wurden, ist noch nicht so lange her, und bei ersterer Sprache wohl auch noch heute nicht ganz ungebräuchlich. Noch früher druckte man selbst Latein und überhaupt alle germanischen und romanischen Sprachen mit deutscher Schrift. Sind doch deutsche und lateinische Schrift nicht zwei verschiedene Schriften, wie hebräisch und chinesisch, auch nicht einmal in dem Sinne verschieden, wie griechisch und russisch. Es handelt sich vielmehr nur um zwei Ausbildungsformen einer und derselben, sonst genau übereinstimmenden Schrift, einmal in eckiger, sodann in runder Form. Man könnte z. B. ebensogut der rundschriftlichen Form der russischen Schrift auch eine eckige, den deutschen Buchstaben entsprechende Form der nämlichen Schrift zur Seite stellen. Da aber sagt man uns: ja, wenn deutsche und lateinische Schrift doch auf dasselbe hinauslaufen, wozu dann der Lärm? Bleiben wir also bei der Schrift, wie sie die andern auch haben. Aber das ist nur ein Trugschluß; denn einmal ist gar kein Grund vorhanden, warum wir Deutschen gerade die Schriftform wählen müssen, die man als lateinische oder Rundschrift bezeichnet. Zwar sagt z. B. Meyers Konversationslexikon — dessen Meinungen wir als Wiedergabe desjenigen gern anführen, was in weiteren Kreisen geglaubt wird — „in Deutschland befürworteten im neunzehnten Jahrhundert besonders I. Grimm und seine Schüler die Annahme der Antiqua statt der gotischen Schrift, und es wird jene jetzt hauptsächlich in der wissenschaftlichen Literatur, aber häufig auch schon in der schönen Literatur, ja in der Tagespresse angewendet. Dem Durch- dringen der Antiqua bei uns steht vielfach das Vorurteil im Wege, als sei die gotische Schrift von Haus aus eine Eigentümlichkeit der Deutschen gewesen." Das ist geradezu ein Schulbeispiel eines Zirkelschlusses: „Weil die lateinische Schrift diejenige der Wissenschaft ist, darum ist sie die allein wissenschaftlich be¬ rechtigte Schrift." Und die Gebrüder Grimm in allen Ehren, aber ihre Ge¬ wohnheit, mit lateinischer Schrift zu schreiben und Hauptwörter klein zu drucken, war doch schließlich eine Schwäche, wie man sie gelehrten Leuten gerne verzeiht, die man aber darum doch nicht nachahmen darf. Und wenn man schon Zeugen anführt, so sollte man sich doch lieber an wirkliche Zeugen halten, die Gründe angeben können, als an Eideshelfer, die nur ihre Ansicht in die Wag¬ schale werfen. Da sagt nun Kant in seiner Nachschrift zum Streit der Fakultäten: „Den Verfasser der Kunst, das menschliche Leben zu verlängern, darf ich also dazu wohl auffordern, daß er wohlwollend auch darauf bedacht sei, die Augen der Leser in Schutz zu nehmen . . . Die jetzige Mode will es dagegen anders, nämlich ... mit lateinischer (wohl gar Kursiv-) Schrift ein Werk deutschen Inhalts (zu drucken), von welcher Breitkopf mit Grunde sagte, daß niemand das Lesen derselben solange aushalte, als mit der deutschen."

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/259>, abgerufen am 15.01.2025.