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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen

die leicht auch für den nichtschuldigen Teil der Bevölkerung verhängnisvoll
werden können.

Es sind auch gleichlautende Berichte, die wir von den verschiedenen Kriegs¬
schauplätzen, von Belgien und Nordfrankreich, von Ostpreußen und Galizien
hören. Die Anklagen sind immer die gleichen: Franktireurkrieg und Grausam¬
keiten. -- Es sind allerdings nur Deutsche, Österreicher und Russen, die Gelegen¬
heit bekamen, in Feindesland zu kämpfen. Wie Franzosen und Engländer sich
benehmen würden, wissen wir nicht. Aber die französischen Revolutionen, von
den Taten Robespierres und der Tricoteuses bis zu den Schrecken der Kommune
1871 sprechen nicht für das Auftreten der Franzosen, wenn ihre Leidenschaften
freien Lauf haben. Und wer den Londoner Mob auf der Deutschenjagd gesehen
hat, ist sich jedenfalls klar darüber, daß die Frage nicht mit der Behauptung
abgewiesen werden kann, England sei eine Nation von Gentlemen! Die Art,
wie die Ereignisse in Ostpreußen in der englischen Presse besprochen wurden,
kann vielleicht auch einen Fingerzeig geben. So wurde z. B. in einer englischen
Zeitung (zitiert nach Harold Platon: "18 it to be ttate"?) gesagt, daß die
Russen eine kleine Stadt besetzt hätten, wo einige der Einwohner in Heuwagen
versteckt auf den Markt gefahren waren und auf die russischen Soldaten geschossen
hätten. Dies war sehr schlimm für sie, fährt das Blatt fort, da die Russen
infolgedessen ,die Stadt unbewohnbar machten'. Das ist ja ganz dieselbe
Geschichte wie in Belgien, -- aber was bei den Deutschen ein himmel¬
schreiendes Verbrechen ist, das wird hier in einer englischen Zeitung als etwas
ganz selbstverständliches hingestellt, weil es die Russen sind, die es getan haben!

Aber noch ein Grund besteht, weshalb die Verbrechen in diesem Kriege
zahlreicher werden mußten als die anderen. Früher bestand ein Krieg in der
Regel aus einer Reihe bestimmt abgesonderter Schlachten in größeren oder
kleineren Zwischenräumen. Die Leidenschaften wurden während der Schlacht
erweckt, aber wenn die Schlacht vorüber war, konnten sie wieder zur Ruhe
kommen. Dieser Krieg dagegen trägt in ungewöhnlichem Grade das Gepräge
eines andauernden Kampfes. Dies gilt nicht am wenigsten für das Eindringen
des deutschen Heeres in Belgien, wo der Krieg nicht nur mit regulären Heeres¬
abteilungen geführt wurde, sondern wo er hauptsächlich ein Guerillakrieg war,
und wo man sich niemals sicher fühlte. Niemals bekamen die Leidenschaften
Zeit, sich zu legen, niemals konnten die Nerven zur Ruhe kommen. Eine un-
unterbrochenen" Wanderung durch Kampf und Tod und Schrecken."




Hiermit sind GadsAusführungen im wesentlichen erschöpft. Der schonungsloser
Verdammung, die er in seinem Schlußwort dem Landsmann Jörgensen zuteil
werden läßt (der übrigens auch sonst in Dänemark vielfach abgelehnt worden
ist), können wir nur beipflichten und müssen es mit ihm bedauern, daß


Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen

die leicht auch für den nichtschuldigen Teil der Bevölkerung verhängnisvoll
werden können.

Es sind auch gleichlautende Berichte, die wir von den verschiedenen Kriegs¬
schauplätzen, von Belgien und Nordfrankreich, von Ostpreußen und Galizien
hören. Die Anklagen sind immer die gleichen: Franktireurkrieg und Grausam¬
keiten. — Es sind allerdings nur Deutsche, Österreicher und Russen, die Gelegen¬
heit bekamen, in Feindesland zu kämpfen. Wie Franzosen und Engländer sich
benehmen würden, wissen wir nicht. Aber die französischen Revolutionen, von
den Taten Robespierres und der Tricoteuses bis zu den Schrecken der Kommune
1871 sprechen nicht für das Auftreten der Franzosen, wenn ihre Leidenschaften
freien Lauf haben. Und wer den Londoner Mob auf der Deutschenjagd gesehen
hat, ist sich jedenfalls klar darüber, daß die Frage nicht mit der Behauptung
abgewiesen werden kann, England sei eine Nation von Gentlemen! Die Art,
wie die Ereignisse in Ostpreußen in der englischen Presse besprochen wurden,
kann vielleicht auch einen Fingerzeig geben. So wurde z. B. in einer englischen
Zeitung (zitiert nach Harold Platon: „18 it to be ttate"?) gesagt, daß die
Russen eine kleine Stadt besetzt hätten, wo einige der Einwohner in Heuwagen
versteckt auf den Markt gefahren waren und auf die russischen Soldaten geschossen
hätten. Dies war sehr schlimm für sie, fährt das Blatt fort, da die Russen
infolgedessen ,die Stadt unbewohnbar machten'. Das ist ja ganz dieselbe
Geschichte wie in Belgien, — aber was bei den Deutschen ein himmel¬
schreiendes Verbrechen ist, das wird hier in einer englischen Zeitung als etwas
ganz selbstverständliches hingestellt, weil es die Russen sind, die es getan haben!

Aber noch ein Grund besteht, weshalb die Verbrechen in diesem Kriege
zahlreicher werden mußten als die anderen. Früher bestand ein Krieg in der
Regel aus einer Reihe bestimmt abgesonderter Schlachten in größeren oder
kleineren Zwischenräumen. Die Leidenschaften wurden während der Schlacht
erweckt, aber wenn die Schlacht vorüber war, konnten sie wieder zur Ruhe
kommen. Dieser Krieg dagegen trägt in ungewöhnlichem Grade das Gepräge
eines andauernden Kampfes. Dies gilt nicht am wenigsten für das Eindringen
des deutschen Heeres in Belgien, wo der Krieg nicht nur mit regulären Heeres¬
abteilungen geführt wurde, sondern wo er hauptsächlich ein Guerillakrieg war,
und wo man sich niemals sicher fühlte. Niemals bekamen die Leidenschaften
Zeit, sich zu legen, niemals konnten die Nerven zur Ruhe kommen. Eine un-
unterbrochenen« Wanderung durch Kampf und Tod und Schrecken."




Hiermit sind GadsAusführungen im wesentlichen erschöpft. Der schonungsloser
Verdammung, die er in seinem Schlußwort dem Landsmann Jörgensen zuteil
werden läßt (der übrigens auch sonst in Dänemark vielfach abgelehnt worden
ist), können wir nur beipflichten und müssen es mit ihm bedauern, daß


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[0257] Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen die leicht auch für den nichtschuldigen Teil der Bevölkerung verhängnisvoll werden können. Es sind auch gleichlautende Berichte, die wir von den verschiedenen Kriegs¬ schauplätzen, von Belgien und Nordfrankreich, von Ostpreußen und Galizien hören. Die Anklagen sind immer die gleichen: Franktireurkrieg und Grausam¬ keiten. — Es sind allerdings nur Deutsche, Österreicher und Russen, die Gelegen¬ heit bekamen, in Feindesland zu kämpfen. Wie Franzosen und Engländer sich benehmen würden, wissen wir nicht. Aber die französischen Revolutionen, von den Taten Robespierres und der Tricoteuses bis zu den Schrecken der Kommune 1871 sprechen nicht für das Auftreten der Franzosen, wenn ihre Leidenschaften freien Lauf haben. Und wer den Londoner Mob auf der Deutschenjagd gesehen hat, ist sich jedenfalls klar darüber, daß die Frage nicht mit der Behauptung abgewiesen werden kann, England sei eine Nation von Gentlemen! Die Art, wie die Ereignisse in Ostpreußen in der englischen Presse besprochen wurden, kann vielleicht auch einen Fingerzeig geben. So wurde z. B. in einer englischen Zeitung (zitiert nach Harold Platon: „18 it to be ttate"?) gesagt, daß die Russen eine kleine Stadt besetzt hätten, wo einige der Einwohner in Heuwagen versteckt auf den Markt gefahren waren und auf die russischen Soldaten geschossen hätten. Dies war sehr schlimm für sie, fährt das Blatt fort, da die Russen infolgedessen ,die Stadt unbewohnbar machten'. Das ist ja ganz dieselbe Geschichte wie in Belgien, — aber was bei den Deutschen ein himmel¬ schreiendes Verbrechen ist, das wird hier in einer englischen Zeitung als etwas ganz selbstverständliches hingestellt, weil es die Russen sind, die es getan haben! Aber noch ein Grund besteht, weshalb die Verbrechen in diesem Kriege zahlreicher werden mußten als die anderen. Früher bestand ein Krieg in der Regel aus einer Reihe bestimmt abgesonderter Schlachten in größeren oder kleineren Zwischenräumen. Die Leidenschaften wurden während der Schlacht erweckt, aber wenn die Schlacht vorüber war, konnten sie wieder zur Ruhe kommen. Dieser Krieg dagegen trägt in ungewöhnlichem Grade das Gepräge eines andauernden Kampfes. Dies gilt nicht am wenigsten für das Eindringen des deutschen Heeres in Belgien, wo der Krieg nicht nur mit regulären Heeres¬ abteilungen geführt wurde, sondern wo er hauptsächlich ein Guerillakrieg war, und wo man sich niemals sicher fühlte. Niemals bekamen die Leidenschaften Zeit, sich zu legen, niemals konnten die Nerven zur Ruhe kommen. Eine un- unterbrochenen« Wanderung durch Kampf und Tod und Schrecken." Hiermit sind GadsAusführungen im wesentlichen erschöpft. Der schonungsloser Verdammung, die er in seinem Schlußwort dem Landsmann Jörgensen zuteil werden läßt (der übrigens auch sonst in Dänemark vielfach abgelehnt worden ist), können wir nur beipflichten und müssen es mit ihm bedauern, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/257>, abgerufen am 15.01.2025.