Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Zukunft des Völkerrechts damit um Jahrhunderte in der Kulturentwicklung zurückschraubten. Inzwischen Ohne daß aber den Völkern der ihnen gebührende Rang beim Zustande¬ 12*
Die Zukunft des Völkerrechts damit um Jahrhunderte in der Kulturentwicklung zurückschraubten. Inzwischen Ohne daß aber den Völkern der ihnen gebührende Rang beim Zustande¬ 12*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329859"/> <fw type="header" place="top"> Die Zukunft des Völkerrechts</fw><lb/> <p xml:id="ID_590" prev="#ID_589"> damit um Jahrhunderte in der Kulturentwicklung zurückschraubten. Inzwischen<lb/> ist der heutige konstitutionelle Staat entstanden, der den absoluten Staat ab¬<lb/> gelöst hat. Beide hat Hugo Grotius noch nicht gekannt. Aber hätte er sie<lb/> auch gekannt, er hätte sein Völkerrecht doch nicht anders definiert als das „zus.<lb/> quoä inter populos aut populorum reLtore^ interLeäit". Und hätte noch<lb/> mehr Nachdruck auf das Recht der Völker gelegt, als auf ein das Völkerrecht<lb/> vermittelnde Herrscher- und Diplomatenrecht. Jetzt, da wir in fast allen Kultur¬<lb/> staaten ein organisiertes Staatsvolk, einen organisierten Volkswillen haben, den<lb/> die Volksvertretung darstellt, jetzt, da sich die Volksheere bewährt haben, wo<lb/> sie bestehen und herbeigesehnt werden, wo sie noch nicht bestehen, jetzt, da an<lb/> der Justiz und in der Verwaltung das Volk in breitem Maße beteiligt ist, da<lb/> ein Volksrecht die festeste Stütze der Staaten im Innern zu werden beginnt,<lb/> jetzt scheint es an der Zeit zu sein, auch der Völker des Völkerrechts zu ge¬<lb/> denken. Denn auch die kraftvolle und segensreiche Fortentwicklung des Völker¬<lb/> rechts seit der Wende des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Weltkriege hatte —<lb/> zum dritten Male in der Weltgeschichte — die Völker vergessen.</p><lb/> <p xml:id="ID_591" next="#ID_592"> Ohne daß aber den Völkern der ihnen gebührende Rang beim Zustande¬<lb/> kommen und bei der Handhabung der Völkerrechtsnormen zugesprochen wird,<lb/> ehe das Staatenrecht, das Herrscherrecht, das Diplomatenrecht zum „Völker"°Recht<lb/> im vollen Sinne des Begriffs geworden ist, kann auch das Völker-„Recht" der<lb/> Zukunft nicht erstehen. Nicht als ob damit ein neuer Gegensatz zwischen<lb/> Herrscher und Volk im einzelnen Staate heraufbeschworen würde, im Gegenteil:<lb/> die neue Entwicklung wird eine völlige Einigung der traditionell-autoritären,<lb/> der im besten Sinne „konservativen", und der freier gerichteten, das Recht der<lb/> Individuen, die den Staat bilden, mehr betonenden, wahrhaft „liberalen"<lb/> Kräfte im Staate herbeiführen. Es wird Wirklichkeit werden, was Bismarck<lb/> einmal zum Ausdruck brachte, als er im Reichstage sagte: Ich verbitte mir<lb/> diese Monopolisierung des Wortes „Volk"; ich gehöre auch zum Volk, und<lb/> Seine Majestät der Kaiser auch. — In diesem freiesten und schönsten Sinne<lb/> soll das Volksganze an der Entwicklung des Völkerrechts teilnehmen und so die<lb/> Entstehung eines „Völker"-Rechtes erst ermöglichen. Wenn nicht alles täuscht,<lb/> wird die wunderbare militärische, politische und wirtschaftliche Einigkeit, die das<lb/> Deutsche Reich schon jetzt als äußerlich aller Welt erkennbare Frucht des Welt¬<lb/> krieges errungen hat, auch bei der Bildung des Völkerrechts der Zukunft aller<lb/> Welt voranleuchten. Es wird der Welt den Frieden diktieren, nicht wie ein<lb/> Cäsar, Diktator oder Imperator, der den Sieg davongetragen hat, sondern als<lb/> Friedensmacht, die den starken Friedenswillen durch die Tat kund tun und der<lb/> Welt zur Verfügung stellen will, — ein lebendiges Beispiel allen Völkern!<lb/> »seltnen est äuellum pacis can8a" und „exempla äocent non verba" wird<lb/> seine Losung sein. Wie es in freiwilliger Selbstbindung als „Volk" im neuen<lb/> und erhabenen Sinne in die Erscheinung treten wird, so wird es auch durch<lb/> kein Beispiel der Völkerrechtswelt ein Bild des sich den anderen Völkern gegen-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 12*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0191]
Die Zukunft des Völkerrechts
damit um Jahrhunderte in der Kulturentwicklung zurückschraubten. Inzwischen
ist der heutige konstitutionelle Staat entstanden, der den absoluten Staat ab¬
gelöst hat. Beide hat Hugo Grotius noch nicht gekannt. Aber hätte er sie
auch gekannt, er hätte sein Völkerrecht doch nicht anders definiert als das „zus.
quoä inter populos aut populorum reLtore^ interLeäit". Und hätte noch
mehr Nachdruck auf das Recht der Völker gelegt, als auf ein das Völkerrecht
vermittelnde Herrscher- und Diplomatenrecht. Jetzt, da wir in fast allen Kultur¬
staaten ein organisiertes Staatsvolk, einen organisierten Volkswillen haben, den
die Volksvertretung darstellt, jetzt, da sich die Volksheere bewährt haben, wo
sie bestehen und herbeigesehnt werden, wo sie noch nicht bestehen, jetzt, da an
der Justiz und in der Verwaltung das Volk in breitem Maße beteiligt ist, da
ein Volksrecht die festeste Stütze der Staaten im Innern zu werden beginnt,
jetzt scheint es an der Zeit zu sein, auch der Völker des Völkerrechts zu ge¬
denken. Denn auch die kraftvolle und segensreiche Fortentwicklung des Völker¬
rechts seit der Wende des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Weltkriege hatte —
zum dritten Male in der Weltgeschichte — die Völker vergessen.
Ohne daß aber den Völkern der ihnen gebührende Rang beim Zustande¬
kommen und bei der Handhabung der Völkerrechtsnormen zugesprochen wird,
ehe das Staatenrecht, das Herrscherrecht, das Diplomatenrecht zum „Völker"°Recht
im vollen Sinne des Begriffs geworden ist, kann auch das Völker-„Recht" der
Zukunft nicht erstehen. Nicht als ob damit ein neuer Gegensatz zwischen
Herrscher und Volk im einzelnen Staate heraufbeschworen würde, im Gegenteil:
die neue Entwicklung wird eine völlige Einigung der traditionell-autoritären,
der im besten Sinne „konservativen", und der freier gerichteten, das Recht der
Individuen, die den Staat bilden, mehr betonenden, wahrhaft „liberalen"
Kräfte im Staate herbeiführen. Es wird Wirklichkeit werden, was Bismarck
einmal zum Ausdruck brachte, als er im Reichstage sagte: Ich verbitte mir
diese Monopolisierung des Wortes „Volk"; ich gehöre auch zum Volk, und
Seine Majestät der Kaiser auch. — In diesem freiesten und schönsten Sinne
soll das Volksganze an der Entwicklung des Völkerrechts teilnehmen und so die
Entstehung eines „Völker"-Rechtes erst ermöglichen. Wenn nicht alles täuscht,
wird die wunderbare militärische, politische und wirtschaftliche Einigkeit, die das
Deutsche Reich schon jetzt als äußerlich aller Welt erkennbare Frucht des Welt¬
krieges errungen hat, auch bei der Bildung des Völkerrechts der Zukunft aller
Welt voranleuchten. Es wird der Welt den Frieden diktieren, nicht wie ein
Cäsar, Diktator oder Imperator, der den Sieg davongetragen hat, sondern als
Friedensmacht, die den starken Friedenswillen durch die Tat kund tun und der
Welt zur Verfügung stellen will, — ein lebendiges Beispiel allen Völkern!
»seltnen est äuellum pacis can8a" und „exempla äocent non verba" wird
seine Losung sein. Wie es in freiwilliger Selbstbindung als „Volk" im neuen
und erhabenen Sinne in die Erscheinung treten wird, so wird es auch durch
kein Beispiel der Völkerrechtswelt ein Bild des sich den anderen Völkern gegen-
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