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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Holland und der englische Wirtschaftskrieg

War hierin schon ein Eingriff Englands in die innere holländische Ver¬
waltung deutlich erkennbar, so trat dies noch offenkundiger in der Häutefrage hervor,
die gleichfalls Ende des Jahres auftauchte. Anfang Dezember 1915 stellte die
holländische Regierung an die holländischen Lederfabrikanten plötzlich das Ansinnen,
sie sollten den Schlächtern 100 000 Häute von in Holland geschlachteten Rindvieh
abkaufen. Wenn sie es nicht tun, so bestehe die Gefahr, daß die überseeische Zufuhr
von Häuten, Leder und Gerbstoffen abgeschnitten werde. Daß England hinter
diesem ungewöhnlichen Vorgehen stand, und dadurch die Ausfuhr der Häute nach
Deutschland verhindern wollte, wurde von der holländischen Regierung direkt
angedeutet. Der Fall zeigt besonders klar, wie England seine Seemacht dazu
auszunutzen sucht, nicht nur den Handel mit überseeischen Einfuhrwaren, sondern
auf dem Umwege über diese auch den Handel mit den eigenen Erzeugnissen
Hollands in seine Gewalt zu bekommen. Es ist daher keineswegs unwahr¬
scheinlich, daß es später seine Hand in gleicher Weise auch noch auf andere
Produkte Hollands legen wird.

Die vorstehende Zusammenstellung macht auf Vollständigkeit keinen Anspruch,
auch beschränkt sie sich auf den Warenverkehr. Es sei daher nebenher darauf
hingewiesen, daß England neuerdings auch die Zufuhr von Gold aus den
Vereinigten Staaten, das nicht an den N. O. T. konsigniert war, abgeschnitten
hat und daß auch der Post- und Passagierverkehr ähnlichen unberechtigten
Eingriffen ausgesetzt war und immer mehr ausgesetzt wird. Trotzdem unterwirft
sich das holländische Volk, das doch früher auf seine Freiheit und Unabhängig¬
keit so ganz besonders stolz war, diesen fortgesetzten Plackereien und Demütigungen
ohne weiteres. Dabei erntet es nicht einmal den Dank der Alliierten. In
der französischen sowohl wie in der englischen Presse wird den Holländern immer
wieder der Vorwurf gewacht, daß sie Deutschland begünstigten und es wird von
ihnen verlangt, sie sollten den Wünschen Englands noch weiter entgegenkommen.
Ist doch sogar der N. O. T., Englands getreuer Diener, im englischen Unterhaus
angegriffen worden. Demgegenüber bleibt Holland dabei, der englischen Anmaßung
stets von neuem nachzugeben, und eine Grenze für diese Nachgiebigkeit ist über¬
haupt uicht abzusehen. Daß Holland sich in einer schwierigen Lage befindet,
ist ja ohne weiteres zuzugeben. Einen Bruch mit England muß es ohne Zweifel
zu vermeiden suchen. Immerhin hätte es vermutlich, wenn es von Anfang an
seinen Standpunkt energisch vertreten hätte, wenn nicht einen gänzlich freien
Verkehr zur See, so doch immerhin eine bessere Stellung einnehmen können,
als diejenige, in die es sich jetzt gedrängt sieht. Nachdem man sich aber einmal
auf die schiefe Bahn der bedingungslosen Nachgiebigkeit begeben hat, und ins¬
besondere, nachdem man den N. O. T. hat so groß werden lassen, daß er
geradezu die Rolle eines Staates im Staate spielt, wird es für Holland immer
schwerer, eine feste Haltung einzunehmen und weitere Zumutungen Englands
zurückzuweisen. Die Furcht vor England scheint alle anderen Erwägungen und
Gefühle aufzuwiegen. Es ist nicht nur die Besorgnis, daß England eines Tages


Holland und der englische Wirtschaftskrieg

War hierin schon ein Eingriff Englands in die innere holländische Ver¬
waltung deutlich erkennbar, so trat dies noch offenkundiger in der Häutefrage hervor,
die gleichfalls Ende des Jahres auftauchte. Anfang Dezember 1915 stellte die
holländische Regierung an die holländischen Lederfabrikanten plötzlich das Ansinnen,
sie sollten den Schlächtern 100 000 Häute von in Holland geschlachteten Rindvieh
abkaufen. Wenn sie es nicht tun, so bestehe die Gefahr, daß die überseeische Zufuhr
von Häuten, Leder und Gerbstoffen abgeschnitten werde. Daß England hinter
diesem ungewöhnlichen Vorgehen stand, und dadurch die Ausfuhr der Häute nach
Deutschland verhindern wollte, wurde von der holländischen Regierung direkt
angedeutet. Der Fall zeigt besonders klar, wie England seine Seemacht dazu
auszunutzen sucht, nicht nur den Handel mit überseeischen Einfuhrwaren, sondern
auf dem Umwege über diese auch den Handel mit den eigenen Erzeugnissen
Hollands in seine Gewalt zu bekommen. Es ist daher keineswegs unwahr¬
scheinlich, daß es später seine Hand in gleicher Weise auch noch auf andere
Produkte Hollands legen wird.

Die vorstehende Zusammenstellung macht auf Vollständigkeit keinen Anspruch,
auch beschränkt sie sich auf den Warenverkehr. Es sei daher nebenher darauf
hingewiesen, daß England neuerdings auch die Zufuhr von Gold aus den
Vereinigten Staaten, das nicht an den N. O. T. konsigniert war, abgeschnitten
hat und daß auch der Post- und Passagierverkehr ähnlichen unberechtigten
Eingriffen ausgesetzt war und immer mehr ausgesetzt wird. Trotzdem unterwirft
sich das holländische Volk, das doch früher auf seine Freiheit und Unabhängig¬
keit so ganz besonders stolz war, diesen fortgesetzten Plackereien und Demütigungen
ohne weiteres. Dabei erntet es nicht einmal den Dank der Alliierten. In
der französischen sowohl wie in der englischen Presse wird den Holländern immer
wieder der Vorwurf gewacht, daß sie Deutschland begünstigten und es wird von
ihnen verlangt, sie sollten den Wünschen Englands noch weiter entgegenkommen.
Ist doch sogar der N. O. T., Englands getreuer Diener, im englischen Unterhaus
angegriffen worden. Demgegenüber bleibt Holland dabei, der englischen Anmaßung
stets von neuem nachzugeben, und eine Grenze für diese Nachgiebigkeit ist über¬
haupt uicht abzusehen. Daß Holland sich in einer schwierigen Lage befindet,
ist ja ohne weiteres zuzugeben. Einen Bruch mit England muß es ohne Zweifel
zu vermeiden suchen. Immerhin hätte es vermutlich, wenn es von Anfang an
seinen Standpunkt energisch vertreten hätte, wenn nicht einen gänzlich freien
Verkehr zur See, so doch immerhin eine bessere Stellung einnehmen können,
als diejenige, in die es sich jetzt gedrängt sieht. Nachdem man sich aber einmal
auf die schiefe Bahn der bedingungslosen Nachgiebigkeit begeben hat, und ins¬
besondere, nachdem man den N. O. T. hat so groß werden lassen, daß er
geradezu die Rolle eines Staates im Staate spielt, wird es für Holland immer
schwerer, eine feste Haltung einzunehmen und weitere Zumutungen Englands
zurückzuweisen. Die Furcht vor England scheint alle anderen Erwägungen und
Gefühle aufzuwiegen. Es ist nicht nur die Besorgnis, daß England eines Tages


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[0178] Holland und der englische Wirtschaftskrieg War hierin schon ein Eingriff Englands in die innere holländische Ver¬ waltung deutlich erkennbar, so trat dies noch offenkundiger in der Häutefrage hervor, die gleichfalls Ende des Jahres auftauchte. Anfang Dezember 1915 stellte die holländische Regierung an die holländischen Lederfabrikanten plötzlich das Ansinnen, sie sollten den Schlächtern 100 000 Häute von in Holland geschlachteten Rindvieh abkaufen. Wenn sie es nicht tun, so bestehe die Gefahr, daß die überseeische Zufuhr von Häuten, Leder und Gerbstoffen abgeschnitten werde. Daß England hinter diesem ungewöhnlichen Vorgehen stand, und dadurch die Ausfuhr der Häute nach Deutschland verhindern wollte, wurde von der holländischen Regierung direkt angedeutet. Der Fall zeigt besonders klar, wie England seine Seemacht dazu auszunutzen sucht, nicht nur den Handel mit überseeischen Einfuhrwaren, sondern auf dem Umwege über diese auch den Handel mit den eigenen Erzeugnissen Hollands in seine Gewalt zu bekommen. Es ist daher keineswegs unwahr¬ scheinlich, daß es später seine Hand in gleicher Weise auch noch auf andere Produkte Hollands legen wird. Die vorstehende Zusammenstellung macht auf Vollständigkeit keinen Anspruch, auch beschränkt sie sich auf den Warenverkehr. Es sei daher nebenher darauf hingewiesen, daß England neuerdings auch die Zufuhr von Gold aus den Vereinigten Staaten, das nicht an den N. O. T. konsigniert war, abgeschnitten hat und daß auch der Post- und Passagierverkehr ähnlichen unberechtigten Eingriffen ausgesetzt war und immer mehr ausgesetzt wird. Trotzdem unterwirft sich das holländische Volk, das doch früher auf seine Freiheit und Unabhängig¬ keit so ganz besonders stolz war, diesen fortgesetzten Plackereien und Demütigungen ohne weiteres. Dabei erntet es nicht einmal den Dank der Alliierten. In der französischen sowohl wie in der englischen Presse wird den Holländern immer wieder der Vorwurf gewacht, daß sie Deutschland begünstigten und es wird von ihnen verlangt, sie sollten den Wünschen Englands noch weiter entgegenkommen. Ist doch sogar der N. O. T., Englands getreuer Diener, im englischen Unterhaus angegriffen worden. Demgegenüber bleibt Holland dabei, der englischen Anmaßung stets von neuem nachzugeben, und eine Grenze für diese Nachgiebigkeit ist über¬ haupt uicht abzusehen. Daß Holland sich in einer schwierigen Lage befindet, ist ja ohne weiteres zuzugeben. Einen Bruch mit England muß es ohne Zweifel zu vermeiden suchen. Immerhin hätte es vermutlich, wenn es von Anfang an seinen Standpunkt energisch vertreten hätte, wenn nicht einen gänzlich freien Verkehr zur See, so doch immerhin eine bessere Stellung einnehmen können, als diejenige, in die es sich jetzt gedrängt sieht. Nachdem man sich aber einmal auf die schiefe Bahn der bedingungslosen Nachgiebigkeit begeben hat, und ins¬ besondere, nachdem man den N. O. T. hat so groß werden lassen, daß er geradezu die Rolle eines Staates im Staate spielt, wird es für Holland immer schwerer, eine feste Haltung einzunehmen und weitere Zumutungen Englands zurückzuweisen. Die Furcht vor England scheint alle anderen Erwägungen und Gefühle aufzuwiegen. Es ist nicht nur die Besorgnis, daß England eines Tages

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/178>, abgerufen am 15.01.2025.