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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Wie kam Frankreich zu Lothringen und dem Glsaß?

Form Luxemburg um. Kein Wunder, daß alles dies bei dem erstarkenden
Frankreich Eroberungsgelüste erweckte.

Die erste Gelegenheit zu deren Befriedigung boten die deutschen Religions¬
kriege des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, in denen das katholische
Frankreich die Protestanten gegen den katholischen Kaiser unterstützte; denn dort
überwogen, anders als damals bei uns, die politischen die religiösen Interessen.
1552 verbündete sich der französische König Heinrich der Zweite heimlich gegen
Kaiser Karl den Fünften mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen, der jenem
gestattete, die Reichsstädte Metz, Toul und Verdun mit Vorbehalt der Rechte
des Reichs zu besetzen. Während nun der Kaiser von Moritz angegriffen
wurde, eroberte der französische König diese drei Reichsstädte und fügte so
einen Teil des westlichen Lothringens zwar nicht rechtlich, aber tatsächlich zu
Frankreich.

Im dreißigjährigen Kriege bot Frankreich dem König von Schweden Hilfs¬
gelder an, um ihn zum Kampf gegen den Kaiser zu veranlassen. Auch Bern¬
hard von Weimar zahlte es jährlich vier Millionen Franken, damit er für sich
das Elsaß eroberte. Außerdem beteiligte sich Frankreich von 1634 an mit einem
eigenen Heer am Krieg gegen den Kaiser. Nach dem Tode Bernhards von
Weimar nahm es auch dessen nur aus Deutschen bestehendes Heer in Sold,
um sich die von diesem in Elsaß gemachten Eroberungen anzueignen. Tat¬
sächlich erhielt Frankreich im Westfälischen Frieden 1648 für die den Protestanten
geleistete Hilfe etwa ein Viertel von diesem deutschen Lande, nämlich den
Sundgau und die Gegend um Hagenau sowie die Landvogtei über zehn elsässische
Reichsstädte und Neichsdörfer, während alle anderen reichsunmittelbaren Gebiete
im Elsaß dem Reiche ollein unterstellt blieben. Außerdem wurden ihm die
Städte und Bistümer Metz, Toul und Verdun nun auch förmlich zugesprochen.

Schon während des Krieges gegen Holland (1672--78) hatte Ludwig der
Vierzehnte die elsässischen Reichsstädte Hagenau, Weißenburg, Landau, Ober-
ebcnheim, Roßheim, Münster, Kaisersberg und Türkheim besetzen lassen, und
1679 trat das Deutsche Reich im Frieden zu Nymwegen sämtliche zehn elsässische
Reichsstädte und Reichsdörfer an Frankreich ab, über die dieses schon 1648 die
Landvogtei bekommen hatte. Um die Besitzungen Frankreichs in Lothringen
und Elsaß weiter zu vermehren, griff Ludwig nun zu dem Mittel der offen¬
baren Rechtsverdrehung und Verletzung des Westfälischen Friedens nicht bloß
dem Sinne, sondern auch dem Wortlaute nach. Er errichtete Neunionskammcrn,
die festzustellen hatten, welche Gebiete zu irgendeiner Zeit zu den 1648 und
1679 an Frankreich gefallenen gehört hatten, und nahm sie dann gewaltsam
in Besitz. Die gesamte Reichsritterschast des Elsaß zwang er zur Huldigung,
wiewohl im Westfälischen Frieden ausdrücklich bestimmt war, daß die reichs¬
unmittelbaren Herrschaften, Abteien und Bistümer sowie die Reichsstadt Stra߬
burg dem Reiche allein unterstellt bleiben sollten. Hinsichtlich dieser Stadt ließ
sich nicht einmal ein Scheingrund finden. Da erklärte Ludwig, durch den


Wie kam Frankreich zu Lothringen und dem Glsaß?

Form Luxemburg um. Kein Wunder, daß alles dies bei dem erstarkenden
Frankreich Eroberungsgelüste erweckte.

Die erste Gelegenheit zu deren Befriedigung boten die deutschen Religions¬
kriege des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, in denen das katholische
Frankreich die Protestanten gegen den katholischen Kaiser unterstützte; denn dort
überwogen, anders als damals bei uns, die politischen die religiösen Interessen.
1552 verbündete sich der französische König Heinrich der Zweite heimlich gegen
Kaiser Karl den Fünften mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen, der jenem
gestattete, die Reichsstädte Metz, Toul und Verdun mit Vorbehalt der Rechte
des Reichs zu besetzen. Während nun der Kaiser von Moritz angegriffen
wurde, eroberte der französische König diese drei Reichsstädte und fügte so
einen Teil des westlichen Lothringens zwar nicht rechtlich, aber tatsächlich zu
Frankreich.

Im dreißigjährigen Kriege bot Frankreich dem König von Schweden Hilfs¬
gelder an, um ihn zum Kampf gegen den Kaiser zu veranlassen. Auch Bern¬
hard von Weimar zahlte es jährlich vier Millionen Franken, damit er für sich
das Elsaß eroberte. Außerdem beteiligte sich Frankreich von 1634 an mit einem
eigenen Heer am Krieg gegen den Kaiser. Nach dem Tode Bernhards von
Weimar nahm es auch dessen nur aus Deutschen bestehendes Heer in Sold,
um sich die von diesem in Elsaß gemachten Eroberungen anzueignen. Tat¬
sächlich erhielt Frankreich im Westfälischen Frieden 1648 für die den Protestanten
geleistete Hilfe etwa ein Viertel von diesem deutschen Lande, nämlich den
Sundgau und die Gegend um Hagenau sowie die Landvogtei über zehn elsässische
Reichsstädte und Neichsdörfer, während alle anderen reichsunmittelbaren Gebiete
im Elsaß dem Reiche ollein unterstellt blieben. Außerdem wurden ihm die
Städte und Bistümer Metz, Toul und Verdun nun auch förmlich zugesprochen.

Schon während des Krieges gegen Holland (1672—78) hatte Ludwig der
Vierzehnte die elsässischen Reichsstädte Hagenau, Weißenburg, Landau, Ober-
ebcnheim, Roßheim, Münster, Kaisersberg und Türkheim besetzen lassen, und
1679 trat das Deutsche Reich im Frieden zu Nymwegen sämtliche zehn elsässische
Reichsstädte und Reichsdörfer an Frankreich ab, über die dieses schon 1648 die
Landvogtei bekommen hatte. Um die Besitzungen Frankreichs in Lothringen
und Elsaß weiter zu vermehren, griff Ludwig nun zu dem Mittel der offen¬
baren Rechtsverdrehung und Verletzung des Westfälischen Friedens nicht bloß
dem Sinne, sondern auch dem Wortlaute nach. Er errichtete Neunionskammcrn,
die festzustellen hatten, welche Gebiete zu irgendeiner Zeit zu den 1648 und
1679 an Frankreich gefallenen gehört hatten, und nahm sie dann gewaltsam
in Besitz. Die gesamte Reichsritterschast des Elsaß zwang er zur Huldigung,
wiewohl im Westfälischen Frieden ausdrücklich bestimmt war, daß die reichs¬
unmittelbaren Herrschaften, Abteien und Bistümer sowie die Reichsstadt Stra߬
burg dem Reiche allein unterstellt bleiben sollten. Hinsichtlich dieser Stadt ließ
sich nicht einmal ein Scheingrund finden. Da erklärte Ludwig, durch den


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[0168] Wie kam Frankreich zu Lothringen und dem Glsaß? Form Luxemburg um. Kein Wunder, daß alles dies bei dem erstarkenden Frankreich Eroberungsgelüste erweckte. Die erste Gelegenheit zu deren Befriedigung boten die deutschen Religions¬ kriege des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, in denen das katholische Frankreich die Protestanten gegen den katholischen Kaiser unterstützte; denn dort überwogen, anders als damals bei uns, die politischen die religiösen Interessen. 1552 verbündete sich der französische König Heinrich der Zweite heimlich gegen Kaiser Karl den Fünften mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen, der jenem gestattete, die Reichsstädte Metz, Toul und Verdun mit Vorbehalt der Rechte des Reichs zu besetzen. Während nun der Kaiser von Moritz angegriffen wurde, eroberte der französische König diese drei Reichsstädte und fügte so einen Teil des westlichen Lothringens zwar nicht rechtlich, aber tatsächlich zu Frankreich. Im dreißigjährigen Kriege bot Frankreich dem König von Schweden Hilfs¬ gelder an, um ihn zum Kampf gegen den Kaiser zu veranlassen. Auch Bern¬ hard von Weimar zahlte es jährlich vier Millionen Franken, damit er für sich das Elsaß eroberte. Außerdem beteiligte sich Frankreich von 1634 an mit einem eigenen Heer am Krieg gegen den Kaiser. Nach dem Tode Bernhards von Weimar nahm es auch dessen nur aus Deutschen bestehendes Heer in Sold, um sich die von diesem in Elsaß gemachten Eroberungen anzueignen. Tat¬ sächlich erhielt Frankreich im Westfälischen Frieden 1648 für die den Protestanten geleistete Hilfe etwa ein Viertel von diesem deutschen Lande, nämlich den Sundgau und die Gegend um Hagenau sowie die Landvogtei über zehn elsässische Reichsstädte und Neichsdörfer, während alle anderen reichsunmittelbaren Gebiete im Elsaß dem Reiche ollein unterstellt blieben. Außerdem wurden ihm die Städte und Bistümer Metz, Toul und Verdun nun auch förmlich zugesprochen. Schon während des Krieges gegen Holland (1672—78) hatte Ludwig der Vierzehnte die elsässischen Reichsstädte Hagenau, Weißenburg, Landau, Ober- ebcnheim, Roßheim, Münster, Kaisersberg und Türkheim besetzen lassen, und 1679 trat das Deutsche Reich im Frieden zu Nymwegen sämtliche zehn elsässische Reichsstädte und Reichsdörfer an Frankreich ab, über die dieses schon 1648 die Landvogtei bekommen hatte. Um die Besitzungen Frankreichs in Lothringen und Elsaß weiter zu vermehren, griff Ludwig nun zu dem Mittel der offen¬ baren Rechtsverdrehung und Verletzung des Westfälischen Friedens nicht bloß dem Sinne, sondern auch dem Wortlaute nach. Er errichtete Neunionskammcrn, die festzustellen hatten, welche Gebiete zu irgendeiner Zeit zu den 1648 und 1679 an Frankreich gefallenen gehört hatten, und nahm sie dann gewaltsam in Besitz. Die gesamte Reichsritterschast des Elsaß zwang er zur Huldigung, wiewohl im Westfälischen Frieden ausdrücklich bestimmt war, daß die reichs¬ unmittelbaren Herrschaften, Abteien und Bistümer sowie die Reichsstadt Stra߬ burg dem Reiche allein unterstellt bleiben sollten. Hinsichtlich dieser Stadt ließ sich nicht einmal ein Scheingrund finden. Da erklärte Ludwig, durch den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/168>, abgerufen am 15.01.2025.