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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Sohn des Himmels

kannte seine augenblicklichen Herren, die Mandschus. Die Boten gingen hin
und her, und wie er mit dem Hofe verhandelte, so verhandelte er auch mit den
Rebellen, mit den Fremden in Peking und auch mit den vom englischen General¬
konsul geführten Fremden in Schanghai. Die Fremden waren nämlich auch ge¬
teilt. Die Gruppe der Fremden in Peking, besonders die Diplomaten, wollten
die Dynastie -- nach dem Muster der Vorgänge vor einem halben Jahrhundert wäh¬
rend der Taiping-Revolution -- stützen. Dem ganz entgegengesetzt arbeitete die
Schanghaier Großkaufmannschaft, vertreten durch die Handelskammer und den
englischen Generalkonsul Sir Frazer, der sich so merkwürdig in ausgesprochenen
Gegensatz zu seinem Gesandten in Peking setzte. Um das Maß voll zu machen,
schrie die einflußreiche Gruppe der amerikanischen Missionare in Schanghai, nach
dem probaten Muster von "Moral und Humanität", nach Abhilfe der unerhörten
Mißstände. Wahrscheinlich hat letzteres am meisten gewirkt, denn kurz darauf
war die kaiserliche Sache nicht mehr zu halten. Der Vertraute Uuanschikais,
der zugleich Spezialgesandter in Schanghai war, um mit den Führern der
Aufständischen zu verhandeln, der vielgewandte und ausgekochte Fuchs Tangschauyi
-- selbstverständlich ein amerikanisches Erziehungsprodukt -- ging glatt ins
republikanische Lager über. Und das war der Beginn vom Ende. Die An¬
leihen der Pekinger Regierung fielen durch, und ohne Geld kann man keinen
Krieg führen.

Die Ereignisse nahmen einen schnellen Lauf. Auans Heer demoralisierte
und verbrüderte sich bald mit den Aufständischen. Der kaiserliche Hof verlor
vollkommen den Kopf und konnte sich zu nichts mehr aufraffen. Schließlich
betraute die nominell die Regierung führende Kaiserin-Witwe Lunyü den
Auanschikai mit Generalvollmacht in jedem Sinne. Unan hatte längst im Ge¬
heimen gehandelt. Nun konnte er offenes Spiel wagen. Auanschikai war mit
einem Schlage der Führer des ganzen Nordens geworden. Langsam aber
sicher stellte er nun den ganzen Hof kalt. Er beruhigte die Aufständischen und
versprach ihnen goldene Berge. Auf gut chinesisch heißt das: er bezahlte ihre
Anführer, gab ihnen hohe Anstellungen, Titel und Orden, und damit waren
sie, wenigstens vorerst, still.

Im Februar des Jahres 1912 erließ dann der junge Kaiser jene drei
berühmten im alt-konfuzianischen Stil gehaltenen formvollendeten Edikte, in
welchen er auf den Thron verzichtete. Uuanschikai war damit auch äußerlich
allmächtig. Noch drohte jedoch der Süden, denn die Sunyatsen, Huangsching
und Genossen waren mit den unglaublich hohen ihnen zuteil gewordenen Ab¬
findungssummen noch nicht zufrieden. Sie wählten zwar Uuanschikai zum
Präsidenten, forderten aber zugleich, daß er nach der alten südlichen Hauptstadt
der letzten nationalchinesischen Dynastie, dem am Aangtsestrom gelegenen Nanking
komme, um dort den Eid als Präsident abzulegen. Die Füchse im Süden
wollten Auanschikai damit aus dem Schutze seiner Bajonette und des mauer¬
umgürteten Peking herauslocken, um seine Person in die Hand zu bekommen.


Der neue Sohn des Himmels

kannte seine augenblicklichen Herren, die Mandschus. Die Boten gingen hin
und her, und wie er mit dem Hofe verhandelte, so verhandelte er auch mit den
Rebellen, mit den Fremden in Peking und auch mit den vom englischen General¬
konsul geführten Fremden in Schanghai. Die Fremden waren nämlich auch ge¬
teilt. Die Gruppe der Fremden in Peking, besonders die Diplomaten, wollten
die Dynastie — nach dem Muster der Vorgänge vor einem halben Jahrhundert wäh¬
rend der Taiping-Revolution — stützen. Dem ganz entgegengesetzt arbeitete die
Schanghaier Großkaufmannschaft, vertreten durch die Handelskammer und den
englischen Generalkonsul Sir Frazer, der sich so merkwürdig in ausgesprochenen
Gegensatz zu seinem Gesandten in Peking setzte. Um das Maß voll zu machen,
schrie die einflußreiche Gruppe der amerikanischen Missionare in Schanghai, nach
dem probaten Muster von „Moral und Humanität", nach Abhilfe der unerhörten
Mißstände. Wahrscheinlich hat letzteres am meisten gewirkt, denn kurz darauf
war die kaiserliche Sache nicht mehr zu halten. Der Vertraute Uuanschikais,
der zugleich Spezialgesandter in Schanghai war, um mit den Führern der
Aufständischen zu verhandeln, der vielgewandte und ausgekochte Fuchs Tangschauyi
— selbstverständlich ein amerikanisches Erziehungsprodukt — ging glatt ins
republikanische Lager über. Und das war der Beginn vom Ende. Die An¬
leihen der Pekinger Regierung fielen durch, und ohne Geld kann man keinen
Krieg führen.

Die Ereignisse nahmen einen schnellen Lauf. Auans Heer demoralisierte
und verbrüderte sich bald mit den Aufständischen. Der kaiserliche Hof verlor
vollkommen den Kopf und konnte sich zu nichts mehr aufraffen. Schließlich
betraute die nominell die Regierung führende Kaiserin-Witwe Lunyü den
Auanschikai mit Generalvollmacht in jedem Sinne. Unan hatte längst im Ge¬
heimen gehandelt. Nun konnte er offenes Spiel wagen. Auanschikai war mit
einem Schlage der Führer des ganzen Nordens geworden. Langsam aber
sicher stellte er nun den ganzen Hof kalt. Er beruhigte die Aufständischen und
versprach ihnen goldene Berge. Auf gut chinesisch heißt das: er bezahlte ihre
Anführer, gab ihnen hohe Anstellungen, Titel und Orden, und damit waren
sie, wenigstens vorerst, still.

Im Februar des Jahres 1912 erließ dann der junge Kaiser jene drei
berühmten im alt-konfuzianischen Stil gehaltenen formvollendeten Edikte, in
welchen er auf den Thron verzichtete. Uuanschikai war damit auch äußerlich
allmächtig. Noch drohte jedoch der Süden, denn die Sunyatsen, Huangsching
und Genossen waren mit den unglaublich hohen ihnen zuteil gewordenen Ab¬
findungssummen noch nicht zufrieden. Sie wählten zwar Uuanschikai zum
Präsidenten, forderten aber zugleich, daß er nach der alten südlichen Hauptstadt
der letzten nationalchinesischen Dynastie, dem am Aangtsestrom gelegenen Nanking
komme, um dort den Eid als Präsident abzulegen. Die Füchse im Süden
wollten Auanschikai damit aus dem Schutze seiner Bajonette und des mauer¬
umgürteten Peking herauslocken, um seine Person in die Hand zu bekommen.


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[0161] Der neue Sohn des Himmels kannte seine augenblicklichen Herren, die Mandschus. Die Boten gingen hin und her, und wie er mit dem Hofe verhandelte, so verhandelte er auch mit den Rebellen, mit den Fremden in Peking und auch mit den vom englischen General¬ konsul geführten Fremden in Schanghai. Die Fremden waren nämlich auch ge¬ teilt. Die Gruppe der Fremden in Peking, besonders die Diplomaten, wollten die Dynastie — nach dem Muster der Vorgänge vor einem halben Jahrhundert wäh¬ rend der Taiping-Revolution — stützen. Dem ganz entgegengesetzt arbeitete die Schanghaier Großkaufmannschaft, vertreten durch die Handelskammer und den englischen Generalkonsul Sir Frazer, der sich so merkwürdig in ausgesprochenen Gegensatz zu seinem Gesandten in Peking setzte. Um das Maß voll zu machen, schrie die einflußreiche Gruppe der amerikanischen Missionare in Schanghai, nach dem probaten Muster von „Moral und Humanität", nach Abhilfe der unerhörten Mißstände. Wahrscheinlich hat letzteres am meisten gewirkt, denn kurz darauf war die kaiserliche Sache nicht mehr zu halten. Der Vertraute Uuanschikais, der zugleich Spezialgesandter in Schanghai war, um mit den Führern der Aufständischen zu verhandeln, der vielgewandte und ausgekochte Fuchs Tangschauyi — selbstverständlich ein amerikanisches Erziehungsprodukt — ging glatt ins republikanische Lager über. Und das war der Beginn vom Ende. Die An¬ leihen der Pekinger Regierung fielen durch, und ohne Geld kann man keinen Krieg führen. Die Ereignisse nahmen einen schnellen Lauf. Auans Heer demoralisierte und verbrüderte sich bald mit den Aufständischen. Der kaiserliche Hof verlor vollkommen den Kopf und konnte sich zu nichts mehr aufraffen. Schließlich betraute die nominell die Regierung führende Kaiserin-Witwe Lunyü den Auanschikai mit Generalvollmacht in jedem Sinne. Unan hatte längst im Ge¬ heimen gehandelt. Nun konnte er offenes Spiel wagen. Auanschikai war mit einem Schlage der Führer des ganzen Nordens geworden. Langsam aber sicher stellte er nun den ganzen Hof kalt. Er beruhigte die Aufständischen und versprach ihnen goldene Berge. Auf gut chinesisch heißt das: er bezahlte ihre Anführer, gab ihnen hohe Anstellungen, Titel und Orden, und damit waren sie, wenigstens vorerst, still. Im Februar des Jahres 1912 erließ dann der junge Kaiser jene drei berühmten im alt-konfuzianischen Stil gehaltenen formvollendeten Edikte, in welchen er auf den Thron verzichtete. Uuanschikai war damit auch äußerlich allmächtig. Noch drohte jedoch der Süden, denn die Sunyatsen, Huangsching und Genossen waren mit den unglaublich hohen ihnen zuteil gewordenen Ab¬ findungssummen noch nicht zufrieden. Sie wählten zwar Uuanschikai zum Präsidenten, forderten aber zugleich, daß er nach der alten südlichen Hauptstadt der letzten nationalchinesischen Dynastie, dem am Aangtsestrom gelegenen Nanking komme, um dort den Eid als Präsident abzulegen. Die Füchse im Süden wollten Auanschikai damit aus dem Schutze seiner Bajonette und des mauer¬ umgürteten Peking herauslocken, um seine Person in die Hand zu bekommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/161>, abgerufen am 15.01.2025.