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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die englische Arbeiterschaft und die Wehrpflicht

Das könnte manchem unglaublich scheinen, weil ja doch der Wunsch, den
Krieg "5is zum Siege" fortzuführen, bei gleichzeitiger Gegnerschaft gegen die
Zwangspflicht anscheinend die Überzeugung einschließt, daß es auch so möglich
sein werde, die nötige Truppenzahl aufzubringen. Danach scheint die Ab¬
neigung gegen den Militärdienst selbst in Arbeiterkreisen gar nicht so groß zu
sein. Das ist auch wohl wirklich so. aber die Angst vor den zerrüttenden wirt¬
schaftlichen Einflüssen der Zwangspflicht besteht in voller Stärke neben aller
persönlichen Opferwilligkeit. Es ist ein englischer Beurteiler, der das kürzlich
sehr deutlich öffentlich ausgesprochen hat. Arnold Beneke sagt in der "Daily
News", nachdem er den Nachweis geführt hat. wie wenig es für diesen Krieg
ausmachen würde, wenn man die allgemeine Wehrpflicht beschließen sollte:
"Ich zweifle ernsthaft, ob die organisierte Arbeiterschaft sich beruhigen würde.
Ich sehe in dem Versuch der Zwangspflicht die hohe Wahrscheinlichkeit eines
furchtbaren Fehlschlages und entsetzlichen Skandals, wenn nicht eines schlimmeren,
und damit eines tödlichen Schlages für den Fortschritt der verbündeten Waffen.
Ich sehe darin eine belebende Hoffnung für Deutschland."

Der englische Politiker muß die Gefahr der Zerstörung der nationalen
Einigkeit Englands auf diesem Wege für sehr dringend erachten, wenn er sich
so ausspricht. Für uns klingt das etwas übertrieben. Aber es ist sicher, daß
es sich hier um einen empfindlichen Punkt des englischen nationalen Lebens
handelt. Ausgeschlossen ist es trotz alledem nicht, daß England als Frucht
dieses Krieges die allgemeine Wehrpflicht davonträgt, wenn es auch wenig
wahrscheinlich ist. Das wäre dann das, was man in England den "Militaris¬
mus" nennt, für dessen Bekämpfung es angeblich das Schwert gezogen hat.
Eine der zahlreichen Ironien der Weltgeschichte!




Die englische Arbeiterschaft und die Wehrpflicht

Das könnte manchem unglaublich scheinen, weil ja doch der Wunsch, den
Krieg „5is zum Siege" fortzuführen, bei gleichzeitiger Gegnerschaft gegen die
Zwangspflicht anscheinend die Überzeugung einschließt, daß es auch so möglich
sein werde, die nötige Truppenzahl aufzubringen. Danach scheint die Ab¬
neigung gegen den Militärdienst selbst in Arbeiterkreisen gar nicht so groß zu
sein. Das ist auch wohl wirklich so. aber die Angst vor den zerrüttenden wirt¬
schaftlichen Einflüssen der Zwangspflicht besteht in voller Stärke neben aller
persönlichen Opferwilligkeit. Es ist ein englischer Beurteiler, der das kürzlich
sehr deutlich öffentlich ausgesprochen hat. Arnold Beneke sagt in der „Daily
News", nachdem er den Nachweis geführt hat. wie wenig es für diesen Krieg
ausmachen würde, wenn man die allgemeine Wehrpflicht beschließen sollte:
„Ich zweifle ernsthaft, ob die organisierte Arbeiterschaft sich beruhigen würde.
Ich sehe in dem Versuch der Zwangspflicht die hohe Wahrscheinlichkeit eines
furchtbaren Fehlschlages und entsetzlichen Skandals, wenn nicht eines schlimmeren,
und damit eines tödlichen Schlages für den Fortschritt der verbündeten Waffen.
Ich sehe darin eine belebende Hoffnung für Deutschland."

Der englische Politiker muß die Gefahr der Zerstörung der nationalen
Einigkeit Englands auf diesem Wege für sehr dringend erachten, wenn er sich
so ausspricht. Für uns klingt das etwas übertrieben. Aber es ist sicher, daß
es sich hier um einen empfindlichen Punkt des englischen nationalen Lebens
handelt. Ausgeschlossen ist es trotz alledem nicht, daß England als Frucht
dieses Krieges die allgemeine Wehrpflicht davonträgt, wenn es auch wenig
wahrscheinlich ist. Das wäre dann das, was man in England den „Militaris¬
mus" nennt, für dessen Bekämpfung es angeblich das Schwert gezogen hat.
Eine der zahlreichen Ironien der Weltgeschichte!




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[0083] Die englische Arbeiterschaft und die Wehrpflicht Das könnte manchem unglaublich scheinen, weil ja doch der Wunsch, den Krieg „5is zum Siege" fortzuführen, bei gleichzeitiger Gegnerschaft gegen die Zwangspflicht anscheinend die Überzeugung einschließt, daß es auch so möglich sein werde, die nötige Truppenzahl aufzubringen. Danach scheint die Ab¬ neigung gegen den Militärdienst selbst in Arbeiterkreisen gar nicht so groß zu sein. Das ist auch wohl wirklich so. aber die Angst vor den zerrüttenden wirt¬ schaftlichen Einflüssen der Zwangspflicht besteht in voller Stärke neben aller persönlichen Opferwilligkeit. Es ist ein englischer Beurteiler, der das kürzlich sehr deutlich öffentlich ausgesprochen hat. Arnold Beneke sagt in der „Daily News", nachdem er den Nachweis geführt hat. wie wenig es für diesen Krieg ausmachen würde, wenn man die allgemeine Wehrpflicht beschließen sollte: „Ich zweifle ernsthaft, ob die organisierte Arbeiterschaft sich beruhigen würde. Ich sehe in dem Versuch der Zwangspflicht die hohe Wahrscheinlichkeit eines furchtbaren Fehlschlages und entsetzlichen Skandals, wenn nicht eines schlimmeren, und damit eines tödlichen Schlages für den Fortschritt der verbündeten Waffen. Ich sehe darin eine belebende Hoffnung für Deutschland." Der englische Politiker muß die Gefahr der Zerstörung der nationalen Einigkeit Englands auf diesem Wege für sehr dringend erachten, wenn er sich so ausspricht. Für uns klingt das etwas übertrieben. Aber es ist sicher, daß es sich hier um einen empfindlichen Punkt des englischen nationalen Lebens handelt. Ausgeschlossen ist es trotz alledem nicht, daß England als Frucht dieses Krieges die allgemeine Wehrpflicht davonträgt, wenn es auch wenig wahrscheinlich ist. Das wäre dann das, was man in England den „Militaris¬ mus" nennt, für dessen Bekämpfung es angeblich das Schwert gezogen hat. Eine der zahlreichen Ironien der Weltgeschichte!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/83>, abgerufen am 27.12.2024.