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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Ans Lmanuel Geibels Schülerzeit

Gesang gehört, ich säße hier nicht und schriebe an Dich, sondern Du wärst
längst heimgekehrt in das gute alte Lübeck, und der Kater wäre an Dir
emporgesprungen mit wonneleuchtenden Augen und hätte Dich geleckt und ge¬
liebkost, und Du hättest ihn auf den Schoß genommen und gestreichelt mit der
weichen Hand, und hättest ihn geküßt mit dem kleinen, roten, spitzen Munde,
mit demselben Munde, mit dem Du nun sprachst: Hier ist gut sein, Lasset
uns Hütten bauen!

Aber bei uns im Norden ist auch gut sein! Mögen bei Euch die Bäume
früher grünen und die Blumen zeitiger aufsprossen -- wir haben doch mehr;
mögen bei Euch die Frühlingslüfte wärmer und zarter sein, und die Früchte
voller und süßer -- wir haben doch mehr; mögen bei Euch die Berge stehen,
die schönen, stolzen Berge mit ihrem freien Odem und ihren herzigen Liedern,
mit ihren schlanken Tannen und rauschenden Gießbächen -- wir haben doch
mehr! Wir haben die große, herrliche See mit ihren Wogen und Lüften,
mit ihren Schäumen und Spiegeln, und mit den hunderttausend Wundern der
Tiefe I Denkst Du wohl bisweilen an sie zurück? Ich weiß. Du hattest sie
so lieb -- denkst Du an sie, wie die Sonne aus ihr auftauchte, wie ein zer¬
fließender Rubin, wie der Mond still über ihr schwebte und das ganze Horn
seines Lilienschimmers auf sie herabgoß; wenn sie so still um Mittag lag. eine
blaue endlose Fläche, überblitzt von goldenen schimmern -- ferne zogen
weiße Segel wie Schwäne dahin, der Himmel glänzte wolkenlos blau, und in
den roten Wimpeln der eingelaufenen Schiffe spielte der leise Luftzug -- denkst
Du daran?

Aber da kommt mir ein Sommerabend von 1832 in den Sinn; so schön
wie damals habe ich das Meer nie gesehen. Du warst mit Johanna*) an
den Strand hinabgegangen, und ich hatte Euch begleitet. Die Sonne war
hinunter, aber in der Atmosphäre schwamm ein wunderbares Helldunkel.
Himmel und Meer zerflossen ineinander in duftigen Blau, die Küsten lagen
auch in blauer Dämmerung, blauer Nebel schwebte über den fernen Bäumen,
Wir aber gingen auf den schmalen Steg und stiegen in das angekettete
Boot und wiegten uns auf der ruhigen Flut. Und von der Terrasse
herüber schwebten einzelne Musiklaute von Blasinstrumenten; es klang
fast wie Geisterstimmen, und doch war es mein Lieblingslied; meine
Seele schlummerte ein und träumte, träumte süß von zukünftigen Frühlingen
und zukünftigen Liedern -- Hörnerklang -- Wellengesang -- Wellen¬
gesang ---

O das weite unendliche Blau um mich her; es war so schön, ich hätte es
umfangen mögen und doch umfing es mich -- Blau war von jeher meine
Lieblingsfarbe, und wenn ich mich einmal in etwas verlieben sollte, so wird



'") Emanuels vier Jahre ältere Schwester, vermählt mit dem Prediger Michelsen, ge¬
storben 13os.
Ans Lmanuel Geibels Schülerzeit

Gesang gehört, ich säße hier nicht und schriebe an Dich, sondern Du wärst
längst heimgekehrt in das gute alte Lübeck, und der Kater wäre an Dir
emporgesprungen mit wonneleuchtenden Augen und hätte Dich geleckt und ge¬
liebkost, und Du hättest ihn auf den Schoß genommen und gestreichelt mit der
weichen Hand, und hättest ihn geküßt mit dem kleinen, roten, spitzen Munde,
mit demselben Munde, mit dem Du nun sprachst: Hier ist gut sein, Lasset
uns Hütten bauen!

Aber bei uns im Norden ist auch gut sein! Mögen bei Euch die Bäume
früher grünen und die Blumen zeitiger aufsprossen — wir haben doch mehr;
mögen bei Euch die Frühlingslüfte wärmer und zarter sein, und die Früchte
voller und süßer — wir haben doch mehr; mögen bei Euch die Berge stehen,
die schönen, stolzen Berge mit ihrem freien Odem und ihren herzigen Liedern,
mit ihren schlanken Tannen und rauschenden Gießbächen — wir haben doch
mehr! Wir haben die große, herrliche See mit ihren Wogen und Lüften,
mit ihren Schäumen und Spiegeln, und mit den hunderttausend Wundern der
Tiefe I Denkst Du wohl bisweilen an sie zurück? Ich weiß. Du hattest sie
so lieb — denkst Du an sie, wie die Sonne aus ihr auftauchte, wie ein zer¬
fließender Rubin, wie der Mond still über ihr schwebte und das ganze Horn
seines Lilienschimmers auf sie herabgoß; wenn sie so still um Mittag lag. eine
blaue endlose Fläche, überblitzt von goldenen schimmern — ferne zogen
weiße Segel wie Schwäne dahin, der Himmel glänzte wolkenlos blau, und in
den roten Wimpeln der eingelaufenen Schiffe spielte der leise Luftzug — denkst
Du daran?

Aber da kommt mir ein Sommerabend von 1832 in den Sinn; so schön
wie damals habe ich das Meer nie gesehen. Du warst mit Johanna*) an
den Strand hinabgegangen, und ich hatte Euch begleitet. Die Sonne war
hinunter, aber in der Atmosphäre schwamm ein wunderbares Helldunkel.
Himmel und Meer zerflossen ineinander in duftigen Blau, die Küsten lagen
auch in blauer Dämmerung, blauer Nebel schwebte über den fernen Bäumen,
Wir aber gingen auf den schmalen Steg und stiegen in das angekettete
Boot und wiegten uns auf der ruhigen Flut. Und von der Terrasse
herüber schwebten einzelne Musiklaute von Blasinstrumenten; es klang
fast wie Geisterstimmen, und doch war es mein Lieblingslied; meine
Seele schlummerte ein und träumte, träumte süß von zukünftigen Frühlingen
und zukünftigen Liedern — Hörnerklang — Wellengesang — Wellen¬
gesang ---

O das weite unendliche Blau um mich her; es war so schön, ich hätte es
umfangen mögen und doch umfing es mich — Blau war von jeher meine
Lieblingsfarbe, und wenn ich mich einmal in etwas verlieben sollte, so wird



'») Emanuels vier Jahre ältere Schwester, vermählt mit dem Prediger Michelsen, ge¬
storben 13os.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/67>, abgerufen am 22.07.2024.