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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Li"e Märtyrerin auf dem Aaiserthrone

Wahrsagerin ein, die ihr den Thron Frankreichs zwar versprochen, aber diese
Prophezeihung mit dem fatalen Zusätze versehen haben sollte, sie würde nicht
als Herrscherin sterben; und da Josephine -- eine Schwäche der schöneren
Hälfte der Menschheit, die die Jahrhunderte zu überdauern scheint -- in hohem
Grade abergläubisch war, das Wunderbare liebte und immer gern die Zukunft
zu ergründen suchte, griff sie häufig zu den geliebten Karten, deren Zuverlässig¬
keit ihr über allen Zweifel erhaben schien, seit sie kurz vor der Schlacht bei Jena
einen großen Sieg verkündet hatten; ging die Patience, die sie sich legte, auf,
glaubte sie das als ein günstiges Omen ansehen zu dürfen. Und trotz des
ausdrücklichen Verbotes ihres Gatten konsultierte sie ganz im geheimen auch
die bekannte Kartenlegerin Mademoiselle Lenormand, die ihre vermeintliche
Kenntnis der Zukunft wahrscheinlich teuer genug verkauft haben wird, und be¬
fragte fleißig alles, was sonst noch in Paris zur Gilde derartiger Propheten
und Prophetinnen gehörte, ganz gleich, ob sie ihre Weisheit, wie der poesie¬
verklärte Seni, der leuchtenden Konstellation am Firmament oder, gut spie߬
bürgerlich, dem dunkleren Satze der Kaffeetasse entlehnten.

Mittlerweile war das Jahr 1609 und mit ihm der Feldzug gegen Öster¬
reich herangekommen; bei Regensburg hatte eine Kugel Napoleon leicht verletzt
und bald darauf der junge Staps sein Attentat geplant. Sofort erklang durch
ganz Frankreich die Frage: "Was soll werden, wenn der Kaiser stirbt?", und
in Verbindung mit ihr tauchte naturgemäß auch die andere wieder auf, die¬
jenige der Scheidung. Josephine stellte aufs neue die traurigsten Betrachtungen
an und hatte nur allzu triftigen Grund dazu. Napoleons Korrespondenz aus
dem Feldlager bestand in kurzen, trockenen Billetts, wurde immer lakonischer und
zeigte von Zärtlichkett keine Spur mehr. Das Leben voll Repräsentation, das
die seelisch schwer leidende Herrscherin in Straßburg, ihrer damaligen Residenz,
führte, begann sie anzuwidern; am liebsten hätte sie sich in ein Mauseloch ver¬
krochen. So eilte sie nach Plombieres, wo die große Welt ihre Tränen wenig¬
stens nicht sah. Aus den letzten Zeilen, die Napoleon ihr am 21. Oktober
von München aus zugehen ließ, erkannte sie ihr Schicksal; diese lauteten kurz
und bündig: "Liebe Freundini In einer Stunde reise ich ab, ich komme in
Fontatnebleau in der Nacht vom 26. zum 27. an; Du kannst Dich mit einigen
Damen dorthin begeben. Napoleon." Nun hatte Josephine es verbrieft in
Händen, daß alles aus war.

Der Kaiser war in der Tat fest entschlossen, den oft erwogenen Schritt
zu tun; die politische Notwendigkeit erwies sich als zwingend. Da er aber
seine Schwäche der noch immer Verführerischen gegenüber kannte, traf er Vor¬
kehrungen, jeder Annäherung von vornherein aus dem Wege zu gehen; er gab
Befehl, in Fontainebleau die Verbindungstüren zwischen seinen eigenen Ge¬
mächern und denen der Kaiserin zu vermauern. Bald nach ihrem Gemahl traf
auch Josephine dort ein; sie erkannte natürlich, worauf die baulichen Verände¬
rungen hinzielten, und den letzten Zweifel nahm ihr das befriedigte Lächeln


Li»e Märtyrerin auf dem Aaiserthrone

Wahrsagerin ein, die ihr den Thron Frankreichs zwar versprochen, aber diese
Prophezeihung mit dem fatalen Zusätze versehen haben sollte, sie würde nicht
als Herrscherin sterben; und da Josephine — eine Schwäche der schöneren
Hälfte der Menschheit, die die Jahrhunderte zu überdauern scheint — in hohem
Grade abergläubisch war, das Wunderbare liebte und immer gern die Zukunft
zu ergründen suchte, griff sie häufig zu den geliebten Karten, deren Zuverlässig¬
keit ihr über allen Zweifel erhaben schien, seit sie kurz vor der Schlacht bei Jena
einen großen Sieg verkündet hatten; ging die Patience, die sie sich legte, auf,
glaubte sie das als ein günstiges Omen ansehen zu dürfen. Und trotz des
ausdrücklichen Verbotes ihres Gatten konsultierte sie ganz im geheimen auch
die bekannte Kartenlegerin Mademoiselle Lenormand, die ihre vermeintliche
Kenntnis der Zukunft wahrscheinlich teuer genug verkauft haben wird, und be¬
fragte fleißig alles, was sonst noch in Paris zur Gilde derartiger Propheten
und Prophetinnen gehörte, ganz gleich, ob sie ihre Weisheit, wie der poesie¬
verklärte Seni, der leuchtenden Konstellation am Firmament oder, gut spie߬
bürgerlich, dem dunkleren Satze der Kaffeetasse entlehnten.

Mittlerweile war das Jahr 1609 und mit ihm der Feldzug gegen Öster¬
reich herangekommen; bei Regensburg hatte eine Kugel Napoleon leicht verletzt
und bald darauf der junge Staps sein Attentat geplant. Sofort erklang durch
ganz Frankreich die Frage: „Was soll werden, wenn der Kaiser stirbt?", und
in Verbindung mit ihr tauchte naturgemäß auch die andere wieder auf, die¬
jenige der Scheidung. Josephine stellte aufs neue die traurigsten Betrachtungen
an und hatte nur allzu triftigen Grund dazu. Napoleons Korrespondenz aus
dem Feldlager bestand in kurzen, trockenen Billetts, wurde immer lakonischer und
zeigte von Zärtlichkett keine Spur mehr. Das Leben voll Repräsentation, das
die seelisch schwer leidende Herrscherin in Straßburg, ihrer damaligen Residenz,
führte, begann sie anzuwidern; am liebsten hätte sie sich in ein Mauseloch ver¬
krochen. So eilte sie nach Plombieres, wo die große Welt ihre Tränen wenig¬
stens nicht sah. Aus den letzten Zeilen, die Napoleon ihr am 21. Oktober
von München aus zugehen ließ, erkannte sie ihr Schicksal; diese lauteten kurz
und bündig: „Liebe Freundini In einer Stunde reise ich ab, ich komme in
Fontatnebleau in der Nacht vom 26. zum 27. an; Du kannst Dich mit einigen
Damen dorthin begeben. Napoleon." Nun hatte Josephine es verbrieft in
Händen, daß alles aus war.

Der Kaiser war in der Tat fest entschlossen, den oft erwogenen Schritt
zu tun; die politische Notwendigkeit erwies sich als zwingend. Da er aber
seine Schwäche der noch immer Verführerischen gegenüber kannte, traf er Vor¬
kehrungen, jeder Annäherung von vornherein aus dem Wege zu gehen; er gab
Befehl, in Fontainebleau die Verbindungstüren zwischen seinen eigenen Ge¬
mächern und denen der Kaiserin zu vermauern. Bald nach ihrem Gemahl traf
auch Josephine dort ein; sie erkannte natürlich, worauf die baulichen Verände¬
rungen hinzielten, und den letzten Zweifel nahm ihr das befriedigte Lächeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/414>, abgerufen am 29.12.2024.