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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Ein Kapitel zur Entstehungsgeschichte des Krieges

und französischen Kapitalismus, sondern auch auf die Sympathie breiter Kreise
der besitzenden Klaffen Rußlands selbst stützte. Nicht nur die Bobrinsky und
Savenko, die Kruvenski und Schulgin. sondern auch die Gutschkow und
Dmowski. Struve und Schingariow. Brjantfchaninow und Rjabuschinsky,
Miljukow und Tschelnokow standen hinter der russischen Diplomatie bei ihren
Intrigen. Schachzügen. Manövern und Gegenmanövern, die seit dem
Jahre 1908 nicht aufhörten, den Frieden Europas täglich zu
bedrohen".

Martow betont, daß diese Politi! Stolypins und seiner Nachfolger in
ihrer Rückwirkung auf die innere Politik dann von vollem Erfolg hätte ge¬
krönt werden können, wenn "die Geschichte genügend Zeit" gegeben hätte. Das
sei aber nicht der Fall gewesen, der Krieg habe die Politik noch im allzugroßen
Werden betroffen, die innere Konsolidierung des Landes sei noch nicht weit
genug gewesen, als daß jene Ziele der Evolution, des Zusammenschmelzens
der Interessen von Gesellschaft und Regierung ganz erfüllt gewesen wären.
Für die Ziele der russischen Sozialisten sei das günstig. Der Kampf, den
Stolypin beabsichtigte unmöglich zu machen, könne jetzt wieder aufgenommen
werden.

Es ist im Grunde genommen derselbe große Denkfehler, den die Russen
im japanischen Kriege begangen haben. Sie denken ihre Gedanken nicht zu
Ende, und sie sind schlecht informiert.

Stolypin dachte gewiß auch nicht den Gedanken seiner nationalistisch-
imveralistischen Politik so weit, daß er den Krieg mit Deutschland und Oster-
reich-Ungarn und die vollständige Verstrickung des Landes in die englische
Politik vorhergesehen oder gar gewollt hätte. Das war aber eben sein Fehler
und dafür müssen seine Nachfolger jetzt büßen. Er trieb den Teufel durch
Beelzebub aus. Er selbst besaß vielleicht die harte Faust, im gegebenen
Moment die Appetite jener einflußreichen panslavistischen Kreise, die ihre
Führer in gewissen großfürstlichen Familien selber hatten, zu zügeln. Wer
stand ihm aber dafür, daß feine Nachfolger dies vermochten? Und dann, hatte
^ und hatten feine Nachfolger den richtigen Begriff von der militärischen und
moralischen Kraft Deutschlands und dachten sie den Gedanken weiter, was mit
der inneren Politik Rußlands geschehen würde, wenn der Krieg nicht so endete,
wie man es wünschte? Das ..8cKapKami 8aKiäajem" (wir werden sie mit
unseren Mützen zudecken), das zu Beginn des japanischen Krieges ertönte,
wiederholte sich auch diesmal in den russischen Gedankengängen, die in Sicher-
heit gewiegt waren durch die Aussicht auf die Hilfe des französischen Bundes¬
genossen und durch die ermutigende Haltung, die England einnahm.

Der durch seine Rücksichtslosigkeit im Handeln und durch seinen Einfluß
bei Hofe bekannte jetzt verstorbene Führer der russischen Konservativen, Peter
Durnowo. hatte im November 1913, als wieder einmal in der inneren russischen
Politik Schwierigkeiten und Gegensätze zwischen Regierung und Duma sich


Ein Kapitel zur Entstehungsgeschichte des Krieges

und französischen Kapitalismus, sondern auch auf die Sympathie breiter Kreise
der besitzenden Klaffen Rußlands selbst stützte. Nicht nur die Bobrinsky und
Savenko, die Kruvenski und Schulgin. sondern auch die Gutschkow und
Dmowski. Struve und Schingariow. Brjantfchaninow und Rjabuschinsky,
Miljukow und Tschelnokow standen hinter der russischen Diplomatie bei ihren
Intrigen. Schachzügen. Manövern und Gegenmanövern, die seit dem
Jahre 1908 nicht aufhörten, den Frieden Europas täglich zu
bedrohen".

Martow betont, daß diese Politi! Stolypins und seiner Nachfolger in
ihrer Rückwirkung auf die innere Politik dann von vollem Erfolg hätte ge¬
krönt werden können, wenn „die Geschichte genügend Zeit" gegeben hätte. Das
sei aber nicht der Fall gewesen, der Krieg habe die Politik noch im allzugroßen
Werden betroffen, die innere Konsolidierung des Landes sei noch nicht weit
genug gewesen, als daß jene Ziele der Evolution, des Zusammenschmelzens
der Interessen von Gesellschaft und Regierung ganz erfüllt gewesen wären.
Für die Ziele der russischen Sozialisten sei das günstig. Der Kampf, den
Stolypin beabsichtigte unmöglich zu machen, könne jetzt wieder aufgenommen
werden.

Es ist im Grunde genommen derselbe große Denkfehler, den die Russen
im japanischen Kriege begangen haben. Sie denken ihre Gedanken nicht zu
Ende, und sie sind schlecht informiert.

Stolypin dachte gewiß auch nicht den Gedanken seiner nationalistisch-
imveralistischen Politik so weit, daß er den Krieg mit Deutschland und Oster-
reich-Ungarn und die vollständige Verstrickung des Landes in die englische
Politik vorhergesehen oder gar gewollt hätte. Das war aber eben sein Fehler
und dafür müssen seine Nachfolger jetzt büßen. Er trieb den Teufel durch
Beelzebub aus. Er selbst besaß vielleicht die harte Faust, im gegebenen
Moment die Appetite jener einflußreichen panslavistischen Kreise, die ihre
Führer in gewissen großfürstlichen Familien selber hatten, zu zügeln. Wer
stand ihm aber dafür, daß feine Nachfolger dies vermochten? Und dann, hatte
^ und hatten feine Nachfolger den richtigen Begriff von der militärischen und
moralischen Kraft Deutschlands und dachten sie den Gedanken weiter, was mit
der inneren Politik Rußlands geschehen würde, wenn der Krieg nicht so endete,
wie man es wünschte? Das ..8cKapKami 8aKiäajem" (wir werden sie mit
unseren Mützen zudecken), das zu Beginn des japanischen Krieges ertönte,
wiederholte sich auch diesmal in den russischen Gedankengängen, die in Sicher-
heit gewiegt waren durch die Aussicht auf die Hilfe des französischen Bundes¬
genossen und durch die ermutigende Haltung, die England einnahm.

Der durch seine Rücksichtslosigkeit im Handeln und durch seinen Einfluß
bei Hofe bekannte jetzt verstorbene Führer der russischen Konservativen, Peter
Durnowo. hatte im November 1913, als wieder einmal in der inneren russischen
Politik Schwierigkeiten und Gegensätze zwischen Regierung und Duma sich


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[0397] Ein Kapitel zur Entstehungsgeschichte des Krieges und französischen Kapitalismus, sondern auch auf die Sympathie breiter Kreise der besitzenden Klaffen Rußlands selbst stützte. Nicht nur die Bobrinsky und Savenko, die Kruvenski und Schulgin. sondern auch die Gutschkow und Dmowski. Struve und Schingariow. Brjantfchaninow und Rjabuschinsky, Miljukow und Tschelnokow standen hinter der russischen Diplomatie bei ihren Intrigen. Schachzügen. Manövern und Gegenmanövern, die seit dem Jahre 1908 nicht aufhörten, den Frieden Europas täglich zu bedrohen". Martow betont, daß diese Politi! Stolypins und seiner Nachfolger in ihrer Rückwirkung auf die innere Politik dann von vollem Erfolg hätte ge¬ krönt werden können, wenn „die Geschichte genügend Zeit" gegeben hätte. Das sei aber nicht der Fall gewesen, der Krieg habe die Politik noch im allzugroßen Werden betroffen, die innere Konsolidierung des Landes sei noch nicht weit genug gewesen, als daß jene Ziele der Evolution, des Zusammenschmelzens der Interessen von Gesellschaft und Regierung ganz erfüllt gewesen wären. Für die Ziele der russischen Sozialisten sei das günstig. Der Kampf, den Stolypin beabsichtigte unmöglich zu machen, könne jetzt wieder aufgenommen werden. Es ist im Grunde genommen derselbe große Denkfehler, den die Russen im japanischen Kriege begangen haben. Sie denken ihre Gedanken nicht zu Ende, und sie sind schlecht informiert. Stolypin dachte gewiß auch nicht den Gedanken seiner nationalistisch- imveralistischen Politik so weit, daß er den Krieg mit Deutschland und Oster- reich-Ungarn und die vollständige Verstrickung des Landes in die englische Politik vorhergesehen oder gar gewollt hätte. Das war aber eben sein Fehler und dafür müssen seine Nachfolger jetzt büßen. Er trieb den Teufel durch Beelzebub aus. Er selbst besaß vielleicht die harte Faust, im gegebenen Moment die Appetite jener einflußreichen panslavistischen Kreise, die ihre Führer in gewissen großfürstlichen Familien selber hatten, zu zügeln. Wer stand ihm aber dafür, daß feine Nachfolger dies vermochten? Und dann, hatte ^ und hatten feine Nachfolger den richtigen Begriff von der militärischen und moralischen Kraft Deutschlands und dachten sie den Gedanken weiter, was mit der inneren Politik Rußlands geschehen würde, wenn der Krieg nicht so endete, wie man es wünschte? Das ..8cKapKami 8aKiäajem" (wir werden sie mit unseren Mützen zudecken), das zu Beginn des japanischen Krieges ertönte, wiederholte sich auch diesmal in den russischen Gedankengängen, die in Sicher- heit gewiegt waren durch die Aussicht auf die Hilfe des französischen Bundes¬ genossen und durch die ermutigende Haltung, die England einnahm. Der durch seine Rücksichtslosigkeit im Handeln und durch seinen Einfluß bei Hofe bekannte jetzt verstorbene Führer der russischen Konservativen, Peter Durnowo. hatte im November 1913, als wieder einmal in der inneren russischen Politik Schwierigkeiten und Gegensätze zwischen Regierung und Duma sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/397>, abgerufen am 22.07.2024.