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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

wünschte Rodofinikin hinter diese geheimen Verhandlungen gekommen wäre und
ihren Abschluß durch seine Ränke vereitelt hätte. Andernfalls hätte Österreich
selbst das größte Interesse gehabt, später auch den übrigen Teil der noch
unter türkischer Herrschaft schmachtenden Serben sich anzugliedern, was bei dem
starken Zerfall der Türkei in den Jahren 1809--1340 eine Leichtigkeit gewesen
wäre. Serbien hätte sich dann ohne die inneren Kämpfe und Ränke ruhig
weiterentwickeln können, es würden heute elf Millionen Serben vereint unter
dem Habsburgischen Szepter wohnen und Habsburg würde einerseits bis zum
Ister, anderseits bis Saloniki herrschen und auch die ganze ostadriatische Küste
bis zum Schkumbi besitzen. Dann hätten wir heute auch keinen Weltkrieg.

Die erschreckte russische Regierung beauftragte sofort ihren Gesandten in
Wien, den Fürsten Kurakin, den Grafen Stadion um Aufklärung über diese
"Ränke" zu ersuchen. Als der betroffene Graf leugnen wollte, zeigte ihm
Kurakin die französische Übersetzung der Abschrift des Briefwechsels zwischen
Kara Gjorgje und Simbschen. Stadion wußte sich nicht anders zu helfen,
als zu behaupten, von der ganzen Sache nichts zu wissen, zudem sei
es zweifelhaft, ob diese Briefe wirklich gewechselt worden seien, denn Milosch
Uroschevitsch sei ein Ränkeschmied und nichts weiter !c. Und doch wäre es viel
einfacher gewesen, dem Fürsten ganz trocken zu erklären, daß Österreich nichts
anderes getan habe, als was Rußland selbst schon seit längerer Zeit versucht
habe durchzuführen und daß es schließlich keine dritte Macht etwas angehe,
wenn die Serben sich freiwillig an Österreich anschließen wollten. Aber leider
liebte man sehr oft in Wien auch dann krumme Wege und Rückzug, wenn
man ganz offen auf sein gutes Recht hätte pochen und unbeirrt durch fremde
Rücksichten auf sein Ziel hätte losgehen können.

Auch Kara Gjorgje mußte sich eine Strafpredigt Rodofinikins gefallen
lassen, der ihm mit Rußlands Zorn drohte und ihm einzureden suchte, daß
Österreich der natürliche Feind, Rußland aber der natürliche Freund Serbiens
sei. von dem allein Rettung erhofft werden könne. Denn hätte er bisher von
Österreich überhaupt irgendwelche Unterstützung gehabt? Hätte nicht Österreich
gerade sein Übelwollen dadurch bezeugt, daß es die Grenze gegen Serbien
sperrte, es dadurch mit Hungersnot bedrohte, daß es den Serben stets zu-
redete, unter das türkische Joch zurückzukehren, und daß es von Serbien nichts
wissen wollte, selbst dann nicht, als es ihm auf der Schüssel entgegengetragen
wurde? Rußland hingegen habe Waffen. Schießbedarf. Geld. Hilfstruppen
und fähige Fachleute geliefert, trotzdem es fo ferne sei.

Diese Scheingründe machten auf Kara Gjorgje umsomehr Eindruck, als
ihm Rodofinikin von jeher imponiert hatte und so verlief der erste ernstliche
Versuch einer Vereinigung Serbiens mit Österreich im Sande.

Die Serben setzten also allein ihren Kampf gegen die Türken fort und
trotz der schlechten Lage, die Kara Gjorgje Simbschen geschildert hatte,
gelang es ihnen, in Bosnien und im Sandschak vorzudringen. Aber Churschid


Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

wünschte Rodofinikin hinter diese geheimen Verhandlungen gekommen wäre und
ihren Abschluß durch seine Ränke vereitelt hätte. Andernfalls hätte Österreich
selbst das größte Interesse gehabt, später auch den übrigen Teil der noch
unter türkischer Herrschaft schmachtenden Serben sich anzugliedern, was bei dem
starken Zerfall der Türkei in den Jahren 1809—1340 eine Leichtigkeit gewesen
wäre. Serbien hätte sich dann ohne die inneren Kämpfe und Ränke ruhig
weiterentwickeln können, es würden heute elf Millionen Serben vereint unter
dem Habsburgischen Szepter wohnen und Habsburg würde einerseits bis zum
Ister, anderseits bis Saloniki herrschen und auch die ganze ostadriatische Küste
bis zum Schkumbi besitzen. Dann hätten wir heute auch keinen Weltkrieg.

Die erschreckte russische Regierung beauftragte sofort ihren Gesandten in
Wien, den Fürsten Kurakin, den Grafen Stadion um Aufklärung über diese
„Ränke" zu ersuchen. Als der betroffene Graf leugnen wollte, zeigte ihm
Kurakin die französische Übersetzung der Abschrift des Briefwechsels zwischen
Kara Gjorgje und Simbschen. Stadion wußte sich nicht anders zu helfen,
als zu behaupten, von der ganzen Sache nichts zu wissen, zudem sei
es zweifelhaft, ob diese Briefe wirklich gewechselt worden seien, denn Milosch
Uroschevitsch sei ein Ränkeschmied und nichts weiter !c. Und doch wäre es viel
einfacher gewesen, dem Fürsten ganz trocken zu erklären, daß Österreich nichts
anderes getan habe, als was Rußland selbst schon seit längerer Zeit versucht
habe durchzuführen und daß es schließlich keine dritte Macht etwas angehe,
wenn die Serben sich freiwillig an Österreich anschließen wollten. Aber leider
liebte man sehr oft in Wien auch dann krumme Wege und Rückzug, wenn
man ganz offen auf sein gutes Recht hätte pochen und unbeirrt durch fremde
Rücksichten auf sein Ziel hätte losgehen können.

Auch Kara Gjorgje mußte sich eine Strafpredigt Rodofinikins gefallen
lassen, der ihm mit Rußlands Zorn drohte und ihm einzureden suchte, daß
Österreich der natürliche Feind, Rußland aber der natürliche Freund Serbiens
sei. von dem allein Rettung erhofft werden könne. Denn hätte er bisher von
Österreich überhaupt irgendwelche Unterstützung gehabt? Hätte nicht Österreich
gerade sein Übelwollen dadurch bezeugt, daß es die Grenze gegen Serbien
sperrte, es dadurch mit Hungersnot bedrohte, daß es den Serben stets zu-
redete, unter das türkische Joch zurückzukehren, und daß es von Serbien nichts
wissen wollte, selbst dann nicht, als es ihm auf der Schüssel entgegengetragen
wurde? Rußland hingegen habe Waffen. Schießbedarf. Geld. Hilfstruppen
und fähige Fachleute geliefert, trotzdem es fo ferne sei.

Diese Scheingründe machten auf Kara Gjorgje umsomehr Eindruck, als
ihm Rodofinikin von jeher imponiert hatte und so verlief der erste ernstliche
Versuch einer Vereinigung Serbiens mit Österreich im Sande.

Die Serben setzten also allein ihren Kampf gegen die Türken fort und
trotz der schlechten Lage, die Kara Gjorgje Simbschen geschildert hatte,
gelang es ihnen, in Bosnien und im Sandschak vorzudringen. Aber Churschid


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[0369] Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert wünschte Rodofinikin hinter diese geheimen Verhandlungen gekommen wäre und ihren Abschluß durch seine Ränke vereitelt hätte. Andernfalls hätte Österreich selbst das größte Interesse gehabt, später auch den übrigen Teil der noch unter türkischer Herrschaft schmachtenden Serben sich anzugliedern, was bei dem starken Zerfall der Türkei in den Jahren 1809—1340 eine Leichtigkeit gewesen wäre. Serbien hätte sich dann ohne die inneren Kämpfe und Ränke ruhig weiterentwickeln können, es würden heute elf Millionen Serben vereint unter dem Habsburgischen Szepter wohnen und Habsburg würde einerseits bis zum Ister, anderseits bis Saloniki herrschen und auch die ganze ostadriatische Küste bis zum Schkumbi besitzen. Dann hätten wir heute auch keinen Weltkrieg. Die erschreckte russische Regierung beauftragte sofort ihren Gesandten in Wien, den Fürsten Kurakin, den Grafen Stadion um Aufklärung über diese „Ränke" zu ersuchen. Als der betroffene Graf leugnen wollte, zeigte ihm Kurakin die französische Übersetzung der Abschrift des Briefwechsels zwischen Kara Gjorgje und Simbschen. Stadion wußte sich nicht anders zu helfen, als zu behaupten, von der ganzen Sache nichts zu wissen, zudem sei es zweifelhaft, ob diese Briefe wirklich gewechselt worden seien, denn Milosch Uroschevitsch sei ein Ränkeschmied und nichts weiter !c. Und doch wäre es viel einfacher gewesen, dem Fürsten ganz trocken zu erklären, daß Österreich nichts anderes getan habe, als was Rußland selbst schon seit längerer Zeit versucht habe durchzuführen und daß es schließlich keine dritte Macht etwas angehe, wenn die Serben sich freiwillig an Österreich anschließen wollten. Aber leider liebte man sehr oft in Wien auch dann krumme Wege und Rückzug, wenn man ganz offen auf sein gutes Recht hätte pochen und unbeirrt durch fremde Rücksichten auf sein Ziel hätte losgehen können. Auch Kara Gjorgje mußte sich eine Strafpredigt Rodofinikins gefallen lassen, der ihm mit Rußlands Zorn drohte und ihm einzureden suchte, daß Österreich der natürliche Feind, Rußland aber der natürliche Freund Serbiens sei. von dem allein Rettung erhofft werden könne. Denn hätte er bisher von Österreich überhaupt irgendwelche Unterstützung gehabt? Hätte nicht Österreich gerade sein Übelwollen dadurch bezeugt, daß es die Grenze gegen Serbien sperrte, es dadurch mit Hungersnot bedrohte, daß es den Serben stets zu- redete, unter das türkische Joch zurückzukehren, und daß es von Serbien nichts wissen wollte, selbst dann nicht, als es ihm auf der Schüssel entgegengetragen wurde? Rußland hingegen habe Waffen. Schießbedarf. Geld. Hilfstruppen und fähige Fachleute geliefert, trotzdem es fo ferne sei. Diese Scheingründe machten auf Kara Gjorgje umsomehr Eindruck, als ihm Rodofinikin von jeher imponiert hatte und so verlief der erste ernstliche Versuch einer Vereinigung Serbiens mit Österreich im Sande. Die Serben setzten also allein ihren Kampf gegen die Türken fort und trotz der schlechten Lage, die Kara Gjorgje Simbschen geschildert hatte, gelang es ihnen, in Bosnien und im Sandschak vorzudringen. Aber Churschid

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/369>, abgerufen am 23.07.2024.