Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.Arieg "ut Ernährung damit wesentlich oberhalb der untersten Grenze zu sein, so daß auch ein zeit¬ Die Unentbehrlichkeii des Eiweißes in der Nahrung ist es gewesen, die zu Die Behinderung der Zufuhren und die wegen der Knappheit der Futter¬ Grenzboten IV 1916 22
Arieg »ut Ernährung damit wesentlich oberhalb der untersten Grenze zu sein, so daß auch ein zeit¬ Die Unentbehrlichkeii des Eiweißes in der Nahrung ist es gewesen, die zu Die Behinderung der Zufuhren und die wegen der Knappheit der Futter¬ Grenzboten IV 1916 22
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324756"/> <fw type="header" place="top"> Arieg »ut Ernährung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1231" prev="#ID_1230"> damit wesentlich oberhalb der untersten Grenze zu sein, so daß auch ein zeit¬<lb/> weiliges Heruntergehen unter diesen Betrag noch nicht als bedenklich angesehen<lb/> zu werden braucht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1232"> Die Unentbehrlichkeii des Eiweißes in der Nahrung ist es gewesen, die zu<lb/> der übertriebenen Bewertung des Eiweißes und aller eiweißhaltigen Nahrungs¬<lb/> mittel wie Fleisch. Milch, Eier geführt hat. Das Eiweiß erschien wegen seiner<lb/> Unersetzlichkeit leicht auch kurzweg als der „wichtigste" Nahrungsstoff; der Wert<lb/> eines Nahrungsmittels oder einer ganzen Kost wurde nach dem Eiweißgehalt<lb/> beurteilt; wer gut ernährt werden sollte, wurde vor allen Dingen auf eiweiß-<lb/> haltige Nahrungsmittel verwiesen. Man kann sich nicht leicht eine einseitigere<lb/> und in ihrer Einseitigkeit irrtümlichere Auffassung denken. Man muß sich stets<lb/> gegenwärtig halten, daß das Eiweiß ja nicht überhaupt, sondern nur bis zu<lb/> einem bestimmten, nicht sehr hohen Betrage unentbehrlich ist und auch nur bis<lb/> Zu diesem Betrage für den Aufbau neuer Zellen Verwendung findet. Was dar¬<lb/> über hinaus an Eiweiß in den Körper eingeführt wird, dient dort keinem<lb/> anderen Zwecke als die Kohlehydrate und Fette, nämlich ausschließlich der<lb/> Kraftzufuhr. Diese kann aber nicht nur ebenso gut, sondern sogar zweckmäßiger<lb/> durch Kohlehydrate und Fette erreicht werden als durch Eiweißstoffe. Allen<lb/> eiweißhaltigen Nahrungsmitteln ist es gemeinsam, daß sie außerordentlich reich<lb/> ein Wasser sind. Fleisch enthält 75. Milch 87 Prozent Waffer. Ganz im Gegen-<lb/> satz zu der landläufigen Vorstellung sind sie daher keineswegs besonders kraft-<lb/> haltige. sondern geradezu kraftarme Nahrungsmittel. Die kohlehydrat^ und<lb/> fetthaltigen Bestandteile unserer Nahrung enthalten in den: gleichen Volumen<lb/> sehr viel mehr chemische Kraft. 100 g Fleisch sind gleich etwa 100 Calorien,<lb/> 100g Milch sogar nur gleich 60 Calorien; dagegen enthalten 100 g Brot<lb/> 200 bis 230, 100 g Zucker etwa 400 und 100 g Butter sogar 800 Calorien.<lb/> Eine Nahrung kann daher sehr wohl eiweißreich und dennoch ungenügend sein,<lb/> und eine eiweißarme Nahrung kann gleichwohl die erforderliche, ja sogar eine<lb/> überreichliche Kraftmenge enthalten. Man sieht, wie eine Beurteilung einer<lb/> Kost ausschließlich nach ihrem Eiweißgehalt zu durchaus irrtümlichen Schlüssen<lb/> führen muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1233" next="#ID_1234"> Die Behinderung der Zufuhren und die wegen der Knappheit der Futter¬<lb/> mittel unbedingt erforderliche Einschränkung unserer Viehhaltung haben zu einer<lb/> starken Verminderung unserer eiweißhaltigen Nahrungsmittel geführt. Die stark<lb/> gestiegenen Preise, neuerdings auch die Maßregeln der Regierung zwingen uns<lb/> von unserer bisherigen eiweißreichen Kost zu einer eiweißarmen Ernährung über-<lb/> zugehen. Das kann ohne die geringsten Bedenken geschehen. In den 300 g<lb/> Brot, die uns die Brotkarte zubilligt, sind allein schon rund 20g Eiweiß ent-<lb/> halten, was noch fehlt an der unentbehrlichen Menge, kann sogar, wenn man<lb/> von Fleisch ganz absehen will, durch Fische und Käse zugeführt werden. Für<lb/> die Kraftzufuhr aber bedürfen wir das Eiweiß nicht, diese kann und soll durch<lb/> Kohlehydrate und Fette bewirkt werden. Wenn man gelegentlich die Befürchtung</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1916 22</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0343]
Arieg »ut Ernährung
damit wesentlich oberhalb der untersten Grenze zu sein, so daß auch ein zeit¬
weiliges Heruntergehen unter diesen Betrag noch nicht als bedenklich angesehen
zu werden braucht.
Die Unentbehrlichkeii des Eiweißes in der Nahrung ist es gewesen, die zu
der übertriebenen Bewertung des Eiweißes und aller eiweißhaltigen Nahrungs¬
mittel wie Fleisch. Milch, Eier geführt hat. Das Eiweiß erschien wegen seiner
Unersetzlichkeit leicht auch kurzweg als der „wichtigste" Nahrungsstoff; der Wert
eines Nahrungsmittels oder einer ganzen Kost wurde nach dem Eiweißgehalt
beurteilt; wer gut ernährt werden sollte, wurde vor allen Dingen auf eiweiß-
haltige Nahrungsmittel verwiesen. Man kann sich nicht leicht eine einseitigere
und in ihrer Einseitigkeit irrtümlichere Auffassung denken. Man muß sich stets
gegenwärtig halten, daß das Eiweiß ja nicht überhaupt, sondern nur bis zu
einem bestimmten, nicht sehr hohen Betrage unentbehrlich ist und auch nur bis
Zu diesem Betrage für den Aufbau neuer Zellen Verwendung findet. Was dar¬
über hinaus an Eiweiß in den Körper eingeführt wird, dient dort keinem
anderen Zwecke als die Kohlehydrate und Fette, nämlich ausschließlich der
Kraftzufuhr. Diese kann aber nicht nur ebenso gut, sondern sogar zweckmäßiger
durch Kohlehydrate und Fette erreicht werden als durch Eiweißstoffe. Allen
eiweißhaltigen Nahrungsmitteln ist es gemeinsam, daß sie außerordentlich reich
ein Wasser sind. Fleisch enthält 75. Milch 87 Prozent Waffer. Ganz im Gegen-
satz zu der landläufigen Vorstellung sind sie daher keineswegs besonders kraft-
haltige. sondern geradezu kraftarme Nahrungsmittel. Die kohlehydrat^ und
fetthaltigen Bestandteile unserer Nahrung enthalten in den: gleichen Volumen
sehr viel mehr chemische Kraft. 100 g Fleisch sind gleich etwa 100 Calorien,
100g Milch sogar nur gleich 60 Calorien; dagegen enthalten 100 g Brot
200 bis 230, 100 g Zucker etwa 400 und 100 g Butter sogar 800 Calorien.
Eine Nahrung kann daher sehr wohl eiweißreich und dennoch ungenügend sein,
und eine eiweißarme Nahrung kann gleichwohl die erforderliche, ja sogar eine
überreichliche Kraftmenge enthalten. Man sieht, wie eine Beurteilung einer
Kost ausschließlich nach ihrem Eiweißgehalt zu durchaus irrtümlichen Schlüssen
führen muß.
Die Behinderung der Zufuhren und die wegen der Knappheit der Futter¬
mittel unbedingt erforderliche Einschränkung unserer Viehhaltung haben zu einer
starken Verminderung unserer eiweißhaltigen Nahrungsmittel geführt. Die stark
gestiegenen Preise, neuerdings auch die Maßregeln der Regierung zwingen uns
von unserer bisherigen eiweißreichen Kost zu einer eiweißarmen Ernährung über-
zugehen. Das kann ohne die geringsten Bedenken geschehen. In den 300 g
Brot, die uns die Brotkarte zubilligt, sind allein schon rund 20g Eiweiß ent-
halten, was noch fehlt an der unentbehrlichen Menge, kann sogar, wenn man
von Fleisch ganz absehen will, durch Fische und Käse zugeführt werden. Für
die Kraftzufuhr aber bedürfen wir das Eiweiß nicht, diese kann und soll durch
Kohlehydrate und Fette bewirkt werden. Wenn man gelegentlich die Befürchtung
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