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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Der Kaiserin Josephine Aufstieg

viel genannten Obersten Savaru, sehr niedlich trotz einer etwas zu lang ge¬
ratenen Oberlippe, und die Gemahlin des später als Marschall so berühmt ge¬
wordenen Lannes. jung verheiratet und mit einem Madonnengesicht, dem ihr
sanfter Charakter entsprach. Sie notierte sich -- man denke, was das sagen
will! -- niemals über eine der Mitgeladenen und konnte sogar ohne Erregung
sehen, daß diese oder jene aus der Gesellschaft einen größeren Diamanten oder
eine weißere Perle trug als sie selbst. Überhaupt herrschte am Hoflager des
Ersten Konsuls stets ein heiterer, frischer Ton. ganz im Gegensatze zu den Ge¬
sellschaften des Kollegen Cambacörös; über wie große Liebenswürdigkeit dieser
Persönlich auch gebot -- seine Feste waren förmlich imprägniert mit Langer¬
weile, und wer dort verkehrte, hatte die Empfindung, als umfinge ihn der Palast
des Morpheus. Den Festlichkeiten Bonapartes einen besonderen Glanz zu ver¬
leihen, trug in erster Linie der Zauber bei, der von Josephine ausging. Sie
konnte nicht gerade als imposante Erscheinung gelten, aber ihre ganze Per-
sönlichkeit umschwebte ein eigentümlicher Reiz; ihr Wuchs war tadellos, die
Glieder geschmeidig und zart, die geringste ihrer Bewegungen leicht und elegant;
es glückte ihr. den Beweis zu erbringen, daß unter Umständen Anmut mehr zu
fesseln vermag als Schönheit. Und Hilfesuchenden gegenüber verkörperte sie geradezu
die Güte. Manche Petitionen freilich, die ihr für den Ersten Konsul überreicht
wurden, wanderten wohl, wenn sie seitens ihres Gatten Vorwürfe fürchtete,
ungelesen in den Kamin; ja daß ein Herr de C6rö, kreolischer Herkunft wie sie
selbst, ihr versehentlich statt einer Bittschrift eine Schneiderrechnung übergeben
hatte, ist auf diese Weise nie zu ihrer Kenntnis gelangt. Immerhin wurde
Josephine durch ihre mannigfachen Talente, ihre Herkunft aus adliger Familie
und die Beziehungen, die sie infolge ihrer ersten Ehe zu den royalistischen Kreisen
hatte, eine Art Bindeglied zwischen der früheren und der sich neubildenden
Gesellschaft; mit Geschick und Glück stellte sie ihre Fähigkeiten in den Dienst
einer sozialen Restauration und einer Verschmelzung der politisch heterogenen
Elemente. Mancher Träger und manche Trägerin eines alten Namens wurden
durch sie mit dem neuen Kurse versöhnt; auch in dieser Hinsicht bestand sie ihre
Probezeit für den Thron mit Glanz.

Überhaupt wirkten die neuen Verhältnisse zweifellos veredelnd auf sie ein.
Wir wissen, daß in früheren Tagen ihr Schiff ohne den Kompaß weiblicher
Sittsamkeit im Zickzackkurs der Leidenschaft auf dem Meere des Lebens getrieben
hatte; Veranlagung, Erziehung wie der ganze Geist der Zeit schlössen die Ent¬
wicklung moralischer Grundsätze aus. und so wenig ein Pardel seine Flecken
wandeln kann, vermochte die galante Dame sich plötzlich in eine tugendhafte
Frau zu metamorphosieren. Eine solche Umkehr vollzieht sich nicht von heute
auf morgen. Nun aber paßte fie sich, losgelöst von ihrem früheren Kreise
und in eine sittlich höher stehende Sphäre versetzt, dieser völlig an -- eine Art
Mimikry, die ihr sehr gut stand. Sie mag sich unter den Damen, die ihre
Salons füllten, anfangs vielleicht wie ein schwarzes Schaf vorgekommen sein,


Der Kaiserin Josephine Aufstieg

viel genannten Obersten Savaru, sehr niedlich trotz einer etwas zu lang ge¬
ratenen Oberlippe, und die Gemahlin des später als Marschall so berühmt ge¬
wordenen Lannes. jung verheiratet und mit einem Madonnengesicht, dem ihr
sanfter Charakter entsprach. Sie notierte sich — man denke, was das sagen
will! — niemals über eine der Mitgeladenen und konnte sogar ohne Erregung
sehen, daß diese oder jene aus der Gesellschaft einen größeren Diamanten oder
eine weißere Perle trug als sie selbst. Überhaupt herrschte am Hoflager des
Ersten Konsuls stets ein heiterer, frischer Ton. ganz im Gegensatze zu den Ge¬
sellschaften des Kollegen Cambacörös; über wie große Liebenswürdigkeit dieser
Persönlich auch gebot — seine Feste waren förmlich imprägniert mit Langer¬
weile, und wer dort verkehrte, hatte die Empfindung, als umfinge ihn der Palast
des Morpheus. Den Festlichkeiten Bonapartes einen besonderen Glanz zu ver¬
leihen, trug in erster Linie der Zauber bei, der von Josephine ausging. Sie
konnte nicht gerade als imposante Erscheinung gelten, aber ihre ganze Per-
sönlichkeit umschwebte ein eigentümlicher Reiz; ihr Wuchs war tadellos, die
Glieder geschmeidig und zart, die geringste ihrer Bewegungen leicht und elegant;
es glückte ihr. den Beweis zu erbringen, daß unter Umständen Anmut mehr zu
fesseln vermag als Schönheit. Und Hilfesuchenden gegenüber verkörperte sie geradezu
die Güte. Manche Petitionen freilich, die ihr für den Ersten Konsul überreicht
wurden, wanderten wohl, wenn sie seitens ihres Gatten Vorwürfe fürchtete,
ungelesen in den Kamin; ja daß ein Herr de C6rö, kreolischer Herkunft wie sie
selbst, ihr versehentlich statt einer Bittschrift eine Schneiderrechnung übergeben
hatte, ist auf diese Weise nie zu ihrer Kenntnis gelangt. Immerhin wurde
Josephine durch ihre mannigfachen Talente, ihre Herkunft aus adliger Familie
und die Beziehungen, die sie infolge ihrer ersten Ehe zu den royalistischen Kreisen
hatte, eine Art Bindeglied zwischen der früheren und der sich neubildenden
Gesellschaft; mit Geschick und Glück stellte sie ihre Fähigkeiten in den Dienst
einer sozialen Restauration und einer Verschmelzung der politisch heterogenen
Elemente. Mancher Träger und manche Trägerin eines alten Namens wurden
durch sie mit dem neuen Kurse versöhnt; auch in dieser Hinsicht bestand sie ihre
Probezeit für den Thron mit Glanz.

Überhaupt wirkten die neuen Verhältnisse zweifellos veredelnd auf sie ein.
Wir wissen, daß in früheren Tagen ihr Schiff ohne den Kompaß weiblicher
Sittsamkeit im Zickzackkurs der Leidenschaft auf dem Meere des Lebens getrieben
hatte; Veranlagung, Erziehung wie der ganze Geist der Zeit schlössen die Ent¬
wicklung moralischer Grundsätze aus. und so wenig ein Pardel seine Flecken
wandeln kann, vermochte die galante Dame sich plötzlich in eine tugendhafte
Frau zu metamorphosieren. Eine solche Umkehr vollzieht sich nicht von heute
auf morgen. Nun aber paßte fie sich, losgelöst von ihrem früheren Kreise
und in eine sittlich höher stehende Sphäre versetzt, dieser völlig an — eine Art
Mimikry, die ihr sehr gut stand. Sie mag sich unter den Damen, die ihre
Salons füllten, anfangs vielleicht wie ein schwarzes Schaf vorgekommen sein,


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[0289] Der Kaiserin Josephine Aufstieg viel genannten Obersten Savaru, sehr niedlich trotz einer etwas zu lang ge¬ ratenen Oberlippe, und die Gemahlin des später als Marschall so berühmt ge¬ wordenen Lannes. jung verheiratet und mit einem Madonnengesicht, dem ihr sanfter Charakter entsprach. Sie notierte sich — man denke, was das sagen will! — niemals über eine der Mitgeladenen und konnte sogar ohne Erregung sehen, daß diese oder jene aus der Gesellschaft einen größeren Diamanten oder eine weißere Perle trug als sie selbst. Überhaupt herrschte am Hoflager des Ersten Konsuls stets ein heiterer, frischer Ton. ganz im Gegensatze zu den Ge¬ sellschaften des Kollegen Cambacörös; über wie große Liebenswürdigkeit dieser Persönlich auch gebot — seine Feste waren förmlich imprägniert mit Langer¬ weile, und wer dort verkehrte, hatte die Empfindung, als umfinge ihn der Palast des Morpheus. Den Festlichkeiten Bonapartes einen besonderen Glanz zu ver¬ leihen, trug in erster Linie der Zauber bei, der von Josephine ausging. Sie konnte nicht gerade als imposante Erscheinung gelten, aber ihre ganze Per- sönlichkeit umschwebte ein eigentümlicher Reiz; ihr Wuchs war tadellos, die Glieder geschmeidig und zart, die geringste ihrer Bewegungen leicht und elegant; es glückte ihr. den Beweis zu erbringen, daß unter Umständen Anmut mehr zu fesseln vermag als Schönheit. Und Hilfesuchenden gegenüber verkörperte sie geradezu die Güte. Manche Petitionen freilich, die ihr für den Ersten Konsul überreicht wurden, wanderten wohl, wenn sie seitens ihres Gatten Vorwürfe fürchtete, ungelesen in den Kamin; ja daß ein Herr de C6rö, kreolischer Herkunft wie sie selbst, ihr versehentlich statt einer Bittschrift eine Schneiderrechnung übergeben hatte, ist auf diese Weise nie zu ihrer Kenntnis gelangt. Immerhin wurde Josephine durch ihre mannigfachen Talente, ihre Herkunft aus adliger Familie und die Beziehungen, die sie infolge ihrer ersten Ehe zu den royalistischen Kreisen hatte, eine Art Bindeglied zwischen der früheren und der sich neubildenden Gesellschaft; mit Geschick und Glück stellte sie ihre Fähigkeiten in den Dienst einer sozialen Restauration und einer Verschmelzung der politisch heterogenen Elemente. Mancher Träger und manche Trägerin eines alten Namens wurden durch sie mit dem neuen Kurse versöhnt; auch in dieser Hinsicht bestand sie ihre Probezeit für den Thron mit Glanz. Überhaupt wirkten die neuen Verhältnisse zweifellos veredelnd auf sie ein. Wir wissen, daß in früheren Tagen ihr Schiff ohne den Kompaß weiblicher Sittsamkeit im Zickzackkurs der Leidenschaft auf dem Meere des Lebens getrieben hatte; Veranlagung, Erziehung wie der ganze Geist der Zeit schlössen die Ent¬ wicklung moralischer Grundsätze aus. und so wenig ein Pardel seine Flecken wandeln kann, vermochte die galante Dame sich plötzlich in eine tugendhafte Frau zu metamorphosieren. Eine solche Umkehr vollzieht sich nicht von heute auf morgen. Nun aber paßte fie sich, losgelöst von ihrem früheren Kreise und in eine sittlich höher stehende Sphäre versetzt, dieser völlig an — eine Art Mimikry, die ihr sehr gut stand. Sie mag sich unter den Damen, die ihre Salons füllten, anfangs vielleicht wie ein schwarzes Schaf vorgekommen sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/289>, abgerufen am 26.06.2024.