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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Stärke und Macht dos Deutschtums i" den baltischen Provinzen

städtischen Immobilien unter die verschiedenen Nationalitäten sind keine Daten
veröffentlicht worden, die gesammelten unveröffentlichten mir nicht zugänglich.
Da nach der Volkszählung von 1897 die deutsche Bevölkerung der Ostseeprovinzen
etwa 7 Prozent der gesammten ausmacht, diese aber zum größten Teil in den
Städten sitzt, in Riga z. B. über 25 Prozent, in Dorpat über 16 Prozent,
in Liban fast 24 Prozent, in Mitau über 27 Prozent Deutsche waren, da
ferner grade die deutsche Bevölkerung in der besitzenden Schicht besonders stark
vertreten ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß die Besitzverhältnisse in
den Städten günstiger als auf dem Lande sind. Gewisse Anhaltspunkte geben
die Resultate der Stadtverordnetenwahlen. Das Wahlrecht in den Siädten haben
nämlich außer den Inhabern der größeren Handels- und Gewerbeunternehmungen
die Besitzer eines in der betreffenden Stadt besteuerten Jmmobils von einem
gewissen Mindestwerte an. In den Gouvernementsstädten mit über 100000 Ein¬
wohnern (im Baltikum also Riga und Reval) ist dieser Mindestwert mit 1500 Rubel,
in den übrigen Städten mit 1000 Rubel, in den kleineren Städten und Flecken
mit 300 Rubel, in den kleinen Städten und Flecken, die die sogenannte ver¬
einfachte Kommunalverwaltung haben, sogar mit nur 100 Rubel festgesetzt.
Niemand darf mehr als zwei Stimmen, die eine für sich und die andere für seinen
Vollmachtgeber haben. Den vorgeschriebenen Mindestwert erhalten die Grund¬
stücke natürlich fast immer. Der Deutsche also, der in Riga 5 Häuser im Werte von
Millionen besitzt, hat bei der Wahl nicht mehr Einfluß, als der des Lesens
und Schreibens unkundige Erdarbeiter, der in der Peripherie der Stadt eine
Wiese mit einem Häuschen drauf, in Riga "Kisse" genannt, besitzt. Da die
großen Immobilien in Riga und den andern Städten vorwiegend deutsches
Eigentum sind, um die meisten Städte sich aber in den letzten Jahren ein
Kranz von solchen "Kiffenbesitzern", der in einer kurländischsn Stadt sogar im
lettischen Volksmunde den bezeichnenden Namen "Saglzeem" d. h. Diebsheim
bekommen hat, gelegt hat, schien es mit Hilfe der russischen Stadtordnung für die
Negierung kein Kunstück, die deutsche Herrschaft in einer Anzahl von Städten zu
brechen. Der Einfluß des Deutschtums war aber doch mächtiger, als man geglaubt
hatte. Man mußte noch zu besonderen Maßregeln greisen, um ihn zu beseitigen.
So wurde 1892 den Juden, die es politisch immer mit den Deutschen gehalten haben,
'ob die speziell in Kurland einen recht großen Teil der städtischen Immobilien
besitzen, das Wahlrecht genommen. In Reval schuf die Regierung zum gleichen
Zwecke Wahlbezirke, die es sonst in Baltikum nicht gibt. So ist die Majorität
der Stadtverordnetenversammlungen in 14 von den 28 Städten, darunter Re¬
val. jetzt chemisch oder keltisch oder (in Wenden) chemisch-keltisch. In Libau :se
es zu einem Kompromiß gekommen: Die Stadtverwaltung ist halb deutsch, halb
chemisch. Mau sieht daraus nebenbei, daß ein russischer Jmmobilienbesitz auch
in den Städten keine Rolle spielt. Die Majorität der Stadtverordneten und
damit bie Beamtenschaft sind deutsch in den Städten: Riga. Dorpat. Lemsal.
Pernau. Fellin. Arensburg. Hapsal. Weißenstein. Mitau, Grobin, Hascnpoth.


Stärke und Macht dos Deutschtums i» den baltischen Provinzen

städtischen Immobilien unter die verschiedenen Nationalitäten sind keine Daten
veröffentlicht worden, die gesammelten unveröffentlichten mir nicht zugänglich.
Da nach der Volkszählung von 1897 die deutsche Bevölkerung der Ostseeprovinzen
etwa 7 Prozent der gesammten ausmacht, diese aber zum größten Teil in den
Städten sitzt, in Riga z. B. über 25 Prozent, in Dorpat über 16 Prozent,
in Liban fast 24 Prozent, in Mitau über 27 Prozent Deutsche waren, da
ferner grade die deutsche Bevölkerung in der besitzenden Schicht besonders stark
vertreten ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß die Besitzverhältnisse in
den Städten günstiger als auf dem Lande sind. Gewisse Anhaltspunkte geben
die Resultate der Stadtverordnetenwahlen. Das Wahlrecht in den Siädten haben
nämlich außer den Inhabern der größeren Handels- und Gewerbeunternehmungen
die Besitzer eines in der betreffenden Stadt besteuerten Jmmobils von einem
gewissen Mindestwerte an. In den Gouvernementsstädten mit über 100000 Ein¬
wohnern (im Baltikum also Riga und Reval) ist dieser Mindestwert mit 1500 Rubel,
in den übrigen Städten mit 1000 Rubel, in den kleineren Städten und Flecken
mit 300 Rubel, in den kleinen Städten und Flecken, die die sogenannte ver¬
einfachte Kommunalverwaltung haben, sogar mit nur 100 Rubel festgesetzt.
Niemand darf mehr als zwei Stimmen, die eine für sich und die andere für seinen
Vollmachtgeber haben. Den vorgeschriebenen Mindestwert erhalten die Grund¬
stücke natürlich fast immer. Der Deutsche also, der in Riga 5 Häuser im Werte von
Millionen besitzt, hat bei der Wahl nicht mehr Einfluß, als der des Lesens
und Schreibens unkundige Erdarbeiter, der in der Peripherie der Stadt eine
Wiese mit einem Häuschen drauf, in Riga „Kisse" genannt, besitzt. Da die
großen Immobilien in Riga und den andern Städten vorwiegend deutsches
Eigentum sind, um die meisten Städte sich aber in den letzten Jahren ein
Kranz von solchen „Kiffenbesitzern", der in einer kurländischsn Stadt sogar im
lettischen Volksmunde den bezeichnenden Namen „Saglzeem" d. h. Diebsheim
bekommen hat, gelegt hat, schien es mit Hilfe der russischen Stadtordnung für die
Negierung kein Kunstück, die deutsche Herrschaft in einer Anzahl von Städten zu
brechen. Der Einfluß des Deutschtums war aber doch mächtiger, als man geglaubt
hatte. Man mußte noch zu besonderen Maßregeln greisen, um ihn zu beseitigen.
So wurde 1892 den Juden, die es politisch immer mit den Deutschen gehalten haben,
'ob die speziell in Kurland einen recht großen Teil der städtischen Immobilien
besitzen, das Wahlrecht genommen. In Reval schuf die Regierung zum gleichen
Zwecke Wahlbezirke, die es sonst in Baltikum nicht gibt. So ist die Majorität
der Stadtverordnetenversammlungen in 14 von den 28 Städten, darunter Re¬
val. jetzt chemisch oder keltisch oder (in Wenden) chemisch-keltisch. In Libau :se
es zu einem Kompromiß gekommen: Die Stadtverwaltung ist halb deutsch, halb
chemisch. Mau sieht daraus nebenbei, daß ein russischer Jmmobilienbesitz auch
in den Städten keine Rolle spielt. Die Majorität der Stadtverordneten und
damit bie Beamtenschaft sind deutsch in den Städten: Riga. Dorpat. Lemsal.
Pernau. Fellin. Arensburg. Hapsal. Weißenstein. Mitau, Grobin, Hascnpoth.


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[0283] Stärke und Macht dos Deutschtums i» den baltischen Provinzen städtischen Immobilien unter die verschiedenen Nationalitäten sind keine Daten veröffentlicht worden, die gesammelten unveröffentlichten mir nicht zugänglich. Da nach der Volkszählung von 1897 die deutsche Bevölkerung der Ostseeprovinzen etwa 7 Prozent der gesammten ausmacht, diese aber zum größten Teil in den Städten sitzt, in Riga z. B. über 25 Prozent, in Dorpat über 16 Prozent, in Liban fast 24 Prozent, in Mitau über 27 Prozent Deutsche waren, da ferner grade die deutsche Bevölkerung in der besitzenden Schicht besonders stark vertreten ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß die Besitzverhältnisse in den Städten günstiger als auf dem Lande sind. Gewisse Anhaltspunkte geben die Resultate der Stadtverordnetenwahlen. Das Wahlrecht in den Siädten haben nämlich außer den Inhabern der größeren Handels- und Gewerbeunternehmungen die Besitzer eines in der betreffenden Stadt besteuerten Jmmobils von einem gewissen Mindestwerte an. In den Gouvernementsstädten mit über 100000 Ein¬ wohnern (im Baltikum also Riga und Reval) ist dieser Mindestwert mit 1500 Rubel, in den übrigen Städten mit 1000 Rubel, in den kleineren Städten und Flecken mit 300 Rubel, in den kleinen Städten und Flecken, die die sogenannte ver¬ einfachte Kommunalverwaltung haben, sogar mit nur 100 Rubel festgesetzt. Niemand darf mehr als zwei Stimmen, die eine für sich und die andere für seinen Vollmachtgeber haben. Den vorgeschriebenen Mindestwert erhalten die Grund¬ stücke natürlich fast immer. Der Deutsche also, der in Riga 5 Häuser im Werte von Millionen besitzt, hat bei der Wahl nicht mehr Einfluß, als der des Lesens und Schreibens unkundige Erdarbeiter, der in der Peripherie der Stadt eine Wiese mit einem Häuschen drauf, in Riga „Kisse" genannt, besitzt. Da die großen Immobilien in Riga und den andern Städten vorwiegend deutsches Eigentum sind, um die meisten Städte sich aber in den letzten Jahren ein Kranz von solchen „Kiffenbesitzern", der in einer kurländischsn Stadt sogar im lettischen Volksmunde den bezeichnenden Namen „Saglzeem" d. h. Diebsheim bekommen hat, gelegt hat, schien es mit Hilfe der russischen Stadtordnung für die Negierung kein Kunstück, die deutsche Herrschaft in einer Anzahl von Städten zu brechen. Der Einfluß des Deutschtums war aber doch mächtiger, als man geglaubt hatte. Man mußte noch zu besonderen Maßregeln greisen, um ihn zu beseitigen. So wurde 1892 den Juden, die es politisch immer mit den Deutschen gehalten haben, 'ob die speziell in Kurland einen recht großen Teil der städtischen Immobilien besitzen, das Wahlrecht genommen. In Reval schuf die Regierung zum gleichen Zwecke Wahlbezirke, die es sonst in Baltikum nicht gibt. So ist die Majorität der Stadtverordnetenversammlungen in 14 von den 28 Städten, darunter Re¬ val. jetzt chemisch oder keltisch oder (in Wenden) chemisch-keltisch. In Libau :se es zu einem Kompromiß gekommen: Die Stadtverwaltung ist halb deutsch, halb chemisch. Mau sieht daraus nebenbei, daß ein russischer Jmmobilienbesitz auch in den Städten keine Rolle spielt. Die Majorität der Stadtverordneten und damit bie Beamtenschaft sind deutsch in den Städten: Riga. Dorpat. Lemsal. Pernau. Fellin. Arensburg. Hapsal. Weißenstein. Mitau, Grobin, Hascnpoth.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/283>, abgerufen am 27.12.2024.