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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Das deutsche Volkserwachen in (Oesterreich

Fügung empor, mächtig in das altdeutsche Land hineinragend wie ein Magnet,
aufragend gegen fränkischen Wahnwitz. Immer enger schlossen sich die süd¬
deutschen Teile an den nordischen Magnet. Indessen hatten die einstigen Mit¬
glieder des Deutschen Nationalvereins in Österreich eine schwere Arbeit. Be¬
kanntlich hatte sich diese Organisation bald nach 1866 aufgelöst und die liberale
Partei gespalten in einen nationalen und demokratischen Flügel. Es war der
Natur der Dinge nicht anders möglich, als daß sich die österreichischen nationalen
für das nationalliberale Programm erklärten und hier ihre Tätigkeit auf die
Weckung des Nationalbewußtseins sowie auf die Hemmung jedes störenden Ein¬
greifens der Regierung in das deutsche Eiuigungswerk richteten. Es war das
sehr schwierig, da einerseits die österreichische Regierung durch ein recht frei¬
heitliches Regime ("Freiheit wie in Österreich!") die Süddeutschen an sich zu
ketten hoffte und im Bunde mit Frankreich die "revancke pour LacZoxva" in
die Wege zu leiten gedachte, anderseits die Großösterreicher jeder deutschnationalen
Denkungsart den Krieg erklärten und sich als Apostel der Humanität gebärdeten.
Kosmopolitismus und Preußenhaß war ihr Programm; der eine hat die Deutsch-
österreicher ihrer Vormachtstellung in Österreich beraubt, der andere ging so
weit, daß ein steirischer Notar seinen Hund -- Bismarck nannte! Infolge des
Mangels einer deutschen Presse waren die nationalen auf Vereinsveranstaltungen
angewiesen; in Wien, Marburg, Graz, Klagenfurt und anderen Orten bestanden
sogenannte "Vereine der Deutschnationalen", die ihre Hauptaufgabe in der
Erweckung eines umfassenden deutschen Nattonalgefühls, Bekämpfung des
unsinnigen Preußen- und Bismarckhasses erblickten. Besonders das deutsche
Schützenfest in Wien im Jahre 1868 war ganz im Zeichen des Preußenhasses
und gegründet auf diese Stimmung wurde im April 1870 bereits versucht,
Österreich in die militärischen Netze Frankreichs zu locken. Aber die nationalen,
tüchtige Führer des österreichischen Deutschtums, wie Heinrich Brunner, Wilhelm
Scherer, Franz Masaidek, Steinwender, Riehl in Graz, Friedjung in Prag und
viele andere erhielten dennoch die Oberhand, als der große Krieg ausbrach.
Es bleibt eine unvergeßliche Erinnerung für jeden, der diese großen Tage mit¬
machen durfte, wie plötzlich der Haß gegen den "Vollblutpreußen" Bismarck
und dessen Schöpfung in eine ebenso glühende Verehrung umschlug. Schon
unmittelbar nach Kriegsausbruch erließen die Deutschnationalen Aufrufe zur
Neutralität; im Hinblick auf die dadurch gewaltig erregte deutsche Volksströmung
und auf den Rat Andrassys schränkte im letzten Moment die Regierung noch
die Mobilisierung der Kavalleriekaders ein und erklärte sich zur Neutralität.
Trotzdem gab es eine schürende und wühlende Kriegspartei, die alle Minen
springen ließ, um eine Intervention Österreichs zugunsten Frankreichs herbei¬
zuführen. Doch waren die mit der Kriegspartei verbündeten Demokraten bereits
mit den ersten einlangenden deutschen Siegesnachrichten in das Hintertreffen
geraten und die nationalen beherrschten völlig das Terrain. Die Begeisterung
für Preußen-Deutschland war in der deutschen Jugend Österreichs eine un-


Das deutsche Volkserwachen in (Oesterreich

Fügung empor, mächtig in das altdeutsche Land hineinragend wie ein Magnet,
aufragend gegen fränkischen Wahnwitz. Immer enger schlossen sich die süd¬
deutschen Teile an den nordischen Magnet. Indessen hatten die einstigen Mit¬
glieder des Deutschen Nationalvereins in Österreich eine schwere Arbeit. Be¬
kanntlich hatte sich diese Organisation bald nach 1866 aufgelöst und die liberale
Partei gespalten in einen nationalen und demokratischen Flügel. Es war der
Natur der Dinge nicht anders möglich, als daß sich die österreichischen nationalen
für das nationalliberale Programm erklärten und hier ihre Tätigkeit auf die
Weckung des Nationalbewußtseins sowie auf die Hemmung jedes störenden Ein¬
greifens der Regierung in das deutsche Eiuigungswerk richteten. Es war das
sehr schwierig, da einerseits die österreichische Regierung durch ein recht frei¬
heitliches Regime („Freiheit wie in Österreich!") die Süddeutschen an sich zu
ketten hoffte und im Bunde mit Frankreich die „revancke pour LacZoxva" in
die Wege zu leiten gedachte, anderseits die Großösterreicher jeder deutschnationalen
Denkungsart den Krieg erklärten und sich als Apostel der Humanität gebärdeten.
Kosmopolitismus und Preußenhaß war ihr Programm; der eine hat die Deutsch-
österreicher ihrer Vormachtstellung in Österreich beraubt, der andere ging so
weit, daß ein steirischer Notar seinen Hund — Bismarck nannte! Infolge des
Mangels einer deutschen Presse waren die nationalen auf Vereinsveranstaltungen
angewiesen; in Wien, Marburg, Graz, Klagenfurt und anderen Orten bestanden
sogenannte „Vereine der Deutschnationalen", die ihre Hauptaufgabe in der
Erweckung eines umfassenden deutschen Nattonalgefühls, Bekämpfung des
unsinnigen Preußen- und Bismarckhasses erblickten. Besonders das deutsche
Schützenfest in Wien im Jahre 1868 war ganz im Zeichen des Preußenhasses
und gegründet auf diese Stimmung wurde im April 1870 bereits versucht,
Österreich in die militärischen Netze Frankreichs zu locken. Aber die nationalen,
tüchtige Führer des österreichischen Deutschtums, wie Heinrich Brunner, Wilhelm
Scherer, Franz Masaidek, Steinwender, Riehl in Graz, Friedjung in Prag und
viele andere erhielten dennoch die Oberhand, als der große Krieg ausbrach.
Es bleibt eine unvergeßliche Erinnerung für jeden, der diese großen Tage mit¬
machen durfte, wie plötzlich der Haß gegen den „Vollblutpreußen" Bismarck
und dessen Schöpfung in eine ebenso glühende Verehrung umschlug. Schon
unmittelbar nach Kriegsausbruch erließen die Deutschnationalen Aufrufe zur
Neutralität; im Hinblick auf die dadurch gewaltig erregte deutsche Volksströmung
und auf den Rat Andrassys schränkte im letzten Moment die Regierung noch
die Mobilisierung der Kavalleriekaders ein und erklärte sich zur Neutralität.
Trotzdem gab es eine schürende und wühlende Kriegspartei, die alle Minen
springen ließ, um eine Intervention Österreichs zugunsten Frankreichs herbei¬
zuführen. Doch waren die mit der Kriegspartei verbündeten Demokraten bereits
mit den ersten einlangenden deutschen Siegesnachrichten in das Hintertreffen
geraten und die nationalen beherrschten völlig das Terrain. Die Begeisterung
für Preußen-Deutschland war in der deutschen Jugend Österreichs eine un-


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[0026] Das deutsche Volkserwachen in (Oesterreich Fügung empor, mächtig in das altdeutsche Land hineinragend wie ein Magnet, aufragend gegen fränkischen Wahnwitz. Immer enger schlossen sich die süd¬ deutschen Teile an den nordischen Magnet. Indessen hatten die einstigen Mit¬ glieder des Deutschen Nationalvereins in Österreich eine schwere Arbeit. Be¬ kanntlich hatte sich diese Organisation bald nach 1866 aufgelöst und die liberale Partei gespalten in einen nationalen und demokratischen Flügel. Es war der Natur der Dinge nicht anders möglich, als daß sich die österreichischen nationalen für das nationalliberale Programm erklärten und hier ihre Tätigkeit auf die Weckung des Nationalbewußtseins sowie auf die Hemmung jedes störenden Ein¬ greifens der Regierung in das deutsche Eiuigungswerk richteten. Es war das sehr schwierig, da einerseits die österreichische Regierung durch ein recht frei¬ heitliches Regime („Freiheit wie in Österreich!") die Süddeutschen an sich zu ketten hoffte und im Bunde mit Frankreich die „revancke pour LacZoxva" in die Wege zu leiten gedachte, anderseits die Großösterreicher jeder deutschnationalen Denkungsart den Krieg erklärten und sich als Apostel der Humanität gebärdeten. Kosmopolitismus und Preußenhaß war ihr Programm; der eine hat die Deutsch- österreicher ihrer Vormachtstellung in Österreich beraubt, der andere ging so weit, daß ein steirischer Notar seinen Hund — Bismarck nannte! Infolge des Mangels einer deutschen Presse waren die nationalen auf Vereinsveranstaltungen angewiesen; in Wien, Marburg, Graz, Klagenfurt und anderen Orten bestanden sogenannte „Vereine der Deutschnationalen", die ihre Hauptaufgabe in der Erweckung eines umfassenden deutschen Nattonalgefühls, Bekämpfung des unsinnigen Preußen- und Bismarckhasses erblickten. Besonders das deutsche Schützenfest in Wien im Jahre 1868 war ganz im Zeichen des Preußenhasses und gegründet auf diese Stimmung wurde im April 1870 bereits versucht, Österreich in die militärischen Netze Frankreichs zu locken. Aber die nationalen, tüchtige Führer des österreichischen Deutschtums, wie Heinrich Brunner, Wilhelm Scherer, Franz Masaidek, Steinwender, Riehl in Graz, Friedjung in Prag und viele andere erhielten dennoch die Oberhand, als der große Krieg ausbrach. Es bleibt eine unvergeßliche Erinnerung für jeden, der diese großen Tage mit¬ machen durfte, wie plötzlich der Haß gegen den „Vollblutpreußen" Bismarck und dessen Schöpfung in eine ebenso glühende Verehrung umschlug. Schon unmittelbar nach Kriegsausbruch erließen die Deutschnationalen Aufrufe zur Neutralität; im Hinblick auf die dadurch gewaltig erregte deutsche Volksströmung und auf den Rat Andrassys schränkte im letzten Moment die Regierung noch die Mobilisierung der Kavalleriekaders ein und erklärte sich zur Neutralität. Trotzdem gab es eine schürende und wühlende Kriegspartei, die alle Minen springen ließ, um eine Intervention Österreichs zugunsten Frankreichs herbei¬ zuführen. Doch waren die mit der Kriegspartei verbündeten Demokraten bereits mit den ersten einlangenden deutschen Siegesnachrichten in das Hintertreffen geraten und die nationalen beherrschten völlig das Terrain. Die Begeisterung für Preußen-Deutschland war in der deutschen Jugend Österreichs eine un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/26>, abgerufen am 28.09.2024.