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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Zeitung und Hochschule

Redakteure ausgearbeitet, der im ersten Semester Nechtsencyllopädie, allgemeines
Staatsrecht, eidgenössisches Bundesstaatsrecht, Geschichte der Philosophie, theore¬
tische Nationalökonomie, allgemeine Geschichte, Geschichte der deutschen sowie
der französischen Sprache und Literatur, im zweiten Semester Rechtsphilosophie,
schweizerische Rechtsgeschichte, eidgenössisches Bundesstaatsrecht, praktische National¬
ökonomie, Wirtschaftspolitik, allgemeine und Schweizer Geschichte, Geschichte der
deutschen Literatur und endlich Geographie aufweist. Als erhebliche Lücke in
diesem Plane muß man es empfinden, daß die Zeitungsgeschichte fehlt; die bei
der Fülle des Stoffes knapp bemessene Zeit nötigte wohl dazu, sie beiseite
zu lassen.

Auch in Deutschland hat sich in letzter Zeit auf den Universitäten ein
reges Interesse für die Zeitung, ihr Wesen und ihr Werden, gezeigt. An vielen
deutschen Hochschulen finden hier und da Vorlesungen über journalistische Fragen
aus Theorie und Praxis statt. Zahlreiche gründliche akademische Abhandlungen,
Dissertationen, Preisschriften usw. behandeln die verschiedenen Gebiete des
Journalismus unseres deutschen Vaterlandes und bilden wertvolle Vorarbeiten
für eine kritisch großzügig angelegte Geschichte der deutschen Presse, die uns
noch fehlt. Leider hat sich aber dieser Zweig der Forschung noch nicht der¬
selben Gunst der Behörden zu erfreuen, wie in anderen Ländern. In Frankreich
zum Beispiel ist ein großes Werk über die französische Presse mit staatlicher,
finanzieller Unterstützung erschienen. Auch hat die Presse des Auslandes in
Deutschland noch nicht die Beachtung gefunden, die sie bei ihrer tiefer in das
Volksleben eingreifenden und das politische Denken bestimmenden Macht ver¬
dient hätte. Diese Vernachlässigung hat sich aber im Weltkrieg bitter gerächt;
manche Enttäuschung wäre uns erspart geblieben, hätten wir mehr auf die
Stimmen im Pressewald anderer Länder geachtet, statt uns in unseren Zeitungen
in inneren Angelegenheiten zu befehden.

Das Beispiel des Heidelberger journalistischen Seminars, das auf einer
Studienreise die größten englischen Zeituugsunternehmen besichtigte, steht leider
ganz vereinzelt da.

Die Forderung, daß auch die Presse an unseren Hochschulen die gebührende
Beachtung finde, entspringt nicht etwa ehrgeizigem Streben der Journalisten, sie
ist einfach durch die Zeitverhältnisse bedingt. In doppelter Weise kann eine
engere Verbindung unserer beiden großen Erziehungsmittel zum Segen werden
-- und Erziehungsmittel zu werden, muß beider Bestreben, sein. Der Zeitungs¬
schreiber muß etwas vom Universitätsdozenten, von der Gründlichkeit, der
kritischen Sichtung, der Objektivität deutscher Wissenschaft annehmen, aber auch
der Dozent kann häufig vom Journalisten lernen, seine Wissenschaft im Sinne
Schlözers nicht nur zunftgemäß darzubieten und zu verwerten. Beide Stände
müssen von ihrer Eigentümlichkeit, die durch die Entwicklung bedingt ist, etwas
opfern. Der Professor muß aus der Abgeschlossenheit des Hörsaals mehr auf
das Forum des öffentlichen Lebens gehen, und der Journalist wird auf die


Zeitung und Hochschule

Redakteure ausgearbeitet, der im ersten Semester Nechtsencyllopädie, allgemeines
Staatsrecht, eidgenössisches Bundesstaatsrecht, Geschichte der Philosophie, theore¬
tische Nationalökonomie, allgemeine Geschichte, Geschichte der deutschen sowie
der französischen Sprache und Literatur, im zweiten Semester Rechtsphilosophie,
schweizerische Rechtsgeschichte, eidgenössisches Bundesstaatsrecht, praktische National¬
ökonomie, Wirtschaftspolitik, allgemeine und Schweizer Geschichte, Geschichte der
deutschen Literatur und endlich Geographie aufweist. Als erhebliche Lücke in
diesem Plane muß man es empfinden, daß die Zeitungsgeschichte fehlt; die bei
der Fülle des Stoffes knapp bemessene Zeit nötigte wohl dazu, sie beiseite
zu lassen.

Auch in Deutschland hat sich in letzter Zeit auf den Universitäten ein
reges Interesse für die Zeitung, ihr Wesen und ihr Werden, gezeigt. An vielen
deutschen Hochschulen finden hier und da Vorlesungen über journalistische Fragen
aus Theorie und Praxis statt. Zahlreiche gründliche akademische Abhandlungen,
Dissertationen, Preisschriften usw. behandeln die verschiedenen Gebiete des
Journalismus unseres deutschen Vaterlandes und bilden wertvolle Vorarbeiten
für eine kritisch großzügig angelegte Geschichte der deutschen Presse, die uns
noch fehlt. Leider hat sich aber dieser Zweig der Forschung noch nicht der¬
selben Gunst der Behörden zu erfreuen, wie in anderen Ländern. In Frankreich
zum Beispiel ist ein großes Werk über die französische Presse mit staatlicher,
finanzieller Unterstützung erschienen. Auch hat die Presse des Auslandes in
Deutschland noch nicht die Beachtung gefunden, die sie bei ihrer tiefer in das
Volksleben eingreifenden und das politische Denken bestimmenden Macht ver¬
dient hätte. Diese Vernachlässigung hat sich aber im Weltkrieg bitter gerächt;
manche Enttäuschung wäre uns erspart geblieben, hätten wir mehr auf die
Stimmen im Pressewald anderer Länder geachtet, statt uns in unseren Zeitungen
in inneren Angelegenheiten zu befehden.

Das Beispiel des Heidelberger journalistischen Seminars, das auf einer
Studienreise die größten englischen Zeituugsunternehmen besichtigte, steht leider
ganz vereinzelt da.

Die Forderung, daß auch die Presse an unseren Hochschulen die gebührende
Beachtung finde, entspringt nicht etwa ehrgeizigem Streben der Journalisten, sie
ist einfach durch die Zeitverhältnisse bedingt. In doppelter Weise kann eine
engere Verbindung unserer beiden großen Erziehungsmittel zum Segen werden
— und Erziehungsmittel zu werden, muß beider Bestreben, sein. Der Zeitungs¬
schreiber muß etwas vom Universitätsdozenten, von der Gründlichkeit, der
kritischen Sichtung, der Objektivität deutscher Wissenschaft annehmen, aber auch
der Dozent kann häufig vom Journalisten lernen, seine Wissenschaft im Sinne
Schlözers nicht nur zunftgemäß darzubieten und zu verwerten. Beide Stände
müssen von ihrer Eigentümlichkeit, die durch die Entwicklung bedingt ist, etwas
opfern. Der Professor muß aus der Abgeschlossenheit des Hörsaals mehr auf
das Forum des öffentlichen Lebens gehen, und der Journalist wird auf die


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[0258] Zeitung und Hochschule Redakteure ausgearbeitet, der im ersten Semester Nechtsencyllopädie, allgemeines Staatsrecht, eidgenössisches Bundesstaatsrecht, Geschichte der Philosophie, theore¬ tische Nationalökonomie, allgemeine Geschichte, Geschichte der deutschen sowie der französischen Sprache und Literatur, im zweiten Semester Rechtsphilosophie, schweizerische Rechtsgeschichte, eidgenössisches Bundesstaatsrecht, praktische National¬ ökonomie, Wirtschaftspolitik, allgemeine und Schweizer Geschichte, Geschichte der deutschen Literatur und endlich Geographie aufweist. Als erhebliche Lücke in diesem Plane muß man es empfinden, daß die Zeitungsgeschichte fehlt; die bei der Fülle des Stoffes knapp bemessene Zeit nötigte wohl dazu, sie beiseite zu lassen. Auch in Deutschland hat sich in letzter Zeit auf den Universitäten ein reges Interesse für die Zeitung, ihr Wesen und ihr Werden, gezeigt. An vielen deutschen Hochschulen finden hier und da Vorlesungen über journalistische Fragen aus Theorie und Praxis statt. Zahlreiche gründliche akademische Abhandlungen, Dissertationen, Preisschriften usw. behandeln die verschiedenen Gebiete des Journalismus unseres deutschen Vaterlandes und bilden wertvolle Vorarbeiten für eine kritisch großzügig angelegte Geschichte der deutschen Presse, die uns noch fehlt. Leider hat sich aber dieser Zweig der Forschung noch nicht der¬ selben Gunst der Behörden zu erfreuen, wie in anderen Ländern. In Frankreich zum Beispiel ist ein großes Werk über die französische Presse mit staatlicher, finanzieller Unterstützung erschienen. Auch hat die Presse des Auslandes in Deutschland noch nicht die Beachtung gefunden, die sie bei ihrer tiefer in das Volksleben eingreifenden und das politische Denken bestimmenden Macht ver¬ dient hätte. Diese Vernachlässigung hat sich aber im Weltkrieg bitter gerächt; manche Enttäuschung wäre uns erspart geblieben, hätten wir mehr auf die Stimmen im Pressewald anderer Länder geachtet, statt uns in unseren Zeitungen in inneren Angelegenheiten zu befehden. Das Beispiel des Heidelberger journalistischen Seminars, das auf einer Studienreise die größten englischen Zeituugsunternehmen besichtigte, steht leider ganz vereinzelt da. Die Forderung, daß auch die Presse an unseren Hochschulen die gebührende Beachtung finde, entspringt nicht etwa ehrgeizigem Streben der Journalisten, sie ist einfach durch die Zeitverhältnisse bedingt. In doppelter Weise kann eine engere Verbindung unserer beiden großen Erziehungsmittel zum Segen werden — und Erziehungsmittel zu werden, muß beider Bestreben, sein. Der Zeitungs¬ schreiber muß etwas vom Universitätsdozenten, von der Gründlichkeit, der kritischen Sichtung, der Objektivität deutscher Wissenschaft annehmen, aber auch der Dozent kann häufig vom Journalisten lernen, seine Wissenschaft im Sinne Schlözers nicht nur zunftgemäß darzubieten und zu verwerten. Beide Stände müssen von ihrer Eigentümlichkeit, die durch die Entwicklung bedingt ist, etwas opfern. Der Professor muß aus der Abgeschlossenheit des Hörsaals mehr auf das Forum des öffentlichen Lebens gehen, und der Journalist wird auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/258>, abgerufen am 22.07.2024.