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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die innere Lage in Rußland

man kann indessen nicht leugnen, daß dieses Kapitel dem hohen und niederen
russischen Pöbel sehr sympathisch ist. Männer wie Kriwoschein haben die Ge¬
fährlichkeit einer solchen Propaganda gesehen und vor ihrem Abgang im Mmister-
rate davor gewarnt, eine Zwangstaxation der deutschen Kolonistengüter vor¬
zunehmen und dadurch mit einem Zuge dem von den russischen Nationalisten
so bedauerten Umstände abzuhelfen, daß sich in diesen Kriegsläuften keine Käufer
für die deutschen Güter finden. Kriwoschein hatte dabei dasselbe Gefühl, dem
ein radikaler Abgeordneter in der Duma einmal mit folgenden zu den Kon¬
servativen gesprochenen Worten Ausdruck gab: "Wenn der russische Bauer erst
steht, daß es keine gesetzlichen Schranken für solchen Landerwerb gibt, so wird
sein Appetit auch nicht an Euren eigenen Gütern Halt machen." -- Es war
die Furcht vor der Agrarrevolution,, die im Hintergrund lauerte. -- Jetzt,
nach dem Abgang Kriwoscheins, sucht Chwostow nach einem neuen "Kompromiß"
zusammen mit seinem Namensvetter dem Justizminister, denn er möchte doch
gar zu gern die Appetite eines Teiles des russischen Volkes befriedigen, da¬
durch der Regierung politische Anhänger sichern und ein neues Ablenkungs¬
mittel für die nörgelnde Kritik der politischen Parteien finden. So hat er sich
jüngst noch lebhaft mit dem Gouverneur des Steppengebiets zusammen, dafür
eingesetzt, daß endgültig mit den deutschen Kolonisten im Osten aufgeräumt
werde, jenem "gefährlichen Element, das jederzeit zum Landesverrat bereit sei,
das den geheimnisvollen Aeroplanen, die im Steppengebiet (I) auftauchen,
Benzin liefere" usw.

In eine andere Frage, die seit langem einen Teil der russischen Öffentlich¬
keit beschäftigt, hat Chwostow ebenfalls in demselben Sinne eingegriffen.
Er hat sich energisch für die Liquidierung der "elektrischen Gesellschaft von
1886" eingesetzt, die bisher nur "sequestriert" war, weil sie eine schweizer und
nicht eine deutsche Gesellschaft ist. Chwostow wollte den Moskauern, die sich
sehr für diese Frage interessierten, zeigen, daß er es verstehe, mit so kleinen
diplomatischen Bedenken aufzuräumen, auch mit dem Bedenken, daß die An¬
gelegenheit zur Zuständigkeit des Handelsministers gehört. Schachowskoj ist
offenbar in diesem seit seiner Begründung zur Untätigkeit verurteilten Ressort
ebenso hilflos wie sein Vorgänger.

Denn Chwostow nimmt, ohne ihn zu fragen, jetzt auch eine dritte, eigentlich
dem Handelsminister unterstehende Frage auf, den Kampf gegen den fingierten
Übergang von deutschen Handelsunternehmungen an Nüssen. Man wird also
den Kontrakten nachspüren, die solchen Übergängen zu Grunde liegen, diese
Übergänge anzweifeln und dann die bekannte russische Vernichtungstaktik be¬
ginnen.

Es ist, wie wenn ein böser Dämon dieses Volk und seine Führer erfaßt
hätte, die sich vorgenommen haben, -- den Instinkten des Pöbels zuliebe und
weil es sonst in den Kram ihrer augenblicklichen Tagespolitik hineinpaßt
alle Werte zu vernichten, die unter den Auspizien verständiger russischer


Die innere Lage in Rußland

man kann indessen nicht leugnen, daß dieses Kapitel dem hohen und niederen
russischen Pöbel sehr sympathisch ist. Männer wie Kriwoschein haben die Ge¬
fährlichkeit einer solchen Propaganda gesehen und vor ihrem Abgang im Mmister-
rate davor gewarnt, eine Zwangstaxation der deutschen Kolonistengüter vor¬
zunehmen und dadurch mit einem Zuge dem von den russischen Nationalisten
so bedauerten Umstände abzuhelfen, daß sich in diesen Kriegsläuften keine Käufer
für die deutschen Güter finden. Kriwoschein hatte dabei dasselbe Gefühl, dem
ein radikaler Abgeordneter in der Duma einmal mit folgenden zu den Kon¬
servativen gesprochenen Worten Ausdruck gab: „Wenn der russische Bauer erst
steht, daß es keine gesetzlichen Schranken für solchen Landerwerb gibt, so wird
sein Appetit auch nicht an Euren eigenen Gütern Halt machen." — Es war
die Furcht vor der Agrarrevolution,, die im Hintergrund lauerte. — Jetzt,
nach dem Abgang Kriwoscheins, sucht Chwostow nach einem neuen „Kompromiß"
zusammen mit seinem Namensvetter dem Justizminister, denn er möchte doch
gar zu gern die Appetite eines Teiles des russischen Volkes befriedigen, da¬
durch der Regierung politische Anhänger sichern und ein neues Ablenkungs¬
mittel für die nörgelnde Kritik der politischen Parteien finden. So hat er sich
jüngst noch lebhaft mit dem Gouverneur des Steppengebiets zusammen, dafür
eingesetzt, daß endgültig mit den deutschen Kolonisten im Osten aufgeräumt
werde, jenem „gefährlichen Element, das jederzeit zum Landesverrat bereit sei,
das den geheimnisvollen Aeroplanen, die im Steppengebiet (I) auftauchen,
Benzin liefere" usw.

In eine andere Frage, die seit langem einen Teil der russischen Öffentlich¬
keit beschäftigt, hat Chwostow ebenfalls in demselben Sinne eingegriffen.
Er hat sich energisch für die Liquidierung der „elektrischen Gesellschaft von
1886" eingesetzt, die bisher nur „sequestriert" war, weil sie eine schweizer und
nicht eine deutsche Gesellschaft ist. Chwostow wollte den Moskauern, die sich
sehr für diese Frage interessierten, zeigen, daß er es verstehe, mit so kleinen
diplomatischen Bedenken aufzuräumen, auch mit dem Bedenken, daß die An¬
gelegenheit zur Zuständigkeit des Handelsministers gehört. Schachowskoj ist
offenbar in diesem seit seiner Begründung zur Untätigkeit verurteilten Ressort
ebenso hilflos wie sein Vorgänger.

Denn Chwostow nimmt, ohne ihn zu fragen, jetzt auch eine dritte, eigentlich
dem Handelsminister unterstehende Frage auf, den Kampf gegen den fingierten
Übergang von deutschen Handelsunternehmungen an Nüssen. Man wird also
den Kontrakten nachspüren, die solchen Übergängen zu Grunde liegen, diese
Übergänge anzweifeln und dann die bekannte russische Vernichtungstaktik be¬
ginnen.

Es ist, wie wenn ein böser Dämon dieses Volk und seine Führer erfaßt
hätte, die sich vorgenommen haben, — den Instinkten des Pöbels zuliebe und
weil es sonst in den Kram ihrer augenblicklichen Tagespolitik hineinpaßt
alle Werte zu vernichten, die unter den Auspizien verständiger russischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/240>, abgerufen am 24.08.2024.