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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Bedeutung. Mit sechszehn Jahren Witwe des Dauphin, ward das begabte
und sympathische Fürstenkind der Staatsraison halber dem Inhaber der bur¬
gundischen LeKuneloZenitur, Herzog Johann von Brabant, trotz Kaiser und
Papst angetraut. Doch in abenteuerlich kühner Flucht den Fesseln, die sie an
einen würdelosen Schwächling banden, entronnen, suchte die hochgemute Prin¬
zessin in England Schutz, reichte dem Bruder des Königs Heinrich des Fünften,
Herzog Humfried von Gloucester, die Hand und trachtete mit männlicher Kraft
das Eigene zu behaupten und damit eine englische Herrschaft in den Nieder¬
landen zu gründen. Das konnte ihr Vetter Philipp nimmermehr dulden;
viermal zog er mit Heeresgewalt gegen sie aus. Erst als sie von Gloucester
schmählich verraten war, streckte die Tapfere die Waffen und verzichtete
schließlich ganz auf ihre Erdtaube (im Jahre 1433), um dem vierten Gemahl,
Franz von Borselen, das Leben zu retten: er sollte ihr das bisher versagte
Glück bringen.

So kamen auch Holland und Seeland an das burgundische Haus, diese
prächtigen Lande mit ihren in leichtem Wasserdunst schimmernden üppigen
Wiesen und Weiden auf fetter Marsch und mühselig gewonnenem Potter hinter
schützendem Damm; mit ihren kecken Seefahrern, ihren weit und breit bekannten
Schiffbauern, ihren emsigen Fischern. Mehr Silber und Gold, als andere
Völker mit ihrer Arbeit aus dem Boden gewinnen, fischen die Holländer aus
der See, sagte man. So flössen jetzt auch in die herzogliche Kasse die Ein¬
nahmen aus dem Hennegau und aus Namur, die Reichtümer, welche die
Ardennenberge sich entreißen ließen, die Einkünfte aus Eisen-, Blei- und Stein¬
kohlengruben, ans Marmor-, Kalk- und Mörtelbrüchcn, aus den Bergwerken
auf Salpeter und Vitriol, auf Schwefel und Gold. --

Ixlimis sito point, allzu hoch nimmt Herzog Philipp seinen Flug, rief
einmal König Sigmund wütend aus, der Ruprechts Nachfolger geworden war.
Wollte er sich die alten, die neuen Übergriffe gefallen lassen?

Sigmunds Politik gegenüber dem Hause Burgund verläuft in einer Zick¬
zacklinie. Zunächst ein Gegner Johanns und Verbündeter des französischen
Königs, wurde er ein Genosse Burgunds und Widersacher Frankreichs, um
schließlich Philipp des Guten Feind und Karl des siebenten Freund zu werden.
Zweimal ist Sigmund mit Johann ohne Furcht persönlich zusammengetroffen.
Zuerst in Calais, auf dem Rückwege von England, wohin vor ihm noch kein
Kaiser gekommen war; dann in Behar?on (Bisanz). Der gewandte Luxem¬
burger, dessen beweglichen Sinn jede Verwicklung nnr zu reizen schien, stieß
sich nicht daran, von dem Fürsten die Huldigung zu empfangen, dessen Hand
mit Mörderblut besudelt war. Langwierige Verhandlungen, besonders inbetreff
Bmbants und Limburgs, wurden gepflogen. Wie mutet uns heute der eine
Vorgang in der Se. JohannMrche in Lüttich aut

König Sigmund erteilt den brabantischen Gesandten Audienz. Widerrede
auf Widerrede, man kann sich nicht einigen. Schließlich wird der König


Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Bedeutung. Mit sechszehn Jahren Witwe des Dauphin, ward das begabte
und sympathische Fürstenkind der Staatsraison halber dem Inhaber der bur¬
gundischen LeKuneloZenitur, Herzog Johann von Brabant, trotz Kaiser und
Papst angetraut. Doch in abenteuerlich kühner Flucht den Fesseln, die sie an
einen würdelosen Schwächling banden, entronnen, suchte die hochgemute Prin¬
zessin in England Schutz, reichte dem Bruder des Königs Heinrich des Fünften,
Herzog Humfried von Gloucester, die Hand und trachtete mit männlicher Kraft
das Eigene zu behaupten und damit eine englische Herrschaft in den Nieder¬
landen zu gründen. Das konnte ihr Vetter Philipp nimmermehr dulden;
viermal zog er mit Heeresgewalt gegen sie aus. Erst als sie von Gloucester
schmählich verraten war, streckte die Tapfere die Waffen und verzichtete
schließlich ganz auf ihre Erdtaube (im Jahre 1433), um dem vierten Gemahl,
Franz von Borselen, das Leben zu retten: er sollte ihr das bisher versagte
Glück bringen.

So kamen auch Holland und Seeland an das burgundische Haus, diese
prächtigen Lande mit ihren in leichtem Wasserdunst schimmernden üppigen
Wiesen und Weiden auf fetter Marsch und mühselig gewonnenem Potter hinter
schützendem Damm; mit ihren kecken Seefahrern, ihren weit und breit bekannten
Schiffbauern, ihren emsigen Fischern. Mehr Silber und Gold, als andere
Völker mit ihrer Arbeit aus dem Boden gewinnen, fischen die Holländer aus
der See, sagte man. So flössen jetzt auch in die herzogliche Kasse die Ein¬
nahmen aus dem Hennegau und aus Namur, die Reichtümer, welche die
Ardennenberge sich entreißen ließen, die Einkünfte aus Eisen-, Blei- und Stein¬
kohlengruben, ans Marmor-, Kalk- und Mörtelbrüchcn, aus den Bergwerken
auf Salpeter und Vitriol, auf Schwefel und Gold. —

Ixlimis sito point, allzu hoch nimmt Herzog Philipp seinen Flug, rief
einmal König Sigmund wütend aus, der Ruprechts Nachfolger geworden war.
Wollte er sich die alten, die neuen Übergriffe gefallen lassen?

Sigmunds Politik gegenüber dem Hause Burgund verläuft in einer Zick¬
zacklinie. Zunächst ein Gegner Johanns und Verbündeter des französischen
Königs, wurde er ein Genosse Burgunds und Widersacher Frankreichs, um
schließlich Philipp des Guten Feind und Karl des siebenten Freund zu werden.
Zweimal ist Sigmund mit Johann ohne Furcht persönlich zusammengetroffen.
Zuerst in Calais, auf dem Rückwege von England, wohin vor ihm noch kein
Kaiser gekommen war; dann in Behar?on (Bisanz). Der gewandte Luxem¬
burger, dessen beweglichen Sinn jede Verwicklung nnr zu reizen schien, stieß
sich nicht daran, von dem Fürsten die Huldigung zu empfangen, dessen Hand
mit Mörderblut besudelt war. Langwierige Verhandlungen, besonders inbetreff
Bmbants und Limburgs, wurden gepflogen. Wie mutet uns heute der eine
Vorgang in der Se. JohannMrche in Lüttich aut

König Sigmund erteilt den brabantischen Gesandten Audienz. Widerrede
auf Widerrede, man kann sich nicht einigen. Schließlich wird der König


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[0182] Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor Bedeutung. Mit sechszehn Jahren Witwe des Dauphin, ward das begabte und sympathische Fürstenkind der Staatsraison halber dem Inhaber der bur¬ gundischen LeKuneloZenitur, Herzog Johann von Brabant, trotz Kaiser und Papst angetraut. Doch in abenteuerlich kühner Flucht den Fesseln, die sie an einen würdelosen Schwächling banden, entronnen, suchte die hochgemute Prin¬ zessin in England Schutz, reichte dem Bruder des Königs Heinrich des Fünften, Herzog Humfried von Gloucester, die Hand und trachtete mit männlicher Kraft das Eigene zu behaupten und damit eine englische Herrschaft in den Nieder¬ landen zu gründen. Das konnte ihr Vetter Philipp nimmermehr dulden; viermal zog er mit Heeresgewalt gegen sie aus. Erst als sie von Gloucester schmählich verraten war, streckte die Tapfere die Waffen und verzichtete schließlich ganz auf ihre Erdtaube (im Jahre 1433), um dem vierten Gemahl, Franz von Borselen, das Leben zu retten: er sollte ihr das bisher versagte Glück bringen. So kamen auch Holland und Seeland an das burgundische Haus, diese prächtigen Lande mit ihren in leichtem Wasserdunst schimmernden üppigen Wiesen und Weiden auf fetter Marsch und mühselig gewonnenem Potter hinter schützendem Damm; mit ihren kecken Seefahrern, ihren weit und breit bekannten Schiffbauern, ihren emsigen Fischern. Mehr Silber und Gold, als andere Völker mit ihrer Arbeit aus dem Boden gewinnen, fischen die Holländer aus der See, sagte man. So flössen jetzt auch in die herzogliche Kasse die Ein¬ nahmen aus dem Hennegau und aus Namur, die Reichtümer, welche die Ardennenberge sich entreißen ließen, die Einkünfte aus Eisen-, Blei- und Stein¬ kohlengruben, ans Marmor-, Kalk- und Mörtelbrüchcn, aus den Bergwerken auf Salpeter und Vitriol, auf Schwefel und Gold. — Ixlimis sito point, allzu hoch nimmt Herzog Philipp seinen Flug, rief einmal König Sigmund wütend aus, der Ruprechts Nachfolger geworden war. Wollte er sich die alten, die neuen Übergriffe gefallen lassen? Sigmunds Politik gegenüber dem Hause Burgund verläuft in einer Zick¬ zacklinie. Zunächst ein Gegner Johanns und Verbündeter des französischen Königs, wurde er ein Genosse Burgunds und Widersacher Frankreichs, um schließlich Philipp des Guten Feind und Karl des siebenten Freund zu werden. Zweimal ist Sigmund mit Johann ohne Furcht persönlich zusammengetroffen. Zuerst in Calais, auf dem Rückwege von England, wohin vor ihm noch kein Kaiser gekommen war; dann in Behar?on (Bisanz). Der gewandte Luxem¬ burger, dessen beweglichen Sinn jede Verwicklung nnr zu reizen schien, stieß sich nicht daran, von dem Fürsten die Huldigung zu empfangen, dessen Hand mit Mörderblut besudelt war. Langwierige Verhandlungen, besonders inbetreff Bmbants und Limburgs, wurden gepflogen. Wie mutet uns heute der eine Vorgang in der Se. JohannMrche in Lüttich aut König Sigmund erteilt den brabantischen Gesandten Audienz. Widerrede auf Widerrede, man kann sich nicht einigen. Schließlich wird der König

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/182>, abgerufen am 22.07.2024.