Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nile das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Flandrer die hohen Summen, dann stellten sie natürlich als Gegenleistung die
Erfüllung ihrer Wünsche zur Bedingung. Um die Flandrer willfährig zu
machen, setzte Johann trotz jahrelanger Kabalen des Gegners einen flandrisch¬
englischen Handelsvertrag durch (im Jahre 1407), der auch im Falle eines fran¬
zösisch-englischen Krieges galt und damit die ersehnte Neutralität brachte. Das
war ein großer Schritt vorwärts auf dem Wege der Selbstbestimmung.

Als Johann bald danach nach der Art eines l?ma8cimLnto-prinLipe
Ludwig von Orleans durch Meuchelmord aus dem Wege schaffte, als im An--
Schluß daran der Bürgerkrieg ausbrach, der die Burgundischen und die Ar-
magnaken jahrzehntelang wie Bestien aufeinander hetzte, wurde Johann immer
näher an England herangedrängt. Geheimverträge entstanden. In der dritten
furchtbaren Entscheidungsschlacht des Hundertjährigen Krieges, auf dem Felde
von Azincourt fehlte das Banner des Herzogs-Grasen von Burgund-Flandern!

Johann wollte das "bien public" von Frankreich verteidigen, er kämpfte
mit Tat und Wort um die Vorherrschaft in Frankreich. War er sich selbst
darüber klar, daß er gleichzeitig die Befreiung Flanderns vom französischen
Einfluß durchführte? In ihrer sinnlosen Parteiwut sahen die Armagnaken nicht,
daß sie vom Standpunkte Frankreichs viel Schlimmeres anrichteten als Johann
mit seiner Gewaltherrschaft. Indem sie ihn aus Frankreich herauswerfen
wollten, zwangen sie ihn zum Anschluß an England, halfen sie ihm selbst die
Macht gründen, die wiederholt die französische Monarchie an den Rand des
Verderbens bringen sollte.

Johann ohne Furcht ward gleichfalls ermordet. Da die Untat mit Billi¬
gung des Dauphin, des nachmaligen Königs Karl des Siebenten, geschah, konnte
Johanns Sohn und Erbe. Philipp der Gute (1419--1467), offen und ehrlich
mit England gehen. Paris, damals schon ausschlaggebend für viele im Reich,
Paris und ein großer Teil des Landes standen hinter ihm. Erst als die
Jungfrau von Orleans die Truppen des "noble äaupnin" von Sieg zu
Sieg geführt hatte, erst als der "König von Bourges" durch die Salbung
und Krönung in Reims seinem Volke als der wahre König erschien, wurde
das burgundisch-englische Bündnis gelöst.

Auf einem europäischen Friedenskongreß, wie ihn die Welt bislang nicht
gesehen hatte, in Gegenwart der Gesandten des Papstes, des Konzils von
Basel, aller bedeutenden Könige und Fürsten, geruhte Herzog Philipp zum
Gehorsam gegen seinen Lehnsherrn zurückzukehren. Niemals konnte das fran¬
zösische Königtum die Demütigung vergessen, die es damals in Arms erlitt,
niemals ist es wieder zu einem aufrichtigen Einverständnis zwischen der Krone
und dem Herzog-Grafen gekommen. Philipp konnte nicht an Stelle des Königs
n Frankreich regieren, wie es der Großvater lange Jahre getan hatte. Unter
dem König sein, als erster Pair und Vasall am Hofe ihm aufwarten, wollte


Nile das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Flandrer die hohen Summen, dann stellten sie natürlich als Gegenleistung die
Erfüllung ihrer Wünsche zur Bedingung. Um die Flandrer willfährig zu
machen, setzte Johann trotz jahrelanger Kabalen des Gegners einen flandrisch¬
englischen Handelsvertrag durch (im Jahre 1407), der auch im Falle eines fran¬
zösisch-englischen Krieges galt und damit die ersehnte Neutralität brachte. Das
war ein großer Schritt vorwärts auf dem Wege der Selbstbestimmung.

Als Johann bald danach nach der Art eines l?ma8cimLnto-prinLipe
Ludwig von Orleans durch Meuchelmord aus dem Wege schaffte, als im An--
Schluß daran der Bürgerkrieg ausbrach, der die Burgundischen und die Ar-
magnaken jahrzehntelang wie Bestien aufeinander hetzte, wurde Johann immer
näher an England herangedrängt. Geheimverträge entstanden. In der dritten
furchtbaren Entscheidungsschlacht des Hundertjährigen Krieges, auf dem Felde
von Azincourt fehlte das Banner des Herzogs-Grasen von Burgund-Flandern!

Johann wollte das „bien public" von Frankreich verteidigen, er kämpfte
mit Tat und Wort um die Vorherrschaft in Frankreich. War er sich selbst
darüber klar, daß er gleichzeitig die Befreiung Flanderns vom französischen
Einfluß durchführte? In ihrer sinnlosen Parteiwut sahen die Armagnaken nicht,
daß sie vom Standpunkte Frankreichs viel Schlimmeres anrichteten als Johann
mit seiner Gewaltherrschaft. Indem sie ihn aus Frankreich herauswerfen
wollten, zwangen sie ihn zum Anschluß an England, halfen sie ihm selbst die
Macht gründen, die wiederholt die französische Monarchie an den Rand des
Verderbens bringen sollte.

Johann ohne Furcht ward gleichfalls ermordet. Da die Untat mit Billi¬
gung des Dauphin, des nachmaligen Königs Karl des Siebenten, geschah, konnte
Johanns Sohn und Erbe. Philipp der Gute (1419—1467), offen und ehrlich
mit England gehen. Paris, damals schon ausschlaggebend für viele im Reich,
Paris und ein großer Teil des Landes standen hinter ihm. Erst als die
Jungfrau von Orleans die Truppen des „noble äaupnin« von Sieg zu
Sieg geführt hatte, erst als der „König von Bourges" durch die Salbung
und Krönung in Reims seinem Volke als der wahre König erschien, wurde
das burgundisch-englische Bündnis gelöst.

Auf einem europäischen Friedenskongreß, wie ihn die Welt bislang nicht
gesehen hatte, in Gegenwart der Gesandten des Papstes, des Konzils von
Basel, aller bedeutenden Könige und Fürsten, geruhte Herzog Philipp zum
Gehorsam gegen seinen Lehnsherrn zurückzukehren. Niemals konnte das fran¬
zösische Königtum die Demütigung vergessen, die es damals in Arms erlitt,
niemals ist es wieder zu einem aufrichtigen Einverständnis zwischen der Krone
und dem Herzog-Grafen gekommen. Philipp konnte nicht an Stelle des Königs
n Frankreich regieren, wie es der Großvater lange Jahre getan hatte. Unter
dem König sein, als erster Pair und Vasall am Hofe ihm aufwarten, wollte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324593"/>
          <fw type="header" place="top"> Nile das Deutsche Reich die Niederlande verlor</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_606" prev="#ID_605"> Flandrer die hohen Summen, dann stellten sie natürlich als Gegenleistung die<lb/>
Erfüllung ihrer Wünsche zur Bedingung. Um die Flandrer willfährig zu<lb/>
machen, setzte Johann trotz jahrelanger Kabalen des Gegners einen flandrisch¬<lb/>
englischen Handelsvertrag durch (im Jahre 1407), der auch im Falle eines fran¬<lb/>
zösisch-englischen Krieges galt und damit die ersehnte Neutralität brachte. Das<lb/>
war ein großer Schritt vorwärts auf dem Wege der Selbstbestimmung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_607"> Als Johann bald danach nach der Art eines l?ma8cimLnto-prinLipe<lb/>
Ludwig von Orleans durch Meuchelmord aus dem Wege schaffte, als im An--<lb/>
Schluß daran der Bürgerkrieg ausbrach, der die Burgundischen und die Ar-<lb/>
magnaken jahrzehntelang wie Bestien aufeinander hetzte, wurde Johann immer<lb/>
näher an England herangedrängt. Geheimverträge entstanden. In der dritten<lb/>
furchtbaren Entscheidungsschlacht des Hundertjährigen Krieges, auf dem Felde<lb/>
von Azincourt fehlte das Banner des Herzogs-Grasen von Burgund-Flandern!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_608"> Johann wollte das &#x201E;bien public" von Frankreich verteidigen, er kämpfte<lb/>
mit Tat und Wort um die Vorherrschaft in Frankreich. War er sich selbst<lb/>
darüber klar, daß er gleichzeitig die Befreiung Flanderns vom französischen<lb/>
Einfluß durchführte? In ihrer sinnlosen Parteiwut sahen die Armagnaken nicht,<lb/>
daß sie vom Standpunkte Frankreichs viel Schlimmeres anrichteten als Johann<lb/>
mit seiner Gewaltherrschaft. Indem sie ihn aus Frankreich herauswerfen<lb/>
wollten, zwangen sie ihn zum Anschluß an England, halfen sie ihm selbst die<lb/>
Macht gründen, die wiederholt die französische Monarchie an den Rand des<lb/>
Verderbens bringen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_609"> Johann ohne Furcht ward gleichfalls ermordet. Da die Untat mit Billi¬<lb/>
gung des Dauphin, des nachmaligen Königs Karl des Siebenten, geschah, konnte<lb/>
Johanns Sohn und Erbe. Philipp der Gute (1419&#x2014;1467), offen und ehrlich<lb/>
mit England gehen. Paris, damals schon ausschlaggebend für viele im Reich,<lb/>
Paris und ein großer Teil des Landes standen hinter ihm. Erst als die<lb/>
Jungfrau von Orleans die Truppen des &#x201E;noble äaupnin« von Sieg zu<lb/>
Sieg geführt hatte, erst als der &#x201E;König von Bourges" durch die Salbung<lb/>
und Krönung in Reims seinem Volke als der wahre König erschien, wurde<lb/>
das burgundisch-englische Bündnis gelöst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_610" next="#ID_611"> Auf einem europäischen Friedenskongreß, wie ihn die Welt bislang nicht<lb/>
gesehen hatte, in Gegenwart der Gesandten des Papstes, des Konzils von<lb/>
Basel, aller bedeutenden Könige und Fürsten, geruhte Herzog Philipp zum<lb/>
Gehorsam gegen seinen Lehnsherrn zurückzukehren. Niemals konnte das fran¬<lb/>
zösische Königtum die Demütigung vergessen, die es damals in Arms erlitt,<lb/>
niemals ist es wieder zu einem aufrichtigen Einverständnis zwischen der Krone<lb/>
und dem Herzog-Grafen gekommen. Philipp konnte nicht an Stelle des Königs<lb/>
n Frankreich regieren, wie es der Großvater lange Jahre getan hatte. Unter<lb/>
dem König sein, als erster Pair und Vasall am Hofe ihm aufwarten, wollte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] Nile das Deutsche Reich die Niederlande verlor Flandrer die hohen Summen, dann stellten sie natürlich als Gegenleistung die Erfüllung ihrer Wünsche zur Bedingung. Um die Flandrer willfährig zu machen, setzte Johann trotz jahrelanger Kabalen des Gegners einen flandrisch¬ englischen Handelsvertrag durch (im Jahre 1407), der auch im Falle eines fran¬ zösisch-englischen Krieges galt und damit die ersehnte Neutralität brachte. Das war ein großer Schritt vorwärts auf dem Wege der Selbstbestimmung. Als Johann bald danach nach der Art eines l?ma8cimLnto-prinLipe Ludwig von Orleans durch Meuchelmord aus dem Wege schaffte, als im An-- Schluß daran der Bürgerkrieg ausbrach, der die Burgundischen und die Ar- magnaken jahrzehntelang wie Bestien aufeinander hetzte, wurde Johann immer näher an England herangedrängt. Geheimverträge entstanden. In der dritten furchtbaren Entscheidungsschlacht des Hundertjährigen Krieges, auf dem Felde von Azincourt fehlte das Banner des Herzogs-Grasen von Burgund-Flandern! Johann wollte das „bien public" von Frankreich verteidigen, er kämpfte mit Tat und Wort um die Vorherrschaft in Frankreich. War er sich selbst darüber klar, daß er gleichzeitig die Befreiung Flanderns vom französischen Einfluß durchführte? In ihrer sinnlosen Parteiwut sahen die Armagnaken nicht, daß sie vom Standpunkte Frankreichs viel Schlimmeres anrichteten als Johann mit seiner Gewaltherrschaft. Indem sie ihn aus Frankreich herauswerfen wollten, zwangen sie ihn zum Anschluß an England, halfen sie ihm selbst die Macht gründen, die wiederholt die französische Monarchie an den Rand des Verderbens bringen sollte. Johann ohne Furcht ward gleichfalls ermordet. Da die Untat mit Billi¬ gung des Dauphin, des nachmaligen Königs Karl des Siebenten, geschah, konnte Johanns Sohn und Erbe. Philipp der Gute (1419—1467), offen und ehrlich mit England gehen. Paris, damals schon ausschlaggebend für viele im Reich, Paris und ein großer Teil des Landes standen hinter ihm. Erst als die Jungfrau von Orleans die Truppen des „noble äaupnin« von Sieg zu Sieg geführt hatte, erst als der „König von Bourges" durch die Salbung und Krönung in Reims seinem Volke als der wahre König erschien, wurde das burgundisch-englische Bündnis gelöst. Auf einem europäischen Friedenskongreß, wie ihn die Welt bislang nicht gesehen hatte, in Gegenwart der Gesandten des Papstes, des Konzils von Basel, aller bedeutenden Könige und Fürsten, geruhte Herzog Philipp zum Gehorsam gegen seinen Lehnsherrn zurückzukehren. Niemals konnte das fran¬ zösische Königtum die Demütigung vergessen, die es damals in Arms erlitt, niemals ist es wieder zu einem aufrichtigen Einverständnis zwischen der Krone und dem Herzog-Grafen gekommen. Philipp konnte nicht an Stelle des Königs n Frankreich regieren, wie es der Großvater lange Jahre getan hatte. Unter dem König sein, als erster Pair und Vasall am Hofe ihm aufwarten, wollte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/180>, abgerufen am 22.07.2024.