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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Ms das Deutsche Reich die Niederlande verlor

auf dem Königsthron sitzt, wagt Frankreich, was sich ein Imperator nie zu¬
getraut hat. Als es seinem Papste in Avignon den Gehorsam aussagt, fühlt
es sich stark genug, ohne Papst auszukommen und seine Kirche selbst zu
regieren. --

Wahrlich, von König Wenzel von Deutschland drohte Philipps weitaus¬
schauenden Plänen keine Gefahr. Die Lage veränderte sich auch nicht, als der
Luxemburger abgesetzt und Ruprecht von der Pfalz auf den Königsthron er¬
hoben wurde. Wohl mußte Ruprecht ausdrücklich den Kurfürsten geloben,
Brabant und Limburg nach dem Tode der Herzogin Johanna wieder an das
Reich zu bringen. Doch durch eine seltsame Verkettung der Umstände wurde
der "Räuber" jener blühenden Landschaften fein eigener Parteigänger. Denn
da Wenzel, der auf die Krone nicht verzichten wollte, von Philipps hart¬
näckigsten Widersacher in Frankreich, dem Herzog Ludwig von Orleans, Bei¬
stand erhielt, mußte sich Ruprecht, der auf Frankreich Rücksicht zu nehmen hatte,
auf den Burgunder stützen, dem überdies die Königin Jsabeau, die Wittels-
bacherin Elisabeth, wohlgesinnt war. So konnten Liebhaber historischer Kuriositäten
schon damals beobachten, daß in dem deutschen Thronstreit Herzog Philipp für
denjenigen Bewerber eintrat, der ihm Brabant und Limburg zu entreißen ver¬
pflichtet war.

Am 27. April 1404 starb der Begründer des burgundischen Staates.

stattlich, ungebeugt vom Alter, erscheint Philipp in dem prächtigen Stein¬
bild, das Claus Sluter an das Kirchenportal der Kartause von Champmol*)
setzte. Gleitet der reiche hermelingeschmückte Mantel von den breiten und
kräftigen Schultern herab, so glaubt man einen wohlhabenden Kaufherrn vor
sich zu sehen, der mit dem feinen Lächeln der Befriedigung auf die gelungenen
Unternehmungen zurückschaut. Hervorragendes hatte Philipp geleistet, er hinter¬
ließ Besitzungen "im Werte eines Königreiches". In dem starken Vorgefühl der
künftigen Größe seines Hauses strebte er rastlos danach, sich in den Nieder¬
landen einen lebensfähigen Staat zu gründen. Durch seine Gemahlin Herr
von Flandern geworden, trat er den Wittelsbachern trotzig zur Seite und ver¬
drängte die Luxemburger aus Brabant und Limburg. Dabei hatte er Frank¬
reich stets hinter sich, glaubte er seinerseits nicht nur für sich, sondern auch für
das Haus, dem er entstammte, zu arbeiten. Und doch bestand ein Widerstreit
zwischen dem ersten Pair Frankreichs und dem Grafen von Flandern. Als
Herzog von Burgund konnte sich Philipp ganz mit Frankreich verwachsen fühlen,
nicht aber als Graf von Flandern. Denn der Nutzen der Grafschaft fiel keines¬
wegs überall mit dem der Krone zusammen. Ebensowenig wie sich Reichsflandern
um den deutschen Lehnsherrn kümmerte, wollte das von Frankreich zu Lehen
gehende Flandern häufig auf die Kapetinger, auf die Valois Rücksicht nehmen.
Was ging die Flandrer der Streit der Valois und der Plantegenets an? Sie



*) Bei Dijon,
Ms das Deutsche Reich die Niederlande verlor

auf dem Königsthron sitzt, wagt Frankreich, was sich ein Imperator nie zu¬
getraut hat. Als es seinem Papste in Avignon den Gehorsam aussagt, fühlt
es sich stark genug, ohne Papst auszukommen und seine Kirche selbst zu
regieren. —

Wahrlich, von König Wenzel von Deutschland drohte Philipps weitaus¬
schauenden Plänen keine Gefahr. Die Lage veränderte sich auch nicht, als der
Luxemburger abgesetzt und Ruprecht von der Pfalz auf den Königsthron er¬
hoben wurde. Wohl mußte Ruprecht ausdrücklich den Kurfürsten geloben,
Brabant und Limburg nach dem Tode der Herzogin Johanna wieder an das
Reich zu bringen. Doch durch eine seltsame Verkettung der Umstände wurde
der „Räuber" jener blühenden Landschaften fein eigener Parteigänger. Denn
da Wenzel, der auf die Krone nicht verzichten wollte, von Philipps hart¬
näckigsten Widersacher in Frankreich, dem Herzog Ludwig von Orleans, Bei¬
stand erhielt, mußte sich Ruprecht, der auf Frankreich Rücksicht zu nehmen hatte,
auf den Burgunder stützen, dem überdies die Königin Jsabeau, die Wittels-
bacherin Elisabeth, wohlgesinnt war. So konnten Liebhaber historischer Kuriositäten
schon damals beobachten, daß in dem deutschen Thronstreit Herzog Philipp für
denjenigen Bewerber eintrat, der ihm Brabant und Limburg zu entreißen ver¬
pflichtet war.

Am 27. April 1404 starb der Begründer des burgundischen Staates.

stattlich, ungebeugt vom Alter, erscheint Philipp in dem prächtigen Stein¬
bild, das Claus Sluter an das Kirchenportal der Kartause von Champmol*)
setzte. Gleitet der reiche hermelingeschmückte Mantel von den breiten und
kräftigen Schultern herab, so glaubt man einen wohlhabenden Kaufherrn vor
sich zu sehen, der mit dem feinen Lächeln der Befriedigung auf die gelungenen
Unternehmungen zurückschaut. Hervorragendes hatte Philipp geleistet, er hinter¬
ließ Besitzungen „im Werte eines Königreiches". In dem starken Vorgefühl der
künftigen Größe seines Hauses strebte er rastlos danach, sich in den Nieder¬
landen einen lebensfähigen Staat zu gründen. Durch seine Gemahlin Herr
von Flandern geworden, trat er den Wittelsbachern trotzig zur Seite und ver¬
drängte die Luxemburger aus Brabant und Limburg. Dabei hatte er Frank¬
reich stets hinter sich, glaubte er seinerseits nicht nur für sich, sondern auch für
das Haus, dem er entstammte, zu arbeiten. Und doch bestand ein Widerstreit
zwischen dem ersten Pair Frankreichs und dem Grafen von Flandern. Als
Herzog von Burgund konnte sich Philipp ganz mit Frankreich verwachsen fühlen,
nicht aber als Graf von Flandern. Denn der Nutzen der Grafschaft fiel keines¬
wegs überall mit dem der Krone zusammen. Ebensowenig wie sich Reichsflandern
um den deutschen Lehnsherrn kümmerte, wollte das von Frankreich zu Lehen
gehende Flandern häufig auf die Kapetinger, auf die Valois Rücksicht nehmen.
Was ging die Flandrer der Streit der Valois und der Plantegenets an? Sie



*) Bei Dijon,
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[0154] Ms das Deutsche Reich die Niederlande verlor auf dem Königsthron sitzt, wagt Frankreich, was sich ein Imperator nie zu¬ getraut hat. Als es seinem Papste in Avignon den Gehorsam aussagt, fühlt es sich stark genug, ohne Papst auszukommen und seine Kirche selbst zu regieren. — Wahrlich, von König Wenzel von Deutschland drohte Philipps weitaus¬ schauenden Plänen keine Gefahr. Die Lage veränderte sich auch nicht, als der Luxemburger abgesetzt und Ruprecht von der Pfalz auf den Königsthron er¬ hoben wurde. Wohl mußte Ruprecht ausdrücklich den Kurfürsten geloben, Brabant und Limburg nach dem Tode der Herzogin Johanna wieder an das Reich zu bringen. Doch durch eine seltsame Verkettung der Umstände wurde der „Räuber" jener blühenden Landschaften fein eigener Parteigänger. Denn da Wenzel, der auf die Krone nicht verzichten wollte, von Philipps hart¬ näckigsten Widersacher in Frankreich, dem Herzog Ludwig von Orleans, Bei¬ stand erhielt, mußte sich Ruprecht, der auf Frankreich Rücksicht zu nehmen hatte, auf den Burgunder stützen, dem überdies die Königin Jsabeau, die Wittels- bacherin Elisabeth, wohlgesinnt war. So konnten Liebhaber historischer Kuriositäten schon damals beobachten, daß in dem deutschen Thronstreit Herzog Philipp für denjenigen Bewerber eintrat, der ihm Brabant und Limburg zu entreißen ver¬ pflichtet war. Am 27. April 1404 starb der Begründer des burgundischen Staates. stattlich, ungebeugt vom Alter, erscheint Philipp in dem prächtigen Stein¬ bild, das Claus Sluter an das Kirchenportal der Kartause von Champmol*) setzte. Gleitet der reiche hermelingeschmückte Mantel von den breiten und kräftigen Schultern herab, so glaubt man einen wohlhabenden Kaufherrn vor sich zu sehen, der mit dem feinen Lächeln der Befriedigung auf die gelungenen Unternehmungen zurückschaut. Hervorragendes hatte Philipp geleistet, er hinter¬ ließ Besitzungen „im Werte eines Königreiches". In dem starken Vorgefühl der künftigen Größe seines Hauses strebte er rastlos danach, sich in den Nieder¬ landen einen lebensfähigen Staat zu gründen. Durch seine Gemahlin Herr von Flandern geworden, trat er den Wittelsbachern trotzig zur Seite und ver¬ drängte die Luxemburger aus Brabant und Limburg. Dabei hatte er Frank¬ reich stets hinter sich, glaubte er seinerseits nicht nur für sich, sondern auch für das Haus, dem er entstammte, zu arbeiten. Und doch bestand ein Widerstreit zwischen dem ersten Pair Frankreichs und dem Grafen von Flandern. Als Herzog von Burgund konnte sich Philipp ganz mit Frankreich verwachsen fühlen, nicht aber als Graf von Flandern. Denn der Nutzen der Grafschaft fiel keines¬ wegs überall mit dem der Krone zusammen. Ebensowenig wie sich Reichsflandern um den deutschen Lehnsherrn kümmerte, wollte das von Frankreich zu Lehen gehende Flandern häufig auf die Kapetinger, auf die Valois Rücksicht nehmen. Was ging die Flandrer der Streit der Valois und der Plantegenets an? Sie *) Bei Dijon,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/154>, abgerufen am 27.12.2024.