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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Ariegsliteratur

hat in der Militärdiktatur Cromwells im siebzehnten Jahrhundert, sowie die
Feststellung am Schluß des Vertrages, daß der Krieg für England nicht ganz
ungelegen kam und ihm die Möglichkeit bot, die immer schärfer zutage tretende
Spannung in der irischen Frage mit der Farbe des Weltbrandes -- wenigstens
für einige Zeit -- zu vertuschen. Darum hat es im letzten Augenblicke auch
jegliche Verständigung mit Deutschland abgelehnt und dem Gang der Dinge
freien Lauf gelassen, die -- wie selbst die Verblendetsten in Downing Street
hätten einsehen müssen -- zur Katastrophe führen mußten. Trotzdem darf
man nicht, wie Theodor Schiemann in seiner sonst ausgezeichneten Broschüre:
"Wie Deutschland eine Verständigung mit Deutschland verhinderte" (Verlag
Georg Reimer, Berlin) es macht, alle jene Verbrüderungsversuche in den letzten
Jahren als eine pure Heuchelei der Engländer bezeichnen. Auch jenseits des
Kanals gab es zweifellos viele, die aufrichtig eine Verständigung zwischen den
beiden großen germanischen Böllern herbeiwünschten; wenn dies unmöglich war,
so war es das Werk Eduards des Siebenten und seiner Minister, allen voran
Sir Edward Greys. Aber auch diese Männer haben den Krieg nur "ver¬
schuldet", nicht gewollt, wenigstens nicht in dieser Form und zu dieser Zeit,
wie Arnold Oskar Mayer in seinem Schriftchen: "Worin liegt Englands Schuld?"
(Heft 18 der Sammlung "Der deutsche Krieg") nachweist. England hat seit
Jahren mit dem Feuer gespielt und war schließlich, als der Weltürcmd ent¬
stand, nicht imstande, den Brand zu verhindern und zu löschen.

Aus der Sammlung: "Deutsche Vorträge Hamburgischer Professoren"
wären zu uuserem Thema zwei Schriften zu erwähnen; zunächst diejenige von
Friedrich Kentgen "Britische Reichsprobleme und der Krieg". Den Angelpunkt
aller englischen Weltpolitik sieht Keutgen darin, daß England "nicht die Kraft
in sich fühlte, dem Weltreich Rußland mit den Waffen entgegenzutreten, und
daß deshalb, als der Augenblick eines Zusammenstoßes mit ihm in unausweichbar
greifbare Nähe getreten war, es sich gezwungen sah. eine vollständige Schwen¬
kung seiner Poliktik vorzunehmen." Bis zu einem gewissen Grade ist diese
Feststellung richtig, aber dies ist keineswegs der einzige maßgebende Faktor in
der englischen Politik gewesen: der politische und insbesondere der wirtschaftliche
Aufschwung Deutschlands sind doch wohl als die ausschlaggebenden Faktoren
in dem Verhältnis zwischen den beiden Nationen zu betrachien.

Vom mehr kulturgeschichtlichen Standpunkte aus betrachtet Wilhelm Dibelius
in seinem Vortrage "England und wir" das Verhältnis Deutschlands zu
England. Dibelius kommt zu dem zutreffenden Ergebnis, daß der Krieg
zweierlei brechen müsse: 1. den unmöglichen Traum einer absoluten Herrschaft
auf dem Meere, und 2. die unerträgliche puritanische Anmaßung Englands,
das erste und alleinige Kulturvolk dieser Erde zu sein. Um dies zu erreichen,
meint Dibelius, müsse man dem englischen Weltreiche ein "Königgrätz" bereiten;
denn nur dann werde England uns ganz wie seinerzeit Österreich als gleich¬
berechtigten Partner anerkennen. --


Ariegsliteratur

hat in der Militärdiktatur Cromwells im siebzehnten Jahrhundert, sowie die
Feststellung am Schluß des Vertrages, daß der Krieg für England nicht ganz
ungelegen kam und ihm die Möglichkeit bot, die immer schärfer zutage tretende
Spannung in der irischen Frage mit der Farbe des Weltbrandes — wenigstens
für einige Zeit — zu vertuschen. Darum hat es im letzten Augenblicke auch
jegliche Verständigung mit Deutschland abgelehnt und dem Gang der Dinge
freien Lauf gelassen, die — wie selbst die Verblendetsten in Downing Street
hätten einsehen müssen — zur Katastrophe führen mußten. Trotzdem darf
man nicht, wie Theodor Schiemann in seiner sonst ausgezeichneten Broschüre:
„Wie Deutschland eine Verständigung mit Deutschland verhinderte" (Verlag
Georg Reimer, Berlin) es macht, alle jene Verbrüderungsversuche in den letzten
Jahren als eine pure Heuchelei der Engländer bezeichnen. Auch jenseits des
Kanals gab es zweifellos viele, die aufrichtig eine Verständigung zwischen den
beiden großen germanischen Böllern herbeiwünschten; wenn dies unmöglich war,
so war es das Werk Eduards des Siebenten und seiner Minister, allen voran
Sir Edward Greys. Aber auch diese Männer haben den Krieg nur „ver¬
schuldet", nicht gewollt, wenigstens nicht in dieser Form und zu dieser Zeit,
wie Arnold Oskar Mayer in seinem Schriftchen: „Worin liegt Englands Schuld?"
(Heft 18 der Sammlung „Der deutsche Krieg") nachweist. England hat seit
Jahren mit dem Feuer gespielt und war schließlich, als der Weltürcmd ent¬
stand, nicht imstande, den Brand zu verhindern und zu löschen.

Aus der Sammlung: „Deutsche Vorträge Hamburgischer Professoren"
wären zu uuserem Thema zwei Schriften zu erwähnen; zunächst diejenige von
Friedrich Kentgen „Britische Reichsprobleme und der Krieg". Den Angelpunkt
aller englischen Weltpolitik sieht Keutgen darin, daß England „nicht die Kraft
in sich fühlte, dem Weltreich Rußland mit den Waffen entgegenzutreten, und
daß deshalb, als der Augenblick eines Zusammenstoßes mit ihm in unausweichbar
greifbare Nähe getreten war, es sich gezwungen sah. eine vollständige Schwen¬
kung seiner Poliktik vorzunehmen." Bis zu einem gewissen Grade ist diese
Feststellung richtig, aber dies ist keineswegs der einzige maßgebende Faktor in
der englischen Politik gewesen: der politische und insbesondere der wirtschaftliche
Aufschwung Deutschlands sind doch wohl als die ausschlaggebenden Faktoren
in dem Verhältnis zwischen den beiden Nationen zu betrachien.

Vom mehr kulturgeschichtlichen Standpunkte aus betrachtet Wilhelm Dibelius
in seinem Vortrage „England und wir" das Verhältnis Deutschlands zu
England. Dibelius kommt zu dem zutreffenden Ergebnis, daß der Krieg
zweierlei brechen müsse: 1. den unmöglichen Traum einer absoluten Herrschaft
auf dem Meere, und 2. die unerträgliche puritanische Anmaßung Englands,
das erste und alleinige Kulturvolk dieser Erde zu sein. Um dies zu erreichen,
meint Dibelius, müsse man dem englischen Weltreiche ein „Königgrätz" bereiten;
denn nur dann werde England uns ganz wie seinerzeit Österreich als gleich¬
berechtigten Partner anerkennen. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/99>, abgerufen am 01.07.2024.